15.08.2018

Die Schweiz spricht

Politisch Andersdenkende an einen Tisch bringen

SRF, RTS, Tamedia, «Republik», «WOZ», «Watson» und «Die Zeit» machen gemeinsame Sache und laden zu «Vier-Augen-Gesprächen». Mittels Umfrage werden Paare mit politischen Meinungsunterschieden ermittelt. «Wir wollen mit dem Projekt Gräben überwinden», sagt Koordinator Matthias Daum.
Die Schweiz spricht: Politisch Andersdenkende an einen Tisch bringen
Ulrike Grebe wählt die AfD. Ricardo Borchardt will Flüchtlingen helfen. Beide trafen sich im Rahmen von «Deutschland spricht» in Weimar zum politischen Streit. (Bild: ZeitOnline/zVg.)
von Marius Wenger

Tausende Diskussionspaare mit möglichst unterschiedlichen politischen Ansichten sollen am 21. Oktober 2018 überall in der Schweiz «Vier-Augen-Gespräche» führen. Dies ist die Idee der Aktion «Die Schweiz spricht»/«La Suisse parle», deren Bewerbungsphase am Mittwoch begonnen hat. Dahinter stehen mehrere Schweizer Medienhäuser sowie die Schweizer Ausgabe der «Zeit». Vorbild ist die Aktion «Deutschland spricht», eine Initiative von «Zeit Online», bei der im letzten Jahr 12’000 Menschen mitmachten – und sich nach den ersten Wochen der laufenden zweiten Durchführung gemäss einer Mitteilung bereits über 20’000 Teilnehmer angemeldet haben.

Grosse Kooperationsbereitschaft unter den Redaktionen

Die teilnehmenden Medienhäuser am Projekt in der Schweiz sind SRF, RTS, Tamedia, «Republik», «WOZ», «Watson» sowie «Die Zeit». Sie rufen gemeinsam dazu auf, einen politisch Andersdenkenden zu treffen. Matthias Daum, Leiter des Schweiz-Büros der «Zeit», hat die Rolle des Koordinators und Ansprechpartners inne. Es ist ihm aber wichtig zu betonen, dass «Die Schweiz spricht» kein «Zeit»-Projekt ist. «Wir wollten möglichst viele Medienhäuser zur Teilnahme motivieren, um möglichst viele und verschiedene Leserschichten zu erreichen», sagt Daum gegenüber persoenlich.com. Besonders stolz sei er, dass mit RTS und Tamedia auch Medienhäuser aus der französischsprachigen Schweiz mitmachen. Damit findet das mittlerweile internationale Projekt erstmals zweisprachig statt.

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Die verschiedenen Medienhäuser an einen gemeinsamen Tisch zu bringen, sei eine spannende Erfahrung gewesen. «Man merkte, wie unterschiedlich die Verlage funktionieren», sagt Daum. «In den Redaktionen war die Bereitschaft zur Teilnahme und Zusammenarbeit sehr gross. Bedenken kamen eher von der Verlagsebene – mit der Begründung, die Redaktionen vor zusätzlicher Arbeit schützen zu wollen», ergänzt Daum.

Eine politische Dating-App

Die Medienpartner werden ihren Userinnen und User in den kommenden Wochen aktuelle, für alle gleich lautende Ja-Nein-Fragen stellen, etwa: «Soll sich die Schweiz stärker der EU annähern?» Oder: «Soll die Schweiz mehr Flüchtlinge aufnehmen?» «Bei der Auswahl der Fragen war für uns entscheidend, dass möglichst viele verschiedene politische Gräben abgebildet werden, welche die Schweiz durchziehen. Nicht nur der klassische Links-Rechts-Graben», sagt Daum.

Die Umfrage läuft bis am 23. September auf den Internetseiten der Partner. Ein Algorithmus findet anschliessend anhand der Antworten Menschen, die nahe beieinander wohnen, aber möglichst unterschiedlich denken.

Am Sonntagnachmittag, 21. Oktober, können sich die auf diese Weise vermittelten Diskussionspaare überall in der Schweiz treffen – individuell, an einem Ort ihrer Wahl. Daum bezeichnet das bereitgestellte Tool auch als «politische Dating-App». Das Datum wurde im Hinblick auf die nächsten Nationalratswahlen bestimmt: Sie finden ziemlich genau ein Jahr später am 20. Oktober 2019 statt. Ausserdem vereinfache ein vorbestimmtes gemeinsames Datum die redaktionelle Berichterstattung über das Projekt, sagt Daum. Ob es auch dabei Kooperationen zwischen den verschiedenen Medienhäusern geben wird, davon lasse er sich gerne überraschen.

«Den Streit dahin zurück bringen, wo er hingehört»

Warum ist es Aufgabe der Medienhäuser, die Schweizerinnen und Schweizer zum Diskutieren zu bewegen und was wollen die Verlage damit erreichen? Daum meint: «Einerseits wollen wir die Möglichkeiten unserer Reichweiten nutzen. Wir können die Menschen dazu bringen, miteinander in einen Dialog zu treten.» Für den Koordinator des Projekts sind Medienhäuser heute mehr als nur Content-Produzenten, sondern auch «Gastgeber» für ihre Leserinnen und User. «Dadurch, dass alle Gespräche zur gleichen Zeit stattfinden, wollen wir den Teilnehmenden auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl vermitteln», so Daum weiter.

Am Anfang des in Deutschland gestarteten Projekts habe die Feststellung gestanden, dass überall in Europa politische Gräben tiefer und die Bildung gesellschaftlicher Blasen stärker werden – mitverursacht durch Social Media und den dort oftmals vorherrschenden gehässigen Ton. «Wir wollen versuchen, diese Gräben zu überwinden», sagt Daum. «Vor allem aber wollen wir den Streit wieder dahin bringen, wo er hingehört: An einen Tisch, an dem zwei sitzen und sich von Angesicht zu Angesicht ihre Meinung sagen. Bestimmt, aber immer anständig, freundlich und mit einem offenen Ohr für das Vis-à-vis.» Schon allein dadurch, dass Argumente mündlich statt schriftlich vorgetragen werden, werde ein Streit weniger gehässig, meint der «Zeit Schweiz»-Chef.

Projekte von Alaska bis Australien in Planung

Bei «Die Schweiz spricht» kommt die Plattform «My Country Talks» zum Einsatz, die von «Zeit Online» gemeinsam mit internationalen Partnern konzipiert und mit Finanzierung von Google umgesetzt wurde. Die technische Entwicklung liegt bei der Berliner Agentur diesdas.digital. Die Software ermöglicht es Medien weltweit, politisch Andersdenkende in Eins-zu-Eins-Gespräche zu vermitteln. In den kommenden Monaten sind «My Country Talks»-Veranstaltungen in Österreich, Norwegen und Dänemark geplant. Vorgespräche gibt es mit Medienhäusern von Alaska bis Australien.



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