TV-Kritik

Willkommen im falschen Film

Früher war alles besser. Gestern war zum Beispiel Schweizer «Tatort»-Sonntag. Es gab einmal mehr eine typische SRF-Ausgabe der Krimireihe: Der Film kam auf der Psychoschiene an, war problembeladen, öde, schal – und schleppend wie ein totes Pferd. Die gelangweilten Gesichter von mir und ein paar Leidensgenossen vor dem Fernseher hätten einen Oscar verdient. 

Die düstere Story wurde schon Tage vor der Ausstrahlung medial angeheizt. Lärmig und wirkungslos. Inhalt in Kürze: Ein Unbekannter stürzt von einer Brücke vor einen Bus. Der vermeintliche Selbstmord löst beim Chauffeur – einem ehemaligen Lokführer – Erinnerungen an Suizide auf der Schiene aus. Rasch wird klar: Es war Mord, verbunden mit altbekannter Wirtschaftsgaunerei. 

Vor einem Jahr ging es um Sterbehilfe. Nach der Vorvisionierung des neuen CH-Krimis schrieb «Spiegel online», darauf anspielend: «Schaut man ‹Tatort›, könnte man auf die Idee kommen, dass die Schweizer ein lebensmüdes Volk sind». Sind wir nicht, geschätzte deutsche Kollegen. Es ist nur so, dass unsere «Tatort»-Verantwortlichen sterbenslangweilige Krimis produzieren, während und nach deren Ausstrahlung wir Zuschauer selbst notfallpsychologische Unterstützung nötig hätten.

Einziger Lichtblick in der neuerlichen Therapiestunde des Schweizer Fernsehens: Die darstellende Kunst des Schweizer Mimen Michael Neuenschwander. Er brachte die Verzweiflung des Traumatisierten vortrefflich rüber. Zum Kommissar meint eine deutsche Kritikerin: «Der Gubser bräuchte einen Schubser, damit er seine Mimik anreichert».

Ansonsten: In dieser Form längst veraltet und überflüssig ist die Rolle des mürrischen Ermittler-Vorgesetzten, tapfer gespielt von Jean-Pierre Cornu. Ausserdem: Den Titel «Zwei Leben» trug schon 1976 ein (wirklich spannender!) «Tatort» mit dem unvergessenen Hansjörg Felmy. Und es ist die Überschrift eines deutsch-norwegischen Filmdramas aus dem Jahr 2012. Überdies werden aus unseren Nachbarländern wieder Klagen wegen der grottigen Synchronisation zu vernehmen sein. Und obendrein gab es Schauspieler-Stau: Den patenten Berner Roland Bonjour sah man vor einer Woche schon im Stuttgarter «Tatort», ebenfalls als Verdächtigen.

Immerhin: Auch der neuste Schweizer «Tatort» hatte ein Happy End. Als Zuschauer war man happy, als er zu Ende war.


René Hildbrand
René Hildbrand ist Journalist, langjähriger Fernsehkritiker und Buchautor. Während 27 Jahren war er für «Blick» tätig, danach Chefredaktor von «TV-Star».

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KOMMENTARE

Albert Hahn
21.09.2017 18:33 Uhr
Herr R. Hiltebrand hat mehr als recht mit seinem Kommentar! Ein Supreshit der Sonderklasse die Tatort-Sendungen der Schweizer!
Dieter Widmer
18.09.2017 09:13 Uhr
Ich habe mich auch bis zum Schluss durchgekämpft. Eine Bitte an die Schweizer Tatort-Macher: Macht doch einmal einen spannenden Krimi und versucht nicht zum wiederholten Mal einen derart kompliziert problembeladenen Film zu realisieren. Einfach von Beginn weg Spannung und dann Spannung und am Schluss immer noch Spannung. Gubser und Cornu kennen Gesichtsmimik gar nicht. Sind deren Gesichter eigentlich in Gips gegossen?
Andi Oberholzer
18.09.2017 09:09 Uhr
Wie schleppend ist ein totes Pferd? Der Vergleich ist so schlecht wie die Schlusspointe von Herrn Hildbrand. Im Gegensatz zu ihm war ich am Ende des Tatorts nicht «happy», sondern nachdenklich. Spiegel online: «7 von 10 Punkten. Hier werden kompromisslos die Lebenden mit den Toten konfrontiert. Ein "Tatort", der kein Wohlfühlende verspricht». So sieht eine für mich relevante TV-Kritik aus.
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