11.08.2000

"Orthogra-Vieh" oder Recht(s)schreibung?

FAZ und Duden auf unterschiedlichen Seiten der Werbefronten im neu entfachten Krieg "so genannter" Experten um die Rechtschreibreform. Politiker, Akademiker und Schriftsteller ergreifen Partei. So was lebt, und Goethe musste sterben, würde der Volksmund dazu sagen. Nun gut, der Mensch ist nun mal nicht unsterblich, und Goethe lebt nicht mehr. Mithin ist es nur Theorie darüber nachzudenken, was der Deutschen grosser Dichter und Denker zur orthografischen Jahrtausendreform und den jetzt plötzlich mit Windstärke 12 wieder einsetzenden Nachwehen gesagt hätte. Bei realer Betrachtung verwandelt sich jene von Goethe einst als grau bezeichnete Theorie jedoch schnell in grelles Reklamelicht, wenn man den Blick auf etliche Aspekte des eifrigen Tuns im Umfeld der deutschen Rechtschreibung richtet.
"Orthogra-Vieh" oder Recht(s)schreibung?

Die FAZ kehrt zur alten zurück, der Duden propagiert in seiner Antwort die neue. Und Gerhard Augst, Vorsitzender der Rechtschreibkommission, lässt die ganze Problematik mit seiner Äusserung von einer für ihn auch vorstellbaren "lockeren Umsetzung" im völlig neuen Licht eines möglichen Mittelwegs erscheinen. Doch wo viel Licht ist, da ist bekanntlich auch viel Schatten. Besagten Schatten ein wenig aufzuhellen, soll der Zweck dieser nicht immer auf die Goldwaage zu legenden Betrachtung sein. Was also ist Sache? Ist es eine Sache die, um den Volksmund noch einmal zu zitieren, kein Schwein (siehe Orthogra-Vieh, oben) mehr verstehen kann? Gerade mal hatte sich Hochschul- und Beamtenverband für, Philologen und die Reform verantwortenden Kultusministerien gegen eine Rücknahme der Reform ausgesprochen, das platzte die Meldung herein, dass die renommierte FAZ ab sofort zur alten Rechtschreibung zurückkehrt. Dann etwas später die FAZ-Verlautbarung, dass keine noch so teure Werbekampagne weltweit soviel Aufmerksamkeit hätte bewirken können. Das sinnfällige Rückkehr-Motto der FAZ: "Dahinter steckt immer ein kluger Kopf". Kurz darauf dann die Antwort des Duden-Verlags mit einer Print-Kampagne, deren Slogan "Dahinter stecken viele kluge Köpfe" sich den der FAZ aufs Korn nimmt. Wer's nicht glaubt, möge sich die in der "Welt", der "Süddeutschen" und auch in der FAZ vorab geschalteten Duden-Anzeigen vor Augen führen: genau "da werden Sie geholfen", um Veronas Werbedeutsch einmal mehr Ehre als der Grammatik zu erweisen. Aber was soll's? Ist Grammatik noch relevant, wenn unsere Sprache schon im offiziellen - und leider auch im medialen - Gebrauch immer häufiger vergewaltigt wird? Man denke nur an das vielfach wie einen Aussätzigen behandelte Genitiv-'s' - geächtet auch von denen, die es gemessen an Titel oder Position eigentlich besser wissen müssten.

Relevant scheint dem querdenkenden Betrachter eher die Frage, welches die das orthografische Sommertheater am stärksten antreibenden Kräfte sind: Sind es das Geltungsbedürfnis oder die Renommiersucht einzelner, oder doch echte Sorge um die alleinseligmachenden deutsche Rechtschreiblehre? Oder gar Sorge um unsere Schulkinder und auch um deren Lehrer? Oder sollte es gar das nicht minder alleinseligmachende Streben nach dem schnöden Mammon (sprich Umsatz und Profit) sein, das so manche der das Sommerloch besetzenden Akteure umtreibt? Oder ist es, um Goethe mit Verlaub einmal mit umgekehrten Vorzeichen zu zitieren, nur "ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will, und stets das Böse schafft", oder eine Mixtur aus allem? Viel Lärm um nichts, frei nach Shakespeare, ist es jedenfalls nicht. Nur wachen über dessen Muttersprache bekanntlich ja auch andere, nicht notwendigerweise kultusministerielle Instanzen. Soweit, so schlecht. Warum? Weil es an Denkansätzen, die eine Lösung hätten herbeiführen können, nie gefehlt hat. Nicht wenigen nämlich geht der ganze Rechtschreib-Reformtamtam inzwischen meilenweit genau an jenem Körperteil vorbei, bei dem der neue Duden in der Wortbildung mit "-ba-cke" in roter Schrift auf die neue Trennregel hinweist.

Zu denen scheint auch der zumindest in der Schweiz nicht eben unbekannte und der deutschen Sprache nicht eben unmächtige Erich Gysling, "Standpunkte"-Moderator bei Presse-TV und von '85 bis '90 SF DRS-Chefredaktor zu gehören. In seinem Beitrag "Recht-Schreibung: Zurück in die Zukunft!" (Aargauer Zeitung vom 9. Agusut) heisst einleitend: "Ich muss Ihnen ein Geständnis machen: Ich habe mich, seit ich für die Seite 'Piazza' schreibe, noch nie mit der Frage befasst, ob meine Schreibweise mit der so genannten neuen deutschen Rechtschreibung übereinstimmt." Der in Fremdsprachen bewanderte dezidierte Reformkritiker weist auch auf ungleich grössere Schwierigkeiten anderer Sprachen und die vielen Fehlversuche, sie künstlich zu korrigieren hin: "Verglichen mit solchen Tendenzen und Problemen ist die deutschsprachige Auseinandersetzung wirklich sehr deutsch, sehr prinzipiell. Man tut sich schwer damit, die Sprach-Natur wirken zu lassen. Man kann sich offenkundig auch kaum damit zufrieden geben, Korrekturen bei einigen wenigen Worten zuzulassen (die wirklich sinnvoll wären), sondern will...ein ganzes System kreieren." Die lebendigen Spachen eigene Fähigkeit der natürlichen Erneuerung wird da von Gysling angesprochen, der im abschließenden O-Ton nochmals auf das FAZ-Beispiel zurückkommt. "Dass dann ausgerechnet die Frankfurter Allgemeine Zeitung.....den Mut hatte, dem Diktat der neuen Rechtschreibung die Kündigung zu erteilen, finde ich grossartig: Abkehr von einer Doktrin, die prinzipiell vielleicht richtig, organisch aber falsch war und ist." Und weiter: "In diesem Sinn und Geist entschied ja jetzt die FAZ: Ende mit der sklavischen Unterordnung unter eine in den Studierstuben ausgeheckte Doktrin, zurück zur Vernunft."

Ob die Doktrin prinzipiell richtig ist, mag dahingestellt sein. Aber der implizit von Gysling aufgezeigte Weg aus dem Dilemma würde ja auch die Wahl eines Wegs der goldenen Mitte voraussetzen. Den Duden & Co. nach Herausgabe ihrer die neue Rechtschreibung einführenden Standardwerke der deutschen Sprache offiziell wohl kaum propagieren kann. Aber was wäre für sie denn so schlecht daran? Bliebe es bei einer gesetzlichen Regelung, würde die Re-Reform erneut Zwangsnachfrage nach neuen Schulbüchern, Nachschlagewerken (und ergo auch nach einem neuen Duden) schaffen. Erneute Aufforderung zum Tanz, will sagen Abzocken, hiesse die Devise, ungeschminkt formuliert. Was sicherlich nicht im Sinne Gyslings und vieler anderer wäre, denen die deutsche Sprache am Herzen liegt. Aber auf das eine, dann allerletzte Mal beschränkt werden könnte, wenn man einen radikal anderen, in den Heimatländern anderer Weltsprachen längst ausgetretenen Weg beschritten würde. Den der Trennung von Sprache und Gesetzgebungsmaschinerie. Und denen die Zuständigkeit für Rechtschreibung überliesse, die wahrhaftige Kapazitäten sind und wissen, dass sich eine lebendige Sprache im Gegensatz zu den sie gebrauchenden Menschen - Kultusminister inbegriffen - immer wieder von selbst verjüngt. Diese einer Sprache innewohnende Flexibilität wäre auch für die sie ordnenden Regeln angesagt. Manifestiert im verbrieften Nebeneinander teils unterschiedlicher, aber nichtsdestoweniger richtiger Schreibweisen, so wie es das Oxford Dictionary und Webster's, um nur zwei Paradebeispiele aus dem englischen Sprachraum anzuführen, seit langem vorgemacht haben.

Warum sollten bei uns nicht auch "so genannt" und "sogenannt" nebeneinander geduldet werden. Was den zu diesem Attribut gar nicht so selten passenden Experten recht ist, sollte der Rechtschreibung billig sein. Dann gibt es noch die so genannten Blüten. Zwei davon aus deutschen Orthografielanden ganz am Ende der Betrachtung. Die erste: "Fasold: Rechtsschreibreform muss weiterhin gelten". (Überschrift einer SPD-Pressemitteilung, in der sich der niedersächsische SPD-Abgeordnete Eckhard Fasold gegen einen CDU-Vorsoß zur Abschaffung der Reform ausspricht. Ironie des Schicksals - ausgerechnet ein Linker für die Rechts-Schreibreform, kann einem dazu nur noch einfallen - oder sollen Rechts- zu Linkshändern reformiert werden?)

Anmerkung 1: Natürlich betrifft die nächste Blüte im grammatikalischen Sinn nur die neue wie auch alte Rechtschreibung im grossen Kanton im Norden, weil das 'ß' in der Schweiz ja nun einmal littera non grata" ist: "Ob man 'das' mit ß oder ss schreibt, dass ist für uns kein Problem."(Aus der Niederschrift eines NDR-Interviews mit dem Präsidenten des Deutschen Hochschulverbands, Hartmut Schiedermair, zum Thema Rechtschreibung.)

Anmerkung 2: Was die deutsche Rechtschreibung wesentlich mehr vereinfacht hätte als eine neue, noch stolperträchtigere ß-Hürde wäre wohl die Abschaffung der Gross-Schreibung (pardon: Grossschreibung) gewesen. Dazu konnten oder wollten sich die Kultusminister und ihre nicht minder hochrangigen Reformgenossen jedoch aus angeblich ästhetischen Gründen nicht durchringen. Was aber sagt der Ästhet zum Schriftbild mit drei Buchstaben hintereinander? Wie etwa bei der gerade in den Sinn kommenden Wortschöpfung "Dummminister" - mit neun Handstöcken hintereinander? "Da gehst Du am Stock", sagt der Volksmund, wir möchten am liebsten "Her mit dem Orthogra-Vieh!" sagen, wenn die ganze Sache in Wirklichkeit nicht doch so verdammt ernst wäre.



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