19.08.2014

AAH!!! WOOOW!!! EM ZÜRI!

Jetzt, wo die Leichtathletik EM 2014 in Zürich Geschichte ist, kennen wir alle Mujinga Kambundji, Marisa Lavanchy sowie Ellen und Léa Sprunger. Ihre nackten Bäuche haben wir allerdings schon vor der EM und dem Patzer im Final der Staffel auf Hängern im Tram oder auf Plakatwänden peripher wahrgenommen und uns gefragt, was uns diese mitteilen wollen. Nach der Überwindung der angebrachten Zurückhaltung beim genaueren Betrachten nackter Bäuche im öffentlichen Raum wurden wir auch nicht schlauer. Für das durchschnittliche Auge war nur die Botschaft "Zürich 2014" entzifferbar.

Das begleitende Logo, eine graphisch freie Interpretation zwischen Geburtstagskuchen und Stonehenge, half auch nicht weiter. Also liess man nackte Bäuche, Startnummern, Stafettenstab und Stadion im Hintergrund noch etwas auf das assoziative Gedächtnis wirken und – oh Wunder – machte dieses daraus das Letzigrund. Wir lernten: Irgendetwas mit Leichtathletik wird im Letzigrund stattfinden. Weltklasse Zürich vielleicht? Egal, zumindest erhielten nackte Bäuche und das Zeichen damit ein bisschen Sinn.

Branding von Ärger
Plötzlich ist aber die halbe Stadt mit farbigen Bannern versehen, auf denen wir das besagte Zeichen wieder entdecken, mit Botschaften wie AAAH!!!!, WOOOW!!!! oder ZÜRI! "Etwas früh für die Weltklasse Zürich, aber was soll’s, vielleicht ist es ja auch etwas anderes", wird sich mancher gesagt haben. Die meisten wissen es immer noch nicht und wollen es auch immer noch nicht wissen. Bis sie beim Einkaufen auf dem Markt behindert werden und dort nachlesen, dass der Markt in der Woche vom 12. bis 17. August 2014 wegen der Leichtathletik-EM ausfällt und es allen Marktfahrern aufrichtig leid tue und sie um Verständnis bitten. Verständnis haben wir, ärgern tun wir uns trotzdem und gebrandet wird dieser Ärger mit dem Logo der Leichtathletik-EM 2014 in Zürich.

Die nackten Bäuche werden unterdessen von den Infrastrukturbauten der x-ten Veranstaltung überstrahlt, mit der das untere Seebecken diesen Sommer bespasst wird. "Warum eigentlich ein stilisierter Letzigrund, wenn die halbe Stadt blockiert wird?", fragen wir uns. Aber immerhin haben wir kurz vor dem Start der EM mit gutem Willen die Botschaft von nackten Bäuchen und Onomatopoesie ausstossenden Logos doch noch verstanden.

Erwartungen wecken und Emotionen transportieren
Was könnte man besser machen? Der stilisierte Letzigrund mit seinen lautmalerischen Eruptionen hätte eine schöne, verständliche und wirkungsvolle Kampagne abgegeben, die für einmal ohne den in der Leichtathletik üblichen aber fragilen Personenkult ausgekommen wäre und in der Signaletik des Anlasses eine logische Weiterentwicklung gefunden hätte. Wie Dave Dollé im "Persönlich-Interview" richtig gesagt hat: "Wenn man mit Testimonials arbeiten will, müssen die Personen entweder extrem gut aussehen oder sie müssen einen hohen Bekanntheitsgrad haben." Da reichen beeindruckende aber unbekannte Six-packs eben nicht.

Auch eine Marke Leichtathletik-EM würde Sinn machen. Sie könnte den Erfolg der letzten EM einfacher auf die nächste übertragen, als eine Betriebsgesellschaft Leichtathletik-EM 2014 AG, die etwas hilflos versucht, mit Jungstars Erwartungen zu wecken und mit Cooly Emotionen zu schüren. Die Emotionen, die trotz halbvoller Ränge und gesperrter Innenstadt, dank sportlichen Höchstleistungen und sonntäglichem Wetterglück dennoch Tausende geteilt haben, wären heute nicht Schnee von gestern, sondern das Kapital der Marke Leichtathletik-EM, das sie in zwei Jahren in Amsterdam nutzen könnte. 



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