TV-Kritik

Wie Infantino bei Putin schleimte

Es geschah nach einem der feudalen Essen bei Wladimir Putin: Vor laufenden Kameras legte Fifa-Präsident Gianni Infantino die Hand auf sein Herz, schaute dem russischen Potentaten tief in die Augen und schmachtete: «Wir haben uns alle in Russland verliebt, vielen Dank.» Wir alle? Der skeptische Präsident lächelte leise – und schwieg den Schweizer an. Immerhin scherzte er mit dem Funktionär mal auf der Ehrentribüne. Und bei der verregneten Medaillen-und Pokalübergabe am Sonntag. Die ausgekochten Franzosen wurden verdiente Weltmeister. Sie schlugen die Kroaten 4:2. Es war das torreichste WM-Finalspiel seit 60 Jahren. Und eines der besten dazu.

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Am Wochenende sagte Infantino vor der Weltpresse über seinen ersten Mega-Event: «Es war die beste WM, die je stattgefunden hat!» Ja, diese WM war tatsächlich ein Volltreffer. Und beste Propaganda. Vor allem für Putin. Russland war ein guter Gastgeber und hat eine hervorragend Weltmeisterschaft organisiert und ausgerichtet. Die Stadien waren zu 98 Prozent ausgelastet. Politische Gefangene, Staatsdoping, Korruption beim Stadionbau, prügelnde Hooligans usw. – ein Monat lang kein Thema. Der Ball verzeiht vieles. Doch die Probleme bleiben.

Trotz zahlreichen schwachen Spielen (der Fussball machte keine Fortschritte) und früh gescheiterten Favoriten war es insgesamt eine spannende WM mit vielen magischen Momenten, Spektakel und Emotionen. Happy sind auch diesmal die TV-Stationen und Werbepartner: Über drei Milliarden Menschen verfolgten die Party vor dem Fernseher. Das schafft nur Fussball. Infantinos Vorgänger Sepp Blatter im «Tages Anzeiger»: «Die Hochzeit zwischen Fernsehen und Fussball ergab ein unschlagbares Doppel – zwei Stunden Super-Show». Im Gegensatz zu den Spielern war beim Fernsehen erneut eine technische Fortentwicklung festzustellen – bei den Übertragungen mit 40 Kameras in den Stadien. Und mit aufgemotzten Studios. Da hatten die Deutschen weltweit die Nase vorn. Ganz im Gegensatz zu ihrer Nationalelf. Auch das Schweizer Fernsehen hat es gut gemacht. Im Unterschied zu unserer Nati.


René Hildbrand
René Hildbrand ist Journalist, langjähriger Fernsehkritiker und Buchautor. Während 27 Jahren war er für «Blick» tätig, danach Chefredaktor von «TV-Star».

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