04.04.2001

Wohin mit der Weltwoche?

Die Weltwoche-Auflage ist weiter eingebrochen. 1999 hatte das Blatt 92'337 Exemplare beglaubigt – für 2000 sind es noch 84'206 Exemplare. Wo steuert die Weltwoche hin? Verlagsleiterin Uli Rubner (Bild) ist von der früheren Massenstrategie abgekehrt. Sie setzt stattdessen auf "Klasse statt Masse". Das Interview:

Warum ist die Auflage der Weltwoche so stark gesunken?

In den vergangenen Jahren wurden die Marketingmittel in aggressive Abogewinnungs-Massnahmen investiert. Über 40 Prozent des Lesermarktumsatzes wurde für Mailings aufgewendet. Zeitweise hatte die Weltwoche 30'000 Schnupperabos im Markt. Im Schnitt waren es im vergangenen Jahr 13'000 Schnupperabos. Zudem wurde die Aboauflage durch Kooperationen mit teilweise qualitativ unpassenden Partnern künstlich in die Höhe getrieben. Es ist klar, dass bei diesem Ansatz die Qualität der Adressaten oftmals nicht mit dem Anspruch des Titels Schritt halten konnte. Die Umwandlungsquoten von Schnupper- in feste Abonnenten waren entsprechend tief (z.T. bei nur 12 Prozent).

Was hat sich im Marketing konkret geändert?

Die neuen Abogewinnungsmassnahmen gehen einher mit der Positionierung des Titels als Qualitätszeitung. Lieber weniger Mailings, dafür fokussiert auf interessante Lesersegmente wie Studenten und Opinion-Leaders. Für Kooperationen kommen nur Premium-Partner in Frage, die sich an anspruchsvolle und qualitätsbewusste Zielgruppen richten. Der erhöhte Stellenwert von Zielgruppenaffinitäten und die Verbesserung der redaktionellen Leistung zeigen bereits erste Erfolge: Die Umwandlung von Schnupperabonnenten in Festabonnenten beträgt jetzt rund 20 Prozent. Die Haltbarkeit der Abonnenten ist von 82 auf 86 Prozent gestiegen.

Welche Konsequenzen hat die Auflage-Bereinigung für den Werbemarkt?

Die Planung erfolgt ja mehrheitlich auf den Leserzahlen und den Reichweiten und nicht auf den Auflagen. Aber selbst wenn die TEP herangezogen würden, verändert sich die Stellung der Weltwoche im Ranking gegenüber anderen Titeln nicht. Es kann aber gut sein, dass die Weltwoche in der Werbewirtschaft durch die Auflagebereinigung imagemässig leidet und sich in der Anzeigenakquisition kurzfristig schwerer tut. Doch langfristig gehen wir davon aus, dass es vernünftiger ist, sich vom Massenmarkt zu verabschieden und auf den Qualitätsmarkt zu setzen: Wir setzen darauf, dass die Auftraggeber und Agenturen angesichts der Nivellierung der Schweizer Medienlandschaft froh um einen Titel für das oberste Lesersegment sind. Daher tut die Weltwoche gut daran, diese Positionierung nicht zugunsten kurzfristiger Erfolge zu verwässern.

Wird die Weltwoche jetzt die Anzeigenpreise senken?

Nein, denn einerseits ist der Tausend-Exemplar-Preis für die Planung nicht relevant. Zum anderen ist in einer Qualitätsstrategie die Preissensibilität weniger ausgeprägt. In einer solchen Strategie sind die Affinitäten und qualitativen Merkmale viel wichtiger.

Wie ist die Zielgruppe der Weltwoche zu umschreiben?

Die typischen Weltwoche-Leser sind zwischen 35 und 64 Jahre alt, 56 Prozent sind Männer, 44 Prozent sind Frauen. Mehrheitlich sind es gut ausgebildete Leser, die in freien Berufen oder Kaderpositionen tätig sind und eher in urbanen Gebieten leben. Die höchsten Affinitäten hat die Weltwoche bei den Einkommensklassen über 15'000 Franken pro Monat. Aber eigentlich greifen die soziodemografischen Kriterien zu kurz: Die typischen Weltwoche-Leser sind intelligente, anspruchsvolle Männer und Frauen, die neugierig und kritisch sind - Sie wollen die vordergründigen Tatsachen sehen und auch komplexe Zusammenhänge begreifen. Sie wollen über alles gründlich informiert sein, sie wollen verstehen und interpretieren können und wollen sich durch neue Gedanken anregen lassen. Schade, dass es im Deutschen keinen Ausdruck für den amerikanischen Ausdruck "lifelong learners" gibt, denn das würde die Einstellung der Zielgruppe ziemlich genau auf den Punkt bringen.

Ist die redaktionelle Leistung gut genug für die angestrebte Positionierung?

Eine Zeitung für solche Leute zu machen, ist extrem anspruchsvoll. Solche Leute erwarten, dass ihre Zeitung ihnen Woche für Woche wirklich eigenständige Meinungen, überraschende Sichtweisen und neue Fakten und Hintergründe zu den relevanten Themen der Zeit liefert. Aber eine Zeitung ist kein Schoggistengel. Eine Zeitung ist ein Produkt, das jede Woche neu erfunden wird. Qualitätssteigerung und Qualitätssicherung ist ein ständiger Prozess. Er wird bei der Weltwoche systematisch betrieben und ist nie abgeschlossen. Entscheidend sind die Personen, die die Zeitung machen. Entsprechend ist die Redaktion bestrebt, ständig neue, herausragende Köpfe und hochqualifizierte Journalisten an die Redaktion zu binden oder als Autoren zu gewinnen. Diese Aufgabe wird künftig aufgrund der jetzt noch klarer definierten Positionierung im obersten Lesersegment sogar noch an Bedeutung zunehmen.

Was passiert konkret?

Demnächst findet eine Redaktions-Retraite statt, in der verschiedene kurzfristige Massnahmen zur Optimierung des Blattkonzeptes diskutiert werden. Parallel dazu müssen aber auch ganz neue Ansätze für die längerfristige Zukunftssicherung diskutiert werden. Das Spektrum der Möglichkeiten ist sehr offen, und unser Verleger möchte eine Diskussion ohne Tabus. Wir können alles ändern: die heutige Bundstruktur, die Themenpalette, die abgedeckt werden soll, der Erscheinungstag. Zudem stellen wir uns die Frage, ob eine Magazinform den heutigen Leser- und Inserentenbedürfnissen besser entsprechen würde als die Form einer Zeitung. Wir sehen spannenden Zeiten entgegen.

Kann eine Zeitung mit so kleiner Auflage überhaupt überleben?

84'000 Exemplare sind keine kleine Auflage. Cash, Finanz & Wirtschaft oder die HandelsZeitung beweisen, dass man auch mit noch tieferen Auflagen erfolgreich sein kann. Zudem darf man nicht vergessen, dass die Weltwoche verglichen mit ähnlich gelagerten ausländischen Titeln eine überdurchschnittlich hohe Auflage aufweist. Die Weltwoche ist zum Beispiel dreimal grösser als die Zeit und rund zwei Drittel grösser als der Spiegel gemessen an ihren jeweiligen Märkten. Das wichtigste für den Erfolg eines Titels ist eine klare Positionierung. Daran müssen wir arbeiten.

- Es muss gelingen, die Weltwoche dank ihrer redaktionellen Leistung als das Leitmedium der intelligenten Schweiz zu positionieren. Opinion Leaders und wichtige Multiplikatoren müssen die Weltwoche als unverzichtbaren Teil ihres Medienkonsums betrachten.

- Der Mitteleinsatz muss an die neue Strategie angepasst werden, weil sonst die Kosten aus dem Ruder laufen: Klasse statt Masse gilt künftig nicht nur für den Einsatz der Marketingmittel sondern ebenso für das Blattkonzept und den Umfang des redaktionellen Angebotes. Die Weltwoche kann sich auch inhaltlich nichts Mittelmässiges und nichts Beliebiges leisten. Weniger Stoffe, aber kompromisslos in den qualitativen Anforderungen, ist für einen Titel dieser Ausrichtung sicher der zielführendere Weg.



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