25.09.2022

Presseschau

So kommentieren Medien das Ja zur AHV-Reform

Das Frauenrentenalter wird von 64 auf 65 Jahre angehoben. 50,6 Prozent der Stimmenden legten ein Ja in die Urne. Zudem wird die Mehrwertsteuer für die Finanzierung der AHV erhöht. Das schreiben die Medien online zur AHV-Abstimmung.
Presseschau: So kommentieren Medien das Ja zur AHV-Reform
Ein höheres Rentenalter für die Frauen und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für die Finanzierung der AHV sind die wichtigsten Änderungen der AHV-Reform. (Bild: Keystone/Peter Klaunzer)

Berner Zeitung

«Dieses Ja zur AHV-Reform ist die wichtigste politische Entscheidung des Jahres. Die Botschaft des Stimmvolks lautet: Nichtstun ist keine Option! Mit der schrittweisen Erhöhung des Rentenalters der Frauen und der sanften Anhebung der Mehrwertsteuer bleiben die Renten über die nächsten zehn Jahre gesichert, die AHV erhält für die Pensionierungswelle der Babyboomer nun genügend Mittel. Der Entscheid untermauert die Gerechtigkeit unter den Generationen. (…) Zudem ist das Ja ein solidarisches Signal auch an die Ärmeren im Land. Die wichtigste Umverteilungsmaschine der Schweiz bleibt weiter funktionstüchtig, der soziale Ausgleich von oben nach unten unversehrt. Der Reform zum Durchbruch verholfen hat wohl eine neue Zweckgemeinschaft: Erstmals haben die drei grossen Dachverbände der Wirtschaft zusammen mit dem Bauernverband die Reihen geschlossen. Die polemische Nein-Kampagne der Linken hat nicht die erwünschte Wirkung gebracht. Diese agierten im Vorfeld verantwortungslos, indem sie die Lücken bei der AHV kleinredeten.» (Simon Bärtschi, Chefredaktor)

Blick

«Es ist das erste Mal seit 1995 (!), dass eine AHV-Revision durchkommt. Die Sozialwerke sind eben doch reformfähig! Diese Erkenntnis ist enorm wichtig: Die AHV ist in Finanznot, weil die Menschen immer älter werden und länger Rente beziehen. So wie bisher geht es nicht weiter. Das Ja ist auch machtpolitisch ein Schnitt. Bisher waren Reformen gegen die Linke unmöglich durchzubringen. Ihre Kampagne gegen die AHV-Reform setzte auf Angstmacherei und Lügen – gut, wurde das nicht mit einem Sieg belohnt. Doch die Bürgerlichen haben keinen Grund zum Hochmut. Die Frauen haben die AHV-Revision klar abgelehnt. Jetzt steht die noch wichtigere Reform der zweiten Säule an, und auch da geht es viel um die Frauen. Die Bürgerlichen haben ihnen versprochen, sie würden bessergestellt, weil sie heute wegen Teilzeit und kleinen Löhnen Nachteile haben. Bei den Beratungen im Parlament ist von diesen Versprechungen nicht mehr viel zu spüren. Wenn das nicht ändert, wird es für die Linke ein Leichtes, die Vorlage zu bodigen. Das Ja zur AHV-Reform würde für die Bürgerlichen zum Pyrrhussieg.» (Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe)

CH-Media-Zeitungen

«Die grosse Schlappe für die SP, sie bleibt aus. Links-grüne Kräfte haben weit über die eigenen Reihen hinaus mobilisiert und einen imposanten Endspurt hingelegt. Trotzdem bedeutet dieser Abstimmungssonntag eine Zäsur: Sozialreformen sind neu auch ohne die SP und die Gewerkschaften möglich – gar gegen deren expliziten Willen. Im bürgerlichen Lager knallen deswegen (noch) keine Champagner-Korken. Der Sieg an der Urne war allzu knapp. Aber er war wichtig, um eine jahrzehntelange Blockade zu lösen. Die AHV wartet seit 25 Jahren auf eine Reform. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger will die Finanzierung der Renten für die Zukunft sichern. Allerdings, und das zeigt dieser Tag ebenfalls, musste die strukturelle Anpassung, Rentenalter 65, teuer erkauft werden. (…) Die Frauen tragen nun wesentlich dazu bei, die AHV-Finanzen zu stabilisieren. Eine Mehrheit von ihnen empfindet das als ungerecht. Viele stimmten aber auch dafür. Denn Frauen sind innerhalb des Systems AHV nicht schlechter gestellt als Männer, sie werden älter, beziehen über eine längere Frist Renten und erst noch leicht höhere Beiträge. Gleichzeitig zahlen sie weniger ein.» (Anna Wanner, Co-Leiterin Inlandteam)

NZZ

«Zum ersten Mal überhaupt heisst das Stimmvolk eine AHV-Reform gut, die Abstriche und keinen Ausbau bringt. So knapp das Ergebnis auch sein mag: Die Niederlage der Linken ist ein Segen – nicht nur für die AHV, sondern auch für die Debattenkultur. (…) Die Erhöhung des Rentenalters ist kein schöner Schritt, weder für die Frauen noch für viele Ehemänner. Die höhere Mehrwertsteuer wird die verfügbaren Einkommen schmälern, in einer Zeit, in der das Leben ohnehin spürbar teurer wird. Umso positiver ist die Zustimmung an der Urne zu werten. Dass sie nicht deutlicher ausfiel, haben sich die Befürworter teilweise selbst zuzuschreiben. Ihrer Kampagne mangelte es mitunter an Herzblut und Überzeugungskraft. Die direkte Demokratie tut sich von Natur aus schwer mit Fragen der Generationengerechtigkeit. Dies zeigt sich überall dort, wo die heute tonangebenden Altersgruppen Entscheide fällen können, für deren finanzielle Konsequenzen sie nicht selber geradestehen müssen. (…) Diese Fehlanreize erschweren auch die Umwelt- oder Klimapolitik. Am gravierendsten aber wirken sie sich in der Altersvorsorge aus. Dass am Sonntag trotzdem die Mehrheit der Versuchung widerstanden hat, den Beginn der AHV-Sanierung einmal mehr hinauszuschieben, ist verdienstvoll.» (Fabian Schäfer, Leiter Bundeshausredaktion)

Südostschweiz

«Das Schweizer Ja zur AHV ist ein Ja zur politischen Vernunft. Damit auch zukünftige Generationen im Alter nicht vor leeren AHV-Kassen stehen, braucht es mehr Einnahmen. Diese stammen aus dem höheren Pensionierungsalter der Frauen und aus höheren Zulagen seitens der Mehrwertsteuer. Beides ist leider nötig, denn immer mehr Rentenbezügerinnen und -bezüger stehen immer weniger Erwerbstätigen gegenüber, welche die AHV-Kassen füllen. Dass Frauen neu gleich lange arbeiten sollen wie Männer, sei gerecht, sagt die sehr knappe Mehrheit. (…) Es gehe nicht an, argumentierten die Gegner, dass man zwar das Rentenalter für Frauen erhöhe, die tieferen Löhne, welche Frauen im Durchschnitt aber nach wie vor erhielten, hingegen nicht. (…) Diesem Katz-und-Maus-Spiel haben die Stimmberechtigten mit ihrem Entscheid jetzt einen Riegel geschoben. Es ist der politische Wille der Schweizerinnen und Schweizer, dass Frauen gleich lange arbeiten sollen wie Männer. Frauen und Männer haben die gleichen Pflichten. Doch damit steht die Schweiz auch in der Verantwortung, vor der sie sich bisher lieber drückte. Wer gleich lange arbeiten muss, muss auch darauf vertrauen können, dass dies zu gleichen Bedingungen geschieht: gleiche Pflichten, gleiche Rechte. Es gibt nach dem Ja kein stichhaltiges Argument mehr, in Sachen Gleichstellung der Geschlechter nicht endlich Gas zu geben.» (Reto Furter, Leiter Medienfamilie Südostschweiz)

Tages-Anzeiger

«Politik ist feilschen, streiten, Kompromisse finden. Bei der AHV-Reform sagten sich viele Gegnerinnen und Gegner: Warum sollen wir beim Rentenalter der Frauen eine Verschlechterung hinnehmen, wenn so viele andere Gleichstellungsprobleme nicht gelöst sind? No Deal! Diese Denkweise setzte sich nun aber nicht durch. Eine überaus knappe Mehrheit der Stimmberechtigten will die AHV finanziell stabilisieren und dazu das Referenzalter von Frauen und Männern anzugleichen. Das ist richtig so. Ein komplexes Reformpaket wie die AHV lässt sich nicht mit anderen Themen verschränken, sonst läuft man Gefahr, alles zu blockieren – oder überladene Vorlagen zu konstruieren, die das Volk am Ende abschmettert. Trotzdem hat die Gegnerschaft der AHV-Reform einen Punkt. Manche Befürworter, darunter viele bürgerliche Männer, haben hinter vorgehaltener Hand argumentiert: Ich bin ja schon für Gleichstellung, aber halt auch dann, wenn Frauen etwas verlieren! Sie sind nun in der Pflicht, zu ihren Worten zu stehen. Und zwar dort, wo Frauen heute tatsächlich stark benachteiligt sind. Das gilt zuerst für die zweite Säule der Altersvorsorge. (…) Und dann muss der breitere Kampf um die Gleichstellung mit neuer Energie weitergehen. Dazu nur ein paar Stichworte: Individualbesteuerung, externe Kinderbetreuung, männlich geprägte Parlamente und Regierungen (Beispiel Kanton Luzern: 5 Männer, 0 Frauen).» (Mario Stäuble, Co-Chefredaktor)

Watson

«Das Frauenrentenalter 65 war überfällig. Dennoch wurde die AHV 21 nur ganz knapp angenommen. Die Bürgerlichen dürfen sich auf dieses Ergebnis nichts einbilden. Mehr Geld für die AHV ist populärer als ein höheres Rentenalter. Auf diesen simplen Nenner kann man die Resultate der beiden AHV-Vorlagen bringen, über die wir heute abgestimmt haben. (…) Dennoch dürfte eine deutliche Mehrheit der Frauen – sowie der Romands und Tessiner – die AHV 21 abgelehnt haben. Dazu haben nicht nur ‹egoistische Gründe beigetragen. Die Gleichstellung der Frauen im Berufsleben ist und bleibt in der Schweiz ein Trauerspiel. Man kann es den Frauen nicht verdenken, dass sie den Stimmzettel als Denkzettel benutzten. Das ist auch ein Wink an Links. Das Nein-Lager führte eine Kampagne mit fragwürdigen bis unwahren Argumenten zum Rentenalter 67 und zu angeblichen finanziellen Verlusten der Frauen. Mit einer klügeren Kampagne, die sich auf die reale Benachteiligung der Frauen konzentriert hätte, wäre ein Sieg angesichts des knappen Ergebnisses realistisch gewesen.» (Peter Blunschi, Redaktor)

WOZ

«Im hauchdünnen Ja zur Rentenaltererhöhung der Frauen spiegeln sich zahlreiche Bruchlinien: Zwischen der Mehrheit der Frauen und der überwiegenden Mehrheit der Männer, sehr scharf zwischen der lateinischen und der deutschen Schweiz – und schliesslich zwischen Geringverdienenden, Teilzeitarbeitenden und Bessergestellten. Solche Bruchlinien sind nicht neu, bei der AHV aber sind sie ein grundsätzliches Problem, gezielt bewirtschaftet von den Bürgerlichen. Denn die wichtigste Sozialversicherung ruht auf dem Fundament einer alle gesellschaftlichen Gruppen einschliessenden Solidarität. Diese ist nach jahrelangen Auseinandersetzungen inzwischen ziemlich brüchig - Gift für den minimalen Zusammenhalt. (…) Die Konflikte lösen sich nach diesem Abstimmungswochenende nicht in Luft auf. Sie werden nahtlos weitergeführt, bei der laufenden Reform der Pensionskassen (Gesetz zur beruflichen Vorsorge, BVG). In der AHV selbst sind die Renten von Frauen und Männern praktisch gleich, worauf die Bürgerlichen mit Verweis auf die ‹Gleichstellung ständig herumgeritten sind. Wären sie bei der tatsächlichen Gleichstellung - Löhne, Care-Arbeit - bloss auch so fix. (…) Die Bürgerlichen haben im Abstimmungskampf versprochen, sie würden die Rentenlücken der Frauen im BVG angehen. Was ihr Wort wert ist, wird sich in der Dezembersession des Parlaments zeigen. (…)» (Andreas Fagetti, Inlandredaktor)

(sda/cbe)



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