Mark Eisenegger, gemäss den Messungen des Jahrbuchs erreichte die Gesamtqualität der Schweizer Medien 2022 einen Höchststand. Wie erklären Sie sich diesen Spitzenwert?
Mark Eisenegger: Zwei Gründe sind wichtig: Erstens hat die allgemeine Themenlage die Qualität in einzelnen Dimensionen verbessert. Die untersuchten Medien haben zuerst wegen der Coronapandemie und dann wegen des Ukraine-Kriegs mehr über Relevantes berichtet. Zweitens scheinen sich die Qualitätsstrategien verschiedener Medientypen auszuzahlen. Die Pendler- und Boulevardmedien haben spürbar an Qualität zugelegt und haben sich in drei von vier Qualitätsdimensionen verbessert: in der Relevanz, in der Professionalität und auch in der Vielfalt.
Welche Bedeutung hat diese Verbesserung bei den Pendler- und Boulevardmedien?
Eisenegger: Wenn die sich qualitativ verbessern, dann ist das wichtig und gut als Abgrenzung gegenüber fragwürdigen Quellen im Netz, auch weil diese Medien auf den digitalen Plattformen eher Menschen erreichen, die normalerweise nur wenig Journalismus nutzen.
Daniel Vogler, es sieht aber nicht nur rosig aus. Als «Sorgenkind» bezeichnen Sie im Jahrbuch die tiefen Vielfaltswerte. Warum sind die so tief?
Daniel Vogler: Wegen der Fokussierung auf einige Top-Themen, weil der Berichterstattungsumfang in verschiedenen Medien abnimmt und weil Zentralredaktionen Medien mit gleichen Inhalten beliefern, nimmt die Berichterstattungsvielfalt seit 2015 ab. Immer mehr fehlt auch in vielen Bereichen schlichtweg die Berichterstattung, was daher kommt, dass teils ganze Ressorts wegfallen oder schrumpfen, was auch Ausdruck schwindender Ressourcen im Journalismus ist.
«Die Berichterstattung ist auf grosse urbane Zentren konzentriert»
Wo beobachten Sie eine schwindende Vielfalt?
Vogler: Unsere Vertiefungsstudien zeigen etwa, dass die Unternehmensberichterstattung sehr stark auf die Finanzindustrie fokussiert, während über andere Branchen kaum berichtet wird. Die Berichterstattung ist zudem auf grosse urbane Zentren konzentriert. Bevölkerungsreiche Agglomerationsgemeinden erhalten hingegen relativ wenig Resonanz.
Während die Qualität insgesamt steigt, nimmt das Interesse an journalistischen Medien weiter ab. Wohin führt das?
Eisenegger: Die steigende News-Deprivation, also eine Unterversorgung mit News bei gewissen Segmenten der Bevölkerung, ist tatsächlich ein Problem. Die beste Qualität nützt nichts, wenn sie nicht zum Publikum gelangt. Und die mangelnde Nutzung des Journalismus beeinflusst auch die Demokratiequalität: News-Deprivierte haben ein geringeres Interesse an Politik und sie beteiligen sich auch weniger am demokratischen Prozess.
Ist diese Entwicklung eine Einbahnstrasse?
Eisenegger: Nicht zwingend. Interessant ist, zu beobachten, dass in der Schweizer Bevölkerung ein Interesse an einem «konstruktiven» Journalismus besteht, der nicht nur problematisiert, sondern auch Lösungen aufzeigt. Das trifft auch auf politisch desinteressierte Menschen zu. Diese Form der Berichterstattung könnte deshalb dazu beitragen, Leute wieder für den Journalismus zu gewinnen. Konstruktiver Journalismus löst das Problem aber allein nicht. Dazu sind auch langfristig gedachte Initiativen zur Förderung von Medienkompetenz, gerade bei jungen Leuten, notwendig. Auch wirkt sich das allgemeine Politikinteresse positiv auf das News-Interesse aus. Man sollte deshalb auch beim Staatskundeunterricht ansetzen.
«Medien mit guten Informationsleistungen geniessen ein hohes Vertrauen»
Vorerst sieht es aber düster aus. Fast 60 Prozent der erwachsenen Bevölkerung vertrauen den Schweizer Medien nicht mehr. Woran liegt das?
Vogler: Das ist zu negativ formuliert. Laut den regelmässigen Befragungen im Reuters Institute Digital News Report stimmen zwar «nur» 42 Prozent der Aussage zu, man könne «den Medien» meistens vertrauen. Aber nur 29 Prozent sind mit dieser Aussage nicht einverstanden, vertrauen also den Medien wirklich nicht. Rund 30 Prozent sind unentschlossen. Ausserdem scheren die Menschen offensichtlich nicht alle Medien über einen Kamm. Die verschiedenen Medien in der Schweiz geniessen unterschiedlich hohes Vertrauen. Die News-Angebote von SRF zum Beispiel werden von rund drei Vierteln der Befragten als vertrauenswürdig eingeschätzt, bei News-Angeboten von Mail-Diensten wie zum Beispiel GMX ist es dagegen nur rund ein Drittel. Das scheint doch darauf hinzuweisen, dass Medien mit substanziellen und qualitativ guten Informationsleistungen nach wie vor hohes Vertrauen geniessen.
Unter welchen Voraussetzungen könnten das Vertrauen und die Mediennutzung wieder zunehmen?
Eisenegger: Wir wissen, dass in gesellschaftlichen Krisen oder bedrohlichen Situationen wie damals während der Coronapandemie das Nachrichteninteresse und die Nachfrage nach glaubwürdigen, verlässlichen Quellen zunimmt. Dies sind also besonders geeignete Zeiten, um für die Bedeutung des Journalismus und für Qualitätsunterschiede zum Beispiel zu dubiosen Quellen im Netz zu sensibilisieren.
Aus Sicht eines Teils des Publikums konnten die Medien gerade in diesen Ausnahmesituationen die Nachfrage nach glaubwürdigen, verlässlichen Quellen nicht immer erfüllen, woraus ein Vertrauensverlust resultiert. Sehen Sie darin keinen Widerspruch zu Ihrer Beobachtung?
Eisenegger: Nein, das ist kein Widerspruch. In Krisen nimmt immer auch die Polarisierung in der Gesellschaft zu und es wird konfliktiver. Damit verbunden ist häufig eine recht vehemente Medienkritik. Auch während der Coronapandemie wurde lautstark Kritik geübt an den Medien. Bei der Gruppe Kritikerinnen und Kritiker handelte es sich aber um eine klare Minderheit. Unsere Forschung zeigt, dass in der Hochphase der Coronakrise die Vertrauenswerte von 2020 auf 2021 stiegen.
«Junge wollen sich mit dem Absender einer Nachricht identifizieren können»
Wie können Medien das Vertrauen der jungen Zielgruppe gewinnen?
Eisenegger: Aus einer Studie zum Medien- und Nachrichtennutzungsverhalten junger Erwachsener haben wir gelernt, dass diese eine hohe Affinität gegenüber mobilisierenden Themen haben, die die eigene Lebenswelt und Generation betreffen. Solche Themen können das Interesse und auch das Vertrauen in Nachrichten steigern. Dann ist sicher für die Mediennutzung und das Vertrauen auch die Vermittlungsqualität wichtig. Zum Beispiel wird die Personalisierung auf den digitalen Plattformen wichtiger: Menschen wollen sich mit den Köpfen, das heisst dem Absender oder der Absenderin hinter einer Nachricht, identifizieren können.
Die Bedeutung von Social Media als Newsquelle nimmt weiter zu. Vermag diese Entwicklung den Rückgang der Nutzung traditioneller Nachrichtenmedien zu kompensieren?
Vogler: Auch auf Social Media sind hochwertige Informationen erhältlich. Nicht zuletzt die etablierten Medien sind da ja auch sehr aktiv und versuchen, neue Zielgruppen zu erreichen, wie eine unserer Studien zeigt. Wer sich auf Social Media informieren will und Zeit investiert, kann sich also auch hier gut informieren. News stehen allerdings bei vielen Menschen nicht im Zentrum, wenn sie auf Social Media unterwegs sind. Damit droht der Saldo an verlässlichen Informationen tiefer auszufallen.
Sie haben festgestellt, dass Medienunternehmen auf TikTok und Instagram hauptsächlich Journalismus und weniger reine Unterhaltung bieten. Heisst das demnach, dass Journalismus auf diesen Plattformen auch nachgefragt wird?
Eisenegger: Wir denken, dass dies momentan eher der Ausdruck einer Qualitätsstrategie seitens der Medienanbieter ist. Gerade auf Social Media sollten sich Medien von dubiosen Quellen abgrenzen können. Der Fokus auf Qualität macht also durchaus Sinn. Ob diese Strategie langfristig auch Erfolg bringt, also die Nutzerinnen erreicht und sich vor allem auch ausreichend monetarisieren lässt, ist hingegen schwer abzuschätzen.
«KI im Journalismus ist für die Schweizer Bevölkerung kein No-Go»
Was das Jahrbuch auch eruiert hat: Die Leute halten wenig vom Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) im Journalismus. Woher kommt diese klare Ablehnung?
Vogler: Eine anfänglich kritische Haltung ist häufig zu beobachten, wenn neue Technologien in die breite Bevölkerung diffundieren. Das Thema KI im Journalismus wird in der Medienbranche zwar intensiv diskutiert. Viele Menschen in der Schweiz haben sich damit aber noch nicht beschäftigt oder noch nicht davon gehört. Eine gewisse Skepsis ist dabei sicher nicht falsch. Denn wir wissen, dass der Einsatz von KI auch Risiken beinhaltet. KI im Journalismus ist für die Schweizer Bevölkerung aber kein «No-Go».
In welchen Anwendungsbereichen stösst KI auf grössere Akzeptanz?
Vogler: Zum Beispiel in der Routineberichterstattung zu Börsenkursen, dem Wetter oder zu Sportresultaten. Das Publikum sieht bei der KI auch Chancen, beispielsweise wenn es um das personalisierte Zuschneiden der Inhalte auf die eigenen, individuellen Bedürfnisse geht.
Welche Erwartungen und Forderungen hat das Publikum an die – unvermeidbare – Nutzung künstlicher Intelligenz in der journalistischen Nachrichtenproduktion?
Eisenegger: Erwartungen bestehen insbesondere an die Transparenz. Nutzerinnen erwarten, dass Medien ausweisen, wenn in einem Beitrag KI «drinsteckt». Und zwar unabhängig davon, ob er integral oder nur mit Unterstützung von KI geschrieben wurde.
Was genau heisst Transparenz in diesem Fall?
Eisenegger: Es braucht mehr erklärende Transparenz, also wie genau und in welchen Prozessschritten KI eingesetzt wurde, welchen Anteil Mensch und «Maschine» an der Produktion von Medieninhalten hatten und wie das Endergebnis überprüft wurde. Solche Transparenz wäre ein Mittel, der verbreiteten Wahrnehmung entgegenzuwirken, KI fördere den billigen Journalismus, werde vor allem aus Effizienzgründen und als Mittel zur Kostenreduktion eingesetzt. Ein sinnvoller Einsatz von KI wird immer substanziell Ressourcen erfordern, das heisst auch menschliche Intervention und Überwachung voraussetzen.
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31.10.2023 14:10 Uhr
31.10.2023 10:12 Uhr