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Der Rigozzi-Irrtum

Stefan Millius

Kann sie es, kann sie es nicht? Vor dem ersten Einsatz von Christa Rigozzi für das Format «Arena/Reporter» gab es zwei klare Fronten (persoenlich.com berichtete). Die einen waren sicher, dass eine ehemalige Miss Schweiz in einem politischen TV-Format am falschen Platz ist. Die anderen hatten natürlich vorab ebenfalls keine Ahnung, ob das klappt, fanden aber generell, es spreche nichts dagegen, die Tessinerin so einzusetzen. Weil Schönheit zwar keine Qualifikation, aber auch keine Disqualifikation sein kann.

Der Ursprung der Debatte liegt tiefer. In der Schweiz darf man ganz allgemein entweder lustig oder ernst sein. Mal dieses, mal jenes zu verkörpern: Das geht nicht. Beziehungsweise höchstens in eine Richtung: Stephan Klapproth durfte als Moderator einer Nachrichtensendung einen Ausflug in seichtere Quiz-Gefilde machen, Beni Thurnheer hingegen hätte man kaum neben «Benissimo» vor ein News-Publikum gesetzt. Wer also mal für Lacher verantwortlich war, verspielt die Chance, jemals ernste Themen zu vertreten.

Welche Überlegung dahinter steht, ist schleierhaft. Ich kenne wenige Leute, die tagein, tagaus nur eine Denkermiene tragen oder den Clown spielen. Die meisten tun das im Wechselspiel. Und in anderen Ländern ist es deshalb auch völlig selbstverständlich: Wer intelligent, gut gebildet und telegen ist, darf zwischen den Welten von U und E switchen, wie es ihm oder ihr beliebt, solange das Publikum mitspielt.

Warum auch nicht? Ob es nun um die Energiewende geht oder die 1-Millionen-Franken-Frage in einem Quiz: Gefragt ist am TV in erster Linie gesunder Menschenverstand, Aufnahmefähigkeit, Einfühlungsvermögen und Schlagfertigkeit. Und was das politische Fachwissen angeht: Den Leuten, denen wir vom Sofa aus zusehen, steht immer eine Redaktion zu Diensten, die sie vorab mit Fakten füttert und eine Regie, die während der Sendung weiterhilft. Anders wäre es übrigens auch den Moderatoren von Sendungen wie «Arena» oder «Club» gar nicht möglich, sich jede Woche mit einer neuen Sachfrage zu befassen. Das wäre eine glatte Überforderung, auch für ältere Herren mit grauen Schläfen.

Seltsam genug, dass wir gerade in der Schweiz die Bewältigung politischer Fragen nur ganz wenigen Leuten zutrauen. Immerhin befassen wir uns alle mehrmals pro Jahr mit komplexen Themen, wenn es um Abstimmungen geht. Hans Muster steht seit 40 Jahren am Fliessband und verschraubt Metallteile, am Freitag geht er an den Stammtisch auf einen Jass – und am Sonntag entscheidet er darüber, ob die Unternehmenssteuerreform Sinn macht oder nicht. Das kann man gut finden oder nicht, es ist unsere Realität, und wir alle kennen sie. Aber der Glaube an die Kompetenz des Einzelnen stösst bei Herr und Frau Schweizer an Grenzen, sobald sich eine blonde Dame, die sich vor über zehn Jahren mal einem Schönheitswettbewerb stellte, politischen Themen annimmt – beziehungsweise Fragen dazu stellt. Das muss man nicht verstehen. Aber es füllt wenigstens die Blätter.


Stefan Millius ist geschäftsführender Partner der Kommunikationsagentur insomnia GmbH in St.Gallen.

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Kommentare

  • Peter Eberhard, 13.06.2017 09:55 Uhr
    Was ist denn Sportjournalismus anderes als Unterhaltung?
  • Stefan Millius, 13.06.2017 08:13 Uhr
    Unterhaltung und Sportjournalismus stehen sich nicht im Weg. Ich spreche ja im ganzen Beitrag deshalb von Politjournalismus.
  • Menzi Stefan, 12.06.2017 23:35 Uhr
    Weder Beni Turnheer noch Stephan Klapproth verkauften sich als Moderatoren an jeder Hundsverlochete oder für verschiedenste Werbung, wie zum Beispiel für fragwürdige Kleinkreditwerbung. Beide hatten Profil und waren für ein gewisses Gebiet DIE KORIPHÄEN. Das war vor allem ein Kritikpunkt bei Rigozzi. Ausserdem sollte ein/e Moderator/in nicht nur fachkundig, ernst und/oder lustig sein, sondern zum Beispiel auch eine geeignete Stimme haben, glaubwürdig sein u.s.w Zumindest bei einer öffentlich-rehtlichen Fernsehanstalt gibt es eben No-Go's, die ein Privatsender von mir aus nicht einhalten muss .... Es geht nicht nur um Blondinen und um ihre boulevardeske Vergangenheit, es geht auch um profesionnelles, glaubwürdiges Auftreten. Rainer Stadler hat in der NZZ eine sachliche, objektive Kritik geschrieben über die neue Sendung, der einzige wahre Fachexperte auf diesem Gebiet in diesem Lande, dünkt mich. Ich finde, er hat es auf den Punkt gebracht. Lesen Sie die mal. Es ist die einzige gescheite Kritik bisher, die ich über dieses ach so weltbewegende Thema Rigozzi und co. gelesen habe. Irgendwann gibts bei den Leuten übrigens eine Overdosis, ständig über Rigozzi/Projer lesen zu müssen.
  • Michael Salatic, 12.06.2017 21:05 Uhr
    Ganz schlechtes Beispiel mit Beni T. - da war doch was mit Sportjournalismus?
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