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Uber makes the world go round

Manfred Klemann

Die letzte Geschäftsreise vor Ostern führte mich einige Tage nach Los Angeles. In La La Land wollten wir uns umschauen nach neuen Investments und der Auswirkung von Trump in Kalifornien. Also stimmungsmässig kann man schon mal sagen: Trump, der in der Schweiz, in Deutschland und im restlichen Europa zu geradezu apokalyptischen Untergangsszenarien bei Medien und Meinungsmachern führt, ist dort gar kein Thema. Trump ist für den Kalifornier eine Präsidentenpuppe, die in Washington spielt und den Lauf im «never raining»-Land nicht tangiert. Und wenn, dann positiv. Denn die geplante Unternehmenssteuerreform, die einen Steuersatz von fünfzehn Prozent bei den Gewinnsteuern für Unternehmen bringen soll, würde für die Giganten im Silicon Valley bedeuten, dass sie ihre Hunderte von Milliarden Dollar an geparkten Auslandsgewinnen endlich in die USA zurückführen könnten. Um dann noch mehr in Wachstum, Wohlstand und Innovation zu investieren.

Die Stimmung dort ist also gut und der Wandel in die digitale mobile Welt im täglichen Leben real zu erleben. Vom Hotelzimmer im Chateau Marmont am Sunset Boulevard in Hollywood beobachtete ich eine (Jetlag-)Nacht lang das Treiben vor dem angesagten Nachtclub The Den on Sunset. Hunderte Gäste kamen und gingen in einer Stunde. Ja, aber wie kamen sie denn? Im eigenen Auto? Nein. In einem Taxi? Nein. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln? In Los Angeles? Nein. Sie kamen fast zu hundert Prozent mit Uber oder dessen Konkurrenten Lyft. Noch nie habe ich erlebt, wie eine Mitfahrsoftware mit genialem Zahlsystem und einfacher Handhabung einen Milliardenmarkt in so wenigen Jahren umgepflügt hat. Ich sah vielleicht fünf reguläre Taxis in dieser schlaflosen Nacht die Gäste des Nachtclubs bedienen. Alle anderen schauten auf ihr Handy – und erwarteten ihren individuellen Uber-Fahrer. Das ging fix, problemlos und schnell. Und wenn man Uber-Nutzer ist, springt man ins gepflegte Auto, kommt an und springt raus. Kein Nesteln mit dem Portemonnaie, keine Diskussionen mit dem unzufriedenen Taxifahrer, kein Ärger mit verrauchten, abgewetzten, liederlichen Fahrzeugen. Auch wenn das alte Europa den altertümlichen Fuhrunternehmern weiter die Stange halten möchte, Uber, Lyft und Didi in China – Uber ist daran mit zwanzig Prozent beteiligt – werden den Taxibetrieb in Städten und hoffentlich bald auch auf dem Lande bestimmen.

Und was ist so innovativ daran? Dasselbe, was das Internet insgesamt ausmacht: Transparenz – man kennt den Fahrer, das Fahrzeug, dessen Standort und die Wartezeit; einfache Bezahlmethode, Sauberkeit und Freundlichkeit – man kann jede Fahrt sofort bewerten, wobei schlecht bewertete Fahrer/Fahrzeuge aussortiert werden (wie viele blieben da bei den klassischen Taxibetrieben in Berlin noch übrig?), und nutzerorientierte App- Technologie.

So einfach ist das also! Na ja, ein brillanter Kopf hinter jedem Wandel und einige Milliarden an Wagniskapital sind schon nötig. Und die findest du nun mal im Silicon Valley beziehungsweise in Kalifornien.

Vor zwanzig Jahren habe ich mir auf einer Kalifornien-Reise einen Zettel beschrieben mit all den Dingen, von denen ich annahm, dass sie durch das Internet einen Umbruch erfahren würden. Also solche offensichtlichen wie die tägliche Papierzeitung, das Magazin, die Reisebuchung, die Hotelbuchung, das Kaufen und Verkaufen von Gebrauchsgegenständen, die Wetterinformation, das Auktionswesen oder die Themensuche. Leider habe ich dann nur eines davon, die Wetterinformation, in Deutschland und Europa angepackt und daraufhin wetter.com gegründet. Dabei lag vor zwanzig Jahren (welch kurze Zeit, seien wir ehrlich) alles offen vor einem. Und all die Dinge, aber noch viel, viel mehr, sind heute vollständig ins Netz übergegangen. Und die digitale wird zur mobilen Revolution – selbst Achtzigjährige tragen heute wie selbstverständlich ihr Handy vor der Nase spazieren.

Die Generation Mobile wird sich eine Welt ohne das magische Viereck nicht mehr denken können. Nach einer weiteren schlaflosen Nacht im Chateau Marmont – nach der Feier zum fünfzigsten Geburtstag des ehemaligen Blick-Chefredaktors Peter Röthlisberger, der überraschend geladen hatte (herzlichen Glückwunsch!) – schreibe ich einen neuen Zettel mit den Dingen, die nun aufs Smartphone wandern: Filme, News, Dokus und Shows abrufen und auf grössere Bildschirme übertragen. Lieferungen mit einem Uber-System abwickeln. Frische Produkte via Drohnen erhalten, die diese auf dem Balkon abstellen. Alle Verbrauchsprodukte im Haushalt, die fehlen und nötig werden, werden zur Bestellung direkt vom Haushaltsgerät auf die Handy-App geschickt. Völlig autonome Elektroautos bedienen, die Staus und Unfälle nicht mehr kennen. Alle Beziehungsthemen (Kennenlernen, Paarprobleme lösen, Heiraten, Kinder bekommen). Alle Geldgeschäfte, einschliesslich Hauskredite und Firmenfinanzierungen. Alles, was Reservierungen erfordert (Arzt, Restaurant, Klinik) ...

Also, es werden noch einige «unicorns», wie Uber eines ist, entstehen, oder sie sind sogar schon gegründet. Alles wird kommen, aber nicht alles scheint wünschenswert. Vor allem auch die regelrechte Handysucht unserer Tage wird zu neuen Arbeitsplätzen führen. Die Betty-Ford-Klinik in Kalifornien soll sich schon auf Handysüchtige eingestellt haben. Nicht mehr der Drogen- oder Alkoholfreak geniesst die ganze Aufmerksamkeit der besten Psychiater, sondern der arme Wurm, der (wie heute schon ein fünfjähriges Kind) in einen Schockzustand verfällt, wenn man ihm das Handy wegnimmt oder wenn es einfach nur kaputtgeht. Der Begriff Abhängigkeit, auch das eine Erkenntnis, die heute schon in La La Land zu sehen ist, betrifft nicht mehr Partner, Kinder, Drogen, Rauchwaren ..., sondern dieses Miststück Smartphone. In der Los Angeles Times – der gedruckten – lese ich von ersten Untersuchungen an vier- bis zehnjährigen Kindern, die auf die Frage, auf wen sie für den Rest ihres Lebens eher nicht verzichten wollten, Vater oder Handy, zu neunzig Prozent mit Handy antworten.

Auf dem Büchertisch der einzigen verbliebenen stationären Buchhandlung in Downtown Los Angeles (Caravan Book Store) finde ich prominent auf dem ersten Büchertisch «Brave New World», «1984», «We» von Yevgeny Zamyatin und «Alice in Wonderland». Auf dem Rückflug nach Zürich schaue ich glücklich «La La Land», zum dritten Mal – diesen meisterlichen Film, der nur eines vermitteln will: Glaubt an eure Träume, und eure Träume glauben an euch. Wenn ich das jetzt in Europa, in Zürich so niederschreibe, klingt das kitschig und fürchterlich. Aber ist es das wirklich?

 

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