11.01.2021

Serie zum Coronavirus

«In der Reduktion das Schöne entdecken»

Der Philosoph Ludwig Hasler findet, der Satz «Jeder Tote ist einer zu viel» sei falsch. Im Interview für die Folge 150 unserer Serie hofft er, dass die Leute nach der Pandemie einen Gegenentwurf zum überdrehten Konsum leben werden.
Serie zum Coronavirus: «In der Reduktion das Schöne entdecken»
«Wer, wenn nicht die Jugend, braucht unbedingt Freiheit?», fragt der 76-jährige Philosoph und Publizist Ludwig Hasler. (Bild: ludwighasler.ch)

Herr Hasler, wie erlebt ein Philosoph eigentlich die Jetztzeit?
Wie alle: körperlich. Also defizitär – kein Auslauf, null Fremdbegegnung, Tendenz: einrosten. Das macht keine Philosophie wett. Etwas Trost bringt sie dennoch, einfach durch Denken. Ich sage mir zum Beispiel: Na ja, früher lebte ich prächtig umtriebig, kam mir dabei aber manchmal gar nicht so souverän vor, eher als Anhängsel des Terminkalenders. Nun, wo die äusseren Freiheiten beschränkt sind, kann so etwas wie eine innere Freiheit erwachen.

Ist diese ganze Pandemie eine Strafe Gottes oder das Rückschlagen der Natur, wie man auch schon hören konnte?
Viren haben keinen Absender, sie erfüllen keinen Auftrag. Gott ist nicht unser Sparringspartner. Die Natur auch nicht. Natur ist alles. Wir haben bloss die Wahl: Spielen wir schlau mit im Konzert der Evolution – oder kippen wir uns da hinaus? Will sagen: Klar, wir haben diese Pandemie provoziert, durch die Art, wie «wir» über den Planeten fuhrwerken. 

«Das Leben ist ein Resonanz-Theater. Fällt der Vorhang, wird das empfindlich klar»

Sie sind ein erfolgreicher Vortragsredner. Wie fest hat Sie Corona dabei getroffen?
Den Vortragsredner hat sie pensioniert. Also publiziere ich halt mehr. Die Auftritte vermisse ich trotzdem, vor allem das Drum und Dran, die Nervosität, die Aufregung, die Resonanz hauptsächlich, die Geselligkeit auch, das Kennenlernen interessanter Leute. Das Leben ist ein Resonanz-Theater. Fällt der Vorhang, wird das empfindlich klar.

Wie wird sich die Welt nach der Pandemie verändern?
Ich fürchte: kaum. Ich hoffe: gründlich. Ich habe, nur zum Beispiel, den Christbaum dieses Mal minimalistisch geschmückt: nichts als rote Kerzen, bunte kleine Vögel, rote Äpfel – und siehe da, er wirkte majestätischer, ruhiger, prachtvoller als früher mit all den Kugeln und dem Glitzerzeug. Wäre vielleicht ein schlaues Programm. Verzicht ist natürlich nie attraktiv. Aber in der Reduktion das Schöne entdecken, das Intensive, das Erfüllende? Könnte taugen als Gegenentwurf zum überdrehten Konsum, zum billigen Eskapismus.

Sie haben auf blick.ch gesagt, der Satz «Jeder Tote sei einer zu viel» sei falsch. Warum?
Weil Sterben normal ist. Wir werden alle absehbar tot sein, 100 Prozent. Es mag Experten der Viren-Prävention beleidigen, wenn Leute am Virus sterben. Gegen die Menschenwürde ist das trotzdem nicht. Der Skandal ist doch nicht das Sterben, sondern eine menschenunwürdige Art zu sterben. Oder das Verpassen des Lebens. Vielleicht stellen wir uns jetzt die alte Frage etwas öfter: Will ich möglichst viele Tage in meinem Leben – oder möglichst viel Leben in meinen Tagen?

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Sie haben vergangenes Jahr das erfolgreiche Buch «Für ein Alter, das noch was vorhat» (Rüffer & Rub) geschrieben. Sie selbst gehören der Risikogruppe der Senioren an. Wie gehen die älteren Menschen mit Corona um?
Manche erwachen aus ihrem Unsterblichkeitstraum und bringen sich panisch in Sicherheit. Andere gewinnen eine heitere Gelassenheit zu ihrer Endlichkeit und leben intensiver im Augenblick. Schwierig wird es für die, die ohnehin einsam sind. Einsamkeit ist die Geissel des Alters. Sie wird drastischer durch die Devise, zu Hause zu bleiben. Gut möglich, dass die Idee der Alters-WG populärer wird.


Nun folgen sich im Leben Hoch und Tief. Sehen Sie bereits einen Hoffnungsschimmer?
Wir könnten uns mit dieser Dramaturgie anfreunden. Vor Corona waren wir strikt fortschrittsoptimistisch. Wir dachten, noch zwei, drei Schritte – und wir sind oben auf dem Berg. Der Wohlstand im Trockenen, Gesundheit garantiert, Schicksal abgeschafft. Nun ist klar: Das Schicksal ist nicht abgeschafft, wir sind am Berg, nicht auf ihm. Herumhocken und picknicken? Klettern! Ist auch prima.

Lassen Sie sich selbst impfen?
Schon passiert.

«Gut möglich, dass die Idee der Alters-WG populärer wird»

Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Wochen?
Der Freiheitsverzicht der Jugendlichen. Manche werfen den jungen Menschen Gleichgültigkeit vor, sie hätten nichts als Spass und Party im Kopf. Ich erlebe das eher umgekehrt – und muss sagen: Wer, wenn nicht die Jugend, braucht unbedingt Freiheit? Die jungen Menschen sind darauf angewiesen, hinauszugehen ins Leben, sich im Austausch mit anderen zu entdecken, zu erproben, zu formen. 


Ludwig Hasler studierte Philosophie und Physik, Germanistik und Klassische Philologie. An der Universität Zürich promovierte er in Philosophie mit einer Dissertation zur Bedeutung der Skepsis in der Philosophie. Er ist heute ein erfolgreicher Publizist und Vortragsredner. (ma)





Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com regelmässig eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.

 


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KOMMENTARE

Michel Bossart
12.01.2021 09:18 Uhr
Vielen Dank für dieses wohltuende und aufschlussreiche Interview. Ludwig Haller spricht mir aus dem Herzen. Es sollten viel mehr Philosophen in Entscheidungsfindungsgremien (wie zum Beispiel die Corona-Taskforce) mit einbezogen werden!
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