17.10.2024

NZZ

Zwei NZZ-Journalisten zieht es in die Politik

Georg Häsler und Fabian Ruch kandidieren als FDP-Mitglieder für das Berner Stadtparlament. Sie knüpfen damit an eine nicht unproblematische Tradition an. Ihre Wahlchancen gelten allerdings als gering.
NZZ: Zwei NZZ-Journalisten zieht es in die Politik
Mit diesen Bildern werben Georg Häsler (links) und Fabian Ruch für ihre Kandidatur: Die beiden NZZ-Journalisten zieht es in die Lokalpolitik. (Bilder: zVg/FDP)

Der eine propagiert «Freier Geist statt linker Biedermeier», der andere fordert «Mehr Sportanlagen und Freiheit, weniger Bürokratie» – beide arbeiten als Journalisten für die NZZ und beide wollen für die FDP in den Berner Stadtrat. Die Wahl findet am kommenden 24. November statt.

Georg Häsler schreibt als Spezialist für Sicherheits- und Geopolitik im Premium-Ressort «NZZ Pro». Sportjournalist Fabian Ruch begleitet als fester freier Mitarbeiter im NZZ-Sportressort die Schweizer Fussballnationalmannschaft und die Super League. Daneben arbeitet er als Kommunikationsunternehmer, unter anderem für Swiss Golf, als Herausgeber des Frauen-Sportmagazins Sportlerin sowie als Fussball-Podcaster für 20 Minuten.

«Sofern keine zwingenden Gründe dagegensprechen»

Die Übernahme öffentlicher Ämter erfordert für NZZ-Angestellte die Zustimmung des Vorgesetzten. Sie werde erteilt, «sofern keine zwingenden Gründe dagegensprechen», teilt die Medienstelle des Unternehmens auf Anfrage mit. Auch wenn sich die NZZ nicht konkret zu den politischen Ambitionen einzelner Mitarbeiter äussern will, spricht die Kandidatur Häslers und Ruchs dafür, dass die Chefredaktion oder Ressortleitung grünes Licht gegeben hat.

Mit ihrer Bewerbung für die Legislative der Bundesstadt knüpfen die beiden Journalisten an eine ebenso alte wie auch immer wieder kontrovers diskutierte Tradition an – sollten sie denn gewählt werden. Vor allem auf Bundes- und Kantonsebene fanden sich in der Vergangenheit zahlreiche Mandatsträger des Freisinns, die ihr Geld auf der Redaktion der NZZ verdienten. Bisweilen nahm das extreme Formen an. «Einmal waren gleich vier NZZ-Redaktoren mit einem FDP-Ticket in den Zürcher Kantonsrat gewählt worden», schrieb der frühere Redaktor Friedemann Bartu 2020 in seiner Geschichte der NZZ. In den 1950er- und 60er-Jahren sass mit Willy Bretscher gar der Chefredaktor des Blatts während 16 Jahren im Nationalrat.

Ehemaliger Regionalkorrespondent als Negativbeispiel

Dass es mit der Trennung der Rollen nicht immer so gut geht, zeigte zuletzt der Fall von Martin Merki, dem früheren Zentralschweizer Korrespondenten der NZZ. Der Journalist amtete ab 2010 als Fraktionspräsident der FDP im Luzerner Stadtparlament und schrieb weiterhin über Luzerner Stadtpolitik, selbst über Geschäfte, zu denen er sich als Politiker artikuliert hatte. René Zeller, früherer NZZ-Inlandchef und Vorgesetzter Merkis, sah in der Doppelrolle seines Korrespondenten kein Problem, wie er dem Tages-Anzeiger damals sagte. «Die NZZ ist keine Parteizeitung, aber wir nehmen für die liberale Sache Partei», zitierte die Zeitung Zeller. Zwei Jahre später klärte Merki den Rollenkonflikt und setzte ganz auf die Karte Politik. 2012 wurde er erfolgreich in die Stadtregierung gewählt, wo er drei Amtszeiten lang der Sozial- und Sicherheitsdirektion vorstand.

Strenge Regeln formuliert der Schweizer Presserat. In Richtlinie 2.4 zum Journalistenkodex steht: «Die Ausübung des Berufs der Journalistin, des Journalisten ist grundsätzlich nicht mit der Ausübung einer öffentlichen Funktion vereinbar.» Die beiden kandidierenden NZZ-Journalisten «unterstützen den Kern der Richtlinie selbstverständlich» (Häsler), respektive finden sie «sehr wichtig und löblich» (Ruch). Entsprechend sehen sie in einer allfälligen Doppelrolle kein Problem.

Zwar behandelte Häsler in der Vergangenheit gelegentlich auch lokale Themen. So führte er etwa im vergangenen Mai ein Interview mit dem kantonalen Polizeidirektor, einem FDP-Parteikollegen, über die Sicherheitslage in der Stadt Bern. Sollte er gewählt werden, würde er «selbstverständlich weder über die Stadtberner Gemeindepolitik noch über den Kanton berichten», versichert Häsler auf Anfrage von persoenlich.com. Und: «Mein Wechsel aus dem Tagesgeschäft zu NZZ Pro hat den Schritt zum politischen Engagement im kommunalen Nahbereich überhaupt erst möglich gemacht.» Als Stadtrat wollte er sich vor allem mit der städtischen Verkehrspolitik beschäftigen, ein Thema fern der Sicherheitspolitik, mit der sich Häsler als Journalist – und auch als Oberst der Schweizer Armee – beschäftigt.

«Ich schreibe ja nicht über städtische Politik»

Auch Sportjournalist Fabian Ruch sieht im «sehr unwahrscheinlichen Fall» einer Wahl keine Interessenkonflikte. «Ich schreibe ja nicht über städtische Politik», teilt Ruch mit. Tatsächlich kennt man ihn in Bern vor allem wegen seiner Berichterstattung zum Fussballclub Young Boys. Mehr als zwanzig Jahre begleitete er den lokalen Verein für die Berner Zeitung BZ. Dabei standen stets der Sport und das Innenleben des Vereins im Fokus. Ein einziger Abstecher in die Lokalpolitik ist aus dieser langen Zeit dokumentiert. 2018 schrieb Fabian Ruch zusammen mit einem Lokalredaktor über die ewige Debatte um zusätzliche Trainingsplätze in der Bundesstadt. Die «katastrophale Sportplatz-Situation», wie Ruch sie nennt, ist nun auch ein Thema, das ihn als Neo-FDP-Mitglied umtreibt. Die NZZ, für die Ruch seit 2021 als fester Mitarbeiter schreibt, dürfte sich kaum für die Trainingsplätze in Bern interessieren. Und wenn, dann schreibt sicher nicht Ruch darüber.

Die Beweggründe für ihre Kandidatur sind bei Häsler und Ruch nicht ganz die gleichen, ausser dass sich beide als politische Menschen mit liberaler Gesinnung verstehen, Mitglieder der FDP sind und sich an den Verhältnissen in der Stadt Bern reiben, die seit 1992 stramm rot-grün regiert und verwaltet wird.

Häsler verweist auf seinen Grossvater, einen freisinnigen Pfarrer. «Der Dienst am Gemeinwesen – und darum geht es bei einer öffentlichen Funktion – gehört zu unserer Familientradition.» Ausserdem hat er sein politisches Profil in der Vergangenheit hinlänglich publizistisch dokumentiert.

Bei Ruch kommt die Kandidatur überraschender, ihn hat man bisher nicht als politischen Kopf wahrgenommen. Er habe sich in den letzten Jahren intensiver mit Parteipolitik zu beschäftigen begonnen – und Smartvote habe ihm stets Politikerinnen und Politiker von FDP und Jungfreisinn zur Wahl empfohlen. «In diesem Frühling hatte ich das Gefühl, dass ich etwas machen muss, und wurde FDP-Mitglied», so Ruch. Im Austausch mit René Lenzin, Co-Präsident der FDP Stadt Bern und ehemaliger Tages-Anzeiger-Redaktor, habe das eine spannende Wort das andere gegeben. «Irgendwann erklärte ich mich gerne bereit, als Kandidat zur Verfügung zu stehen.»

Experte sieht geringe Wahlchancen

Bleibt schliesslich die Frage nach den Wahlchancen. Die sind bei Häsler und Ruch gering. Auch wenn die bürgerlichen und Mitte-Parteien in der linksten aller Schweizer Städte dank einer breiten Wahlallianz von GLP bis SVP Morgenluft wittern, dürften sie damit vor allem einen zweiten Sitz in der fünfköpfigen Regierung holen. «Einen Einfluss auf den Ausgang der Parlamentswahlen hat das nicht», sagt der Berner Polit-Analyst Mark Balsiger. Was die FDP im Speziellen angeht, verweist Balsiger auf die Verluste der Partei bei den Nationalratswahlen, «was als Faustregel bei kantonalen und kommunalen Wahlen jeweils noch etwa ein Jahr nachhallt». Vor diesem Hintergrund wäre es bereits ein Erfolg, wenn die FDP ihre aktuell sechs Sitze (plus einen der Jungfreisinnigen) im Parlament halten könnte. Die Partei selbst strebt bei den kommenden Wahlen einen zusätzlichen Sitz an. Dieses Ziel unterstützt Georg Häsler mit seiner Kandidatur: «Wenn ich ein paar Stimmen zum Erfolg der aktiven Stadtpolitikerinnen und -politiker auf der Liste beitragen kann, dann hat sich das Wagnis bereits gelohnt.» Ruch betrachtet sein Engagement als einen Anfang; in den nächsten Jahren wolle er noch mehr Zeit in die Politik investieren.

Auch wenn die beiden NZZ-Journalisten den Sprung in den Rat nicht auf Anhieb schaffen, besteht die Möglichkeit, dass sie im Laufe der Legislatur nachrücken, sollten sie auf einem der ersten Ersatzplätze landen. Die Fluktuation im Berner Stadtrat ist in allen Parteien sehr hoch.


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KOMMENTARE

Martin Knoepfel
17.10.2024 15:15 Uhr
Dass Journalisten für Parlamentssitze kandidieren, gab (gibt?) es auch bei anderen Parteien. Auf die Schnelle fallen mir die CVP und ihre Vorläuferinnen und die SP bzw. das „Volksrecht“ ein.
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