Weniger Breite oder eine nötige Erfrischung?

Medienjournalismus - War der Chefredaktor unzufrieden oder sollte Rainer Stadler ganz einfach «von Produktionsaufgaben entlastet werden»? Führende Schweizer Medienexperten äussern sich zur NZZ. Dort wurde dem langjährigen Medienjournalisten die Verantwortung für die Medienseite entzogen.

von Edith Hollenstein

Nick Lüthi, Chefredaktor Medienwoche.ch

«Formal bedeutet dieser Schritt zuerst einmal nicht viel: In der NZZ wird auch künftig jede Woche eine Medienseite erscheinen. Inhaltlich dürfte sich die Themenwahl indes stärker dem politischen Profil des NZZ-Feuilletons unter der Leitung von René Scheu annähern, da er nun die redaktionelle Verantwortung für die Seite trägt. Es würde daher wenig überraschen, wenn auch auf der Medienseite künftig pointierte bis provokante Meinungsbeiträge aus dem liberal-konservativen Spektrum zu lesen sein werden. Darunter würde die thematische Breite und Vielfalt der Berichterstattung leiden, die Stadler bisher auf der Medienseite gepflegt hat. Stadler betrachtete die Medien sowohl aus inhaltlicher, ökonomischer, technologischer, als auch politischer Perspektive, mit einem regelmässigen Blick auf die Leitmärkte USA und Deutschland. Die Gründe für diesen Schritt sind unter anderem darin zu suchen, dass Eric Gujer seit seinem Antritt als NZZ-Chefredaktor mit dem Profil der Medienseite unter der Leitung von Rainer Stadler nicht restlos zufrieden war und von Anfang an Veränderungen anstrebte. Insbesondere der starke Fokus auf die Medienwissenschaften schien ihm zu missfallen, obwohl dieser gar keinen so grossen Raum einnahm, wie behauptet. Auch suchte er nach jüngeren Autoren. Dass Rainer Stadler die Zuständigkeit für die Medienseite bereits jetzt, nur wenige Jahre vor seiner Pensionierung, entzogen wird, dürfte aber auch auf atmosphärische Verstimmungen und zwischenmenschliche Inkompatibilitäten im Feuilleton-Ressort zurückzuführen sein.»



Nina Fargahi, Chefredaktorin Medienmagazin «Edito Deutschschweiz»

«Rainer Stadler ist ein ausgewiesener Profi seines Fachs. Seine Medienseite hat über die Jahre hinweg einen bedeutenden Beitrag dazu geleistet, dass sich die NZZ-Leserschaft eine objektive Meinung zum Geschehen im Schweizer Medienjournalismus bilden konnte. Ich sehe keinen denkbaren fachlichen Grund, einem der profiliertesten Medienjournalisten der Schweiz die Verantwortung für die Medienseite zu entziehen.»



Matthias Ackeret, V
erleger/Chefredaktor «persönlich»

«Als regelmässiger NZZ-Leser freuen mich zwei Informationen: Rainer Stadlers hervorragende Kolumne «In medias res» erscheint weiterhin. Und das zweite: Medienthemen finden auch in Zukunft statt. So im Inland, in der Wirtschaft und auf einer wöchentlichen Seite, die jetzt vom Feuilleton-Ressort bespielt wird. Dieses zeichnet sich – ob man immer einverstanden ist oder nicht – durch eine grosse Frische aus. Ob es sich bei dieser Neuplatzierung wirklich um eine politische Verschwörung handelt, wie der ‹Tages-Anzeiger› impliziert, weiss ich nicht. Der Tagi übrigens auch nicht, ausser der Pressestelle hat ja – laut Bericht – niemand zur Causa Stadler› Stellung genommen.  Was aber auffällt, wie prominent der Tagi den Rainer-Stadler-Artikel gebracht hat: auf Seite 6 im Inlandteil, unübersehbar auf der rechten Seite platziert. An bester Lage sozusagen. Als medieninteressierter Mensch freut es mich selbstverständlich, wie sich der Tagi fast schon fürsorglich um unsere Branche – aber auch die Konkurrenz – sorgt. Die Freude wäre aber noch grösser, würde er einmal im gleichen Umfang über die Veränderungen im eigenen Haus berichten.»



Claudia Blumer, stellvertretende Ressortleiterin Inland «Tages-Anzeiger»

«Der Schritt zeigt, dass es der Fachjournalismus zunehmend schwieriger hat. Wir Journalisten sind immer mehr Allrounder, vertiefte Kenntnisse in gewissen Dossiers sind die Stärke der älteren Berufskollegen, zu ihnen gehört auch Rainer Stadler. Es ist meines Erachtens falsch, auf diese Dossierkenntnisse zu verzichten, weil sie der Leserschaft einen Mehrwert bieten, die in der digitalen Schnelllebigkeit auch künftig und eher noch zunehmend geschätzt werden wird. Allerdings: Rainer Stadler wird auch als Autor und Kolumnenschreiber seine Kenntnisse einbringen können, selbst wenn er die NZZ-Medienseite nicht mehr verantwortet. Die Gründe für die Rochade: Neue Führungskräfte schaffen eine neue Kultur. Das ist überall so.»



Klaus Bonanomi, SRF-Wirtschaftsredaktor, Stiftungsrat Presserat

«Schade, wissen wir nicht aus erster Hand, was die Gründe sind. Dass er ‹von Produktionsaufgaben entlastet werden soll›, klingt zynisch. Es bleibt die Vermutung, dass unter Eric Gujer ein weiteres Mal ein unabhängiger, profilierter Autor und Fachexperte ‹abgesägt› werden soll. Rainer Stadler hat ja zum Beispiel im Vorfeld der ‹NoBillag›-Abstimmung seinem Chefredaktor kompetent und mutig widersprochen, als dieser in einem Leitartikel mit einem Ja zu ‹NoBillag› liebäugelte. Für den Medienjournalismus hierzulande bedeutet der Schritt jedenfalls nichts Gutes. Eine wöchentliche Kolumne – so sehr ich diese schätze – hat einfach nicht dieselbe Wirkung wie eine ganze Seite. Medienthemen haben es im Redaktionsalltag schwer, das weiss ich aus Erfahrung: Manchmal haben sie Konjunktur – dann aber fallen sie wieder weg, nach dem Motto, ‹das interessiert ohnehin nur uns JournalistInnen›. Die nötige Kontinuität fehlt oftmals, wenn man kein eigenes Gefäss für Medienthemen hat. Zudem hat Rainer Stadler auf seiner Medienseite immer wieder auch den Blick auf Themen ausserhalb der Schweiz und des deutschen Sprachraumes gewagt; das dürfte nun schwieriger werden. Nun wär es natürlich schön, wenn der Tagi in die Bresche springen und wieder eine wöchentliche Medienseite einführen würde!»



Ronnie Grob, Medien-Kolumnist «NZZ am Sonntag»

«Rainer Stadler ist ein guter Journalist, dessen Texte ich gerne lese. Aber es ist nicht das Ende des Medienjournalismus, und wohl auch nicht das Ende des Medienjournalismus in der NZZ, weil er nun offenbar nicht mehr nur Texte über Medien schreiben wird für die NZZ. Vielleicht wird das, was künftig erscheint, noch besser als das, was Rainer Stadler geliefert hat. Ich bin auch gespannt darauf, wie Rainer Stadler mit den neuen Freiheiten, die ihm nun offenbar eingeräumt werden, umgehen wird. Warum die NZZ diesen Schritt macht? Da muss man jene fragen, die dafür verantwortlich sind. Ich glaube aber, es tut allen Menschen, die seit vielen Jahren das Gleiche tun, gut, sich mal wieder mit ganz anderen Themen und Fragen zu beschäftigen. Mir kommen spontan Dutzende von Journalisten in den Sinn, denen eine Veränderung ebenfalls sehr gut tun würde. Das Brechen der Routine erfrischt den Geist! Zu ihrem eigenen Schaden sind Printverlage aber leider in aller Regel nicht sehr reformfreudig.»



persoenlich.com hat den Teilnehmern dieser Umfrage folgende Fragen gestellt: Was bedeutet dieser Schritt für den Schweizer Medienjournalismus? Was sind, Ihrer Meinung nach, die Gründe für diesen Schritt der NZZ?