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Rückwärtsstrategie

Roger Schawinski

Leo Schürmann war ein aussergewöhnlich fähiger Mann. Der gelernte Jurist konnte in einer einzigen Nacht ein pfannenfertiges Gesetz entwerfen. Als CVP-Nationalrat leistete er auch sonst Hervorragendes, ebenso wie später als Mitglied der Direktion der Nationalbank und als Preisüberwacher. Doch als seine grosse, von ihm so sehnlichst erhoffte Chance, Bundesrat zu werden, endlich kam, wurde sie in allerletzter Minute zunichtegemacht. Nur Minuten bevor er an die Reihe gekommen wäre, wurde der Solothurner Willy Ritschard in die Landesregierung gewählt, und damit fiel Schürmanns Traum in sich zusammen. Die damals geltende Klausel, die ein Verbot von zwei Mitgliedern aus demselben Kanton beinhaltete, hatte ihn also ausgebremst. Diese Niederlage prägte ihn von da an bis ins Mark. Als ich ihm in einem Radio-Interview meine übliche Eingangsfrage stellte, antwortete er wie aus der Pistole geschossen: «Ich bin der, der nicht Bundesrat geworden ist.»

Als einer von mehreren Trostpreisen machte man ihn 1981 zum SRG-Generaldirektor, obwohl er sich nicht intrinsisch mit Medien beschäftigte und weder Radio noch Fernsehen richtig nutzte. Als ich ihn in einer Kolumne deshalb als «vegetarischen Metzger» betitelte, verzieh er mir das nicht, weil er sich wohl ertappt fühlte. Es waren eben nicht die Programminhalte, die ihn interessierten, sondern es war die Ausweitung der Machtbasis, so wie er es als Politiker über Jahrzehnte hinweg gelernt hatte. Und so erfand und verkündete Leo Schürmann für die SRG die «Vorwärtsstrategie» mit immer neuen Kanälen und immer weiteren Angeboten. Dieses klare Konzept wurde von seinen Nachfolgern weitergeführt, die sich ebenfalls darauf konzentrierten, den dominierenden Platz im sich rasant ausweitenden Medienbereich abzusichern. Und so wurde die Vorwärtsstrategie zur DNA der SRG.

Doch dann geschah Unerwartetes. Als Folge sowohl der Finanzkrise als auch der digitalen Revolution geriet die Branche zuerst in eine kaum beachtete, dann in eine mit Bestürzung erlebte existenzbedrohende Krise. Und damit verschärften sich die Verteilkämpfe, vor allem weil die mehrheitlich mittels Gebühren alimentierte SRG durch diese Entwicklungen viel weniger tangiert wurde. Dies führte in den letzten Jahren zu einer teilweise unheiligen Allianz von politischen und wirtschaftlichen Gegnern der SRG, die das bisherige System aus den Angeln heben wollen. Da ist einerseits die fundamentalistische No-Billag-Bewegung, die der SRG den Garaus machen will, denn ohne Gebühren kann kein öffentlich-rechtliches Fernsehen funktionieren. Nur etwas subtiler ist der zweite Ansatz, mit dem man die SRG in ihrem Grundverständnis treffen will, indem man ihr per Parlamentsbeschluss die Angebotspalette massiv beschneiden möchte. 

Unter dem nebulösen Begriff des Subsidiaritätsprinzips wollen Politiker, die in ihrer Mehrzahl keinen blassen Schimmer von den in unserem Land bestehenden Refinanzierungsmöglichkeiten des privaten Fernsehens haben, einen Katalog von Sendebereichen definieren, aus denen sich die SRG verabschieden muss, um Platz für Angebote anderer einheimischer Veranstalter zu schaffen. Da sich das politische Klima in den meisten gesellschaftspolitischen Bereichen immer weiter eintrübt, könnte dieser Ansatz deshalb zu gefährlichen Verschlimmbesserungen mit Langzeitschäden führen. 

Was also ist zu tun, damit das Kind nicht in den Brunnen fällt? Einfache Lösungen gibt es leider auch hier nicht. Zur Verfügung stehen nur schmerzliche Entscheide, die alles Bisherige infrage stellen. So wie sich private Medienunternehmen laufend neu erfinden müssen, um zu überleben, sollte auch die SRG ans Eingemachte gehen. Nach Jahrzehnten der Vorwärtsstrategie sollte sie nun auf intelligente Weise und ohne unsinnige Abstriche eine Rückwärtsstrategie entwickeln, die den veränderten Bedingungen entspricht. Dies ist weder attraktiv noch sexy, sondern äusserst schmerzhaft. Aber sie wäre weniger unvorhersehbar und potenziell katastrophal, als es das Festhalten an bisherigen Dogmen sein würde.

Ich könnte mir vorstellen, dass der schlaue Oberst Leo Schürmann diese Zeichen der Zeit richtig gedeutet und aus taktischen Gründen eine geordnete Rückwärtsstrategie ausgeheckt hätte. Vielleicht nicht in einer einzigen Nacht, aber wohl bevor Schlimmeres geschehen wäre.

 

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Kommentare

  • Ernst Jacob, 24.12.2016 02:43 Uhr
    > Einfache Lösungen gibt es leider auch hier nicht. Logisch nicht, es geht ja schliesslich auch um die Mediale Substanz, für alle Beteiligten. Und alle hätten sie doch nur zu verlieren, würde die Billag Initiative vom Volk angenommen. Der Bund ist Teil unserer Wirtschaft, und die Wirtschaft gehört zu einem Teil dem Bund. So funktioniert halt unser gemischt-wirtschaftliches Polit-System, und so soll es auch bleiben. Zumindest hofft man es, denn sonst wäre man ja gezwungen, über ewige Zeiten schon Lieb Gewordenes plötzlich völlig ändern zu müssen. Die sogenannte Liberalisierung, mit teils subventionierten Privaten, wurde ja auch sowas, was mit MARKT überhaupt nichts zu tun hat. Es wird daher wohl noch eine Weile dauern, wahrscheinlich, bis die Secondos als Stimmende die Mehrheit innehaben, und ohne Verständnis für, und Rücksicht auf, althergebrachtes gut-kollegiales Brauchtum unter Freunden. Und sicher schon gar nicht unter dem finanziellen Aspekt! Meine ich wenigstens.
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