06.10.2000

Wolfgang Schäuble

seine Erfahrung im Skandal

Der Auftritt des ehemaligen CDU-Parteichefs Wolfgang Schäuble am Verlegerkongress in Interlaken gewährte einen Einblick in die deutsche Politlandschaft und in die Befindlichkeit eines deutschen Spitzenpolitikers. Im Interview, das von Schweizer Presse-Geschäftsführer Peter Hartmeier geführt wurde, sagte Schäuble, wie es um sein Verhältnis mit ex-Bundeskanzler Helmut Kohl steht und wie er die Medien während des CDU-Politskandals erlebte (siehe auch: Blocher schlägt zurück).
Wolfgang Schäuble: seine Erfahrung im Skandal

Das gerade erst erschienene Buch von Wolfgang Schäuble soll nach seinen Worten keine Abrechnung mit Kohl sein, auch wenn dies von den Medien so dargestellt wird. Schäuble sagt: "Auch wenn ein Magazin (Stern; Red.), das die Vorabdruckrechte am Buch gekauft hat, auf dem Titel die Sätze bringt: ‚Meine Abrechnung mit Kohl‘, so ist es deshalb trotzdem keine." Das Anliegen des Buchs sei vielmehr, wie eine Partei, die heute in der Opposition steht, wieder Tritt fassen und Wahlen gewinnen kann.

Es hat zur Aufgabe, die Relation wieder herzustellen. Die CDU ist eine Partei mit 600'000 Mitgliedern. Sie betreibe derzeit Selbstzerfleischung wegen ein paar Krimineller, die vor langer Zeit Schwarzgeldkonten geführt hätten. Natürlich müssten die Wahrheiten auf den Tisch und diskutiert werden, sagte Schäuble, doch seien die Relationen völlig aus den Fugen geraten.

Er habe überhaupt keine Probleme damit, dass Kohl 16 Jahre im politischen Rampenlicht gestanden sei, er sei dafür ein "frecher Hund gewesen, der immer so handelte, dass es für Kohl am besten sei, auch wenn dieser es nicht wusste". Bundeskanzler zu werden, habe ihn nie so beschäftigt, wie dies die Medien beschrieben hätten. Allerdings: "Wenn sich mir die Frage gestellt hätte, hätte ich ohnehin nicht widerstehen können." Trotz den Skandalen um seine Person habe er sich als Mensch nicht verändert. "Scheitern und versagen macht ein Menschenleben aus", sagte Schäuble. Für ihn kam der Wendepunkt im Skandal um die versteckten CDU-Konten, als Schäuble eine Kopie von Unterlagen der Staatsanwaltschaft erhielt, in welchen die Vergehen des früheren CDU-Schatzkanzlers aufgedeckt wurden. Damals habe er zum ersten Mal von der Sache erfahren. Er habe sich nach Beratung mit seinem Vorgänger Helmut Kohl sofort entschieden, eine Pressekonferenz einzuberufen, in welcher er die politische Verantwortung übernahm.

Zu der Rolle der Medien äusserte sich Schäuble, dass es Prozesse gibt, bei welchen alles aus den Fugen gerate. Plötzlich gehen die Relationen verloren, und die Journalisten beschränken sich nicht mehr darauf, zu beschreiben und zu kommentieren, sondern sie wollen Ereignisse selbst herbeiführen. Und das unter dem Deckmantel der Pressefreiheit. Für ihn stellt sich weiter die Frage, wie der Wettbewerb der Fotografen und Kameraleute um die besten Bilder organisiert werden soll. Politiker würden immer härter und aus nächster Nähe von Dutzenden von Kameras bedrängt, was kaum mehr erträglich sei. "Einmal ging es mir gesundheitlich nicht so gut, und Frau Merkel führte die Pressekonferenz, woraufhin der Fotografentross die Kameras aus 20 Zentimenter Abstand auf mich richtete, wohl in der Hoffnung, ich breche gleich zusammen."



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