Was sich bei Ringier in mehreren Ländern bewährt hat, setzt nun auch die Meier & Cie AG in Schaffhausen um. Als Nina Siegrist im August 2024 die Leitung des Schaffhauser Verlags übernahm, brachte sie einen gut gefüllten Rucksack von ihrer Arbeit bei Ringier mit. Zuoberst darin befand sich eine Methode, mit der die Journalistin und Redaktionsmanagerin zuletzt bei den Ringier-Medien in Osteuropa gearbeitet hatte. User Needs heisst die Methode, zu Deutsch: Nutzerbedürfnisse.
Im Kern geht es bei den sogenannten User Needs darum, unterschiedliche Erwartungen und Bedürfnisse, die Menschen mit ihrem Medienkonsum verbinden, besser zu erfüllen und zu befriedigen. Das soll zu einer intensiveren Nutzung des entsprechenden Angebots führen und bei Bezahlmedien entsprechend zu Aboabschlüssen.
Artikel sollen auch erklären, unterhalten, inspirieren
Im journalistischen Alltag heisst das, Inhalte so zu gestalten, dass sie nicht einfach nur informieren, sondern auch erklären, unterhalten, inspirieren, helfen, zu handeln, oder zur Vernetzung beitragen.
Entwickelt und verfeinert hat das Konzept der frühere BBC-Mitarbeiter Dmitry Shishkin, der heute als CEO von Ringier Media International tätig ist. In der Schweiz arbeiten vor allem die Ringier-Redaktionen nach diesem Konzept, aber auch Tamedia und SRF orientieren sich zunehmend daran.
Bei den Schaffhauser Nachrichten gehört die Definition von User Needs fix zum Planungsablauf im Tagesgeschäft. «Bei jedem Artikel, der heute auf shn.ch und in der Zeitung erscheint, hat die Redaktion zuvor definiert, welchen User Need der Beitrag erfüllen soll», sagt Verlagschefin Nina Siegrist im Gespräch mit persoenlich.com. Wenn man das nicht macht, und das zeigt die Erfahrung, dann kommen 08/15-Artikel heraus, die einfach informieren. «Das fällt uns Journalistinnen und Journalisten offenbar am leichtesten», weiss Siegrist.
Den gleichen Stoff anders verpacken
Nutzungszahlen zeigen aber, dass das Publikum die reine Nachrichtenvermittlung – ohne Hilfestellungen, Erklärungen oder Inspiration – nur mässig schätzt und vergleichsweise schnell weiter- oder wegklickt. Wenn man den gleichen Stoff anders verpackt, spricht das die Leute mehr an und sie lesen länger und springen nicht so früh ab. Die langjährige Journalistin erklärt das an einem Beispiel aus der Sportberichterstattung. «Anstatt den ewig gleichen Matchbericht nach dem Fussballspiel zu schreiben, könnte die Redaktion auch mal die drei Helden des Spiels vorstellen», sagt Siegrist. Das würde den User Need der Inspiration bedienen und für eine entsprechend intensivere Nutzung sorgen. Oder ein Beispiel aus dem Wirtschaftsjournalismus: Anstatt nur zu berichten, dass die Hypothekarzinsen steigen, kann man darüber informieren, wie und wo man trotzdem günstige Hypotheken erhält.
Als Beispiel aus der aktuellen Berichterstattung legt Chefredaktor Robin Blanck einen Text über die Haftbedingung in Untersuchungsgefängnissen im Nachgang zum Suizid des Sarco-Gründers Florian Willet vor. Die Zeitung lässt dazu eine Psychologin erklärend zu Wort kommen, die den Alltag hinter Gittern von regelmässigen Gefängnisbesuchen kennt. Ein solcher Zugang zum Thema zahlt auf den User Need «Educate me» ein, was in dem Kontext so viel bedeutet wie: Erklär mir etwas.
Seit ihrem Antritt als CEO und Verlagsleiterin vor einem knappen Jahr hat Nina Siegrist zahlreiche Workshops und Schulungen organisiert mit der Redaktion, damit diese die zusätzlichen Arbeitsschritte verinnerlichen kann. Das lief dann etwa so ab, dass die Journalistinnen und Journalisten Vorschläge machen mussten, wie sie aktuelle News-Themen nach bestimmten User Needs aufbereiten würden. Auf der anderen Seite baute Siegrist auch Kompetenzen auf bei der Datenanalyse, damit sich der Erfolg überprüfen lässt. Entsprechend geschulte Fachpersonen behalten die Zahlen im Auge und mahnen zur Kurskorrektur, wenn der Mix der verschiedenen User Needs nicht stimmt und die produzierten Inhalte zu wenig gelesen werden.
«Kreative neue Ansätze, um Geschichten zu erzählen»
Seit die Schaffhauser Nachrichten einen bewussteren und damit vielfältigeren Umgang mit dem Nachrichtenstoff pflegen, stellen sich erste Erfolge ein: Seitenaufrufe, Verweildauer, aber auch digitale Aboabschlüsse nehmen messbar zu. «Vor allem aber entstehen auch kreative neue Ansätze, um Geschichten zu erzählen», sagt Chefredaktor Robin Blanck.
Doch das User-Needs-Konzept kommt nicht bei allen Protagonisten der Berichterstattung gut an. So beklagten sich auch schon lokale Akteure und andere Betroffene der Berichterstattung, dass die Redaktion nicht mehr in gleicher Form von ihren Anlässen berichtet. Der klassische Ereignisbericht, wie ihn Zeitungen jahrzehntelang von allerlei Veranstaltungen publizierten, war immer schon ein schwach gelesenes Format. Seit sich die Nutzung messen lässt, wissen das alle Medien. «Wir schreiben immer wieder Artikel, die niemand liest. Das ist eine Ineffizienz, die sich kein Medienhaus mehr leisten kann», weiss Nina Siegrist. Was natürlich nicht heisst, dass die Gemeinde- oder Generalversammlung aus der Berichterstattung verschwindet. «Aber wir investieren unsere Zeit lieber in ein Porträt einer Protagonistin oder eines Vereinsmitgliedes, das auf den User Need der Inspiration einzahlt und überdurchschnittlich performt, anstatt protokollarisch ein Zusammentreffen abzuhandeln», sagt Siegrist.
«Immer wieder erklären, was wir machen»
In Aussprachen mit Betroffenen, die sich beschwerten, haben Verlag und Redaktion ihr Vorgehen erklärt. «Wir müssen die Rahmenbedingungen, unsere eigene Arbeitsweise und die Grundwerte des Journalismus immer wieder im direkten Gespräch transparent machen und erklären», sagt Siegrist. Und wenn man nicht auf Verständnis stösst, macht man es halt noch einmal.
Als Knacknuss, an der sich viele Verlage die Zähne ausbeissen, erweist sich das Nutzungsverhalten der jungen Zielgruppe. In Schaffhausen macht man sich hierzu keine Illusionen und hofft nicht auf Wunder. Die Devise von Verlagschefin Siegrist heisst: «Das junge Publikum da abholen, wo es ist.» Sprich: auf Social Media. Auch hier spielen die User Needs eine wichtige Rolle. Die von den jüngeren Mitarbeitenden und Lernenden erstellten Videos für TikTok und Instagram orientieren sich an den Nutzerbedürfnissen «Help me»/«Connect me», «Inspire me» oder «Divert me», also (Lebens-)Hilfe/Vernetzung, Inspiration, Unterhaltung – und weniger klassische Information, wie sie Zeitung und Website bieten.
Ausprobieren und dabei Geld verdienen
Ob die mehrheitlich lustigen Clips, die sich oft an aktuellen Trends der Social-Media-Plattformen orientieren, die Schaffhauser Jugend dazu bringen, das Nachrichtenangebot von shn.ch zu nutzen oder gar dafür zu zahlen, bleibt ungewiss. «Wir müssen ausprobieren – und Social Media nutzen, um unsere Marke sowie unsere Journalistinnen und Journalisten bekannt zu machen», kommentiert die Chefin die Strategie. Das ist aber keine brotlose Kunst.
Zum Ausprobieren gehören auch Experimente mit Commercial Publishing. Nach dem Motto: Wenn die Jungen schon nicht für ein Abonnement zahlen, dann kommerzialisieren wir ihre Social-Media-Nutzung. Erst kürzlich haben die Schaffhauser Nachrichten im Auftrag der Mobiliar ein Format entwickelt, das Verlag und Versicherung gemeinsam als Branded Content präsentieren. «Denn wir können, was viele nicht können: Geschichten erzählen. Und Plattformen clever bespielen», so Verlagschefin Nina Siegrist.
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13.06.2025 09:09 Uhr
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