01.02.2018

Die Vierte Gewalt

Von ratternden Druckmaschinen zu Selfiestick-Interviews

In seinem Dokumentarfilm zeigt Dieter Fahrer die Veränderung der Medien am Beispiel von «Bund», «Watson», «Echo der Zeit» und «Republik» auf. Schafft es der Regisseur die wesentlichen Entwicklungen der Branche aufzuzeigen? persoenlich.com beurteilt den Film.
Die Vierte Gewalt: Von ratternden Druckmaschinen zu Selfiestick-Interviews
Die «Watson»-Redaktion an einer Sitzung mit Chefredaktor Maurice Thiriet (mitte). (Bild: Still aus dem Film)
von Michèle Widmer

Umstrittener Service public, Kostendruck und folglich weniger Entwicklungsspielraum für Journalisten. Kurz vor der Abstimmung über «No Billag» kommt ein Film in die Kinos, der einen Einblick in das Schaffen auf Redaktionen gewährt. Er zeigt die Veränderungen auf, welche die Digitalisierung für Medienschaffende sowie Konsumenten bringt. Zwei Jahre lang ist der Berner Regisseur Dieter Fahrer mit seinem Team für den Dokumentarfilm «Die Vierte Gewalt» in die Welt der Medien eingetaucht. In diesen Tagen feiert der Film an den Solothurner Filmtagen Premiere.

Im Film sprechen Chefredaktoren, Reporterinnen, Moderatoren und Redakteure von der Tageszeitung «Bund», dem Onlineportal «Watson», der SRF-Radiosendung «Echo der Zeit» und zum Schluss auch noch die Macher des neuen Onlineportals «Republik». Die Rollen, welche die einzelnen Medien im Film wahrnehmen, sind klar verteilt. Während der «Bund» für Spardruck steht und der Zuschauer dabei ist, wie ein Teil der Redaktionsbüros geräumt werden muss, dient das «Echo der Zeit» als Beispiel des Qualitätsmediums. Gezeigt wird das anhand der Berichterstattung über die Masseneinwanderungsinitiative.

Bei «Watson» hingegen spielen sie Pingpong und reden an der Redaktionssitzung darüber, was das Ressort Spass an diesem Tag liefert: Cartoons zum Thema Menstruation. Die «Republik», welche erst im zweiten Teil des Films hinzu kommt, steht für Hoffnung und neue Wege im Journalismus. Auch wenn diese klischeehafte Darstellung der Medien in gewissen Teilen etwas übertrieben erscheint, ist sie wohl nötig, um dem medienfremden Zuschauer aufzuzeigen, welche Tendenzen es in der Branche gibt.

Wo bleibt die Stimme junger Konsumenten?

Während die Journalistinnen und Journalisten über ihre Arbeit reden, nimmt der Regisseur selbst die Rolle des Konsumenten ein. «Bin ich vielleicht einfach zu alt?», fragt der 60-Jährige in der Off-Stimme. Sicherlich zu alt, um den Wandel der Medien zu verstehen, sind seine Eltern, beides passionierte «Bund»-Leser», deren Umzug ins Altersheim dem Regisseur den Anstoss für den Film gegeben hat. Der Zuschauer sieht, wie Margrit ihrem Gatten Ernst einzelne Zeilen aus der Zeitung vorliest. Und wie sie – mit dem «Bund» als Unterlage – Bohnen spitzelt oder Kartoffeln schält. Die Stimme eines jungen Mediennutzers fehlt. In die Bresche springt «Watson»-Reporterin Rafaela Roth, die heute für den «Tages-Anzeiger» schreibt. «Ich spüre die Explosion nicht», sagt sie angesprochen auf die Informationsflut, die aufgrund des Internets auf die Nutzer einprasselt. «Ich glaube, meine Generation surft irgendwie gefilterter.»

Dass «Watson» nicht nur Katzenvideos und Livekamera-Schaltungen auf eine Strassenkreuzung in den USA liefert, zeigt Roth mit einer Reportage über die Wiedervereinigung einer syrischen Flüchtlingsfamilie. Sie fährt dafür nach München – filmt mit dem Handy und schreibt die Reportage im Zug. Beim «Bund» hingegen befinden sich die Redaktorinnen und Redaktoren im Onlineproduktionskurs und empören sich darüber, dass im Internet auch ein Essay einen Lead braucht. «Ich schraube manchmal stundenlang an einem Einstieg», erklärt Redaktor Marc Lettau mit verständnislosem Blick in die Kamera. Trotzdem zeigen sich die Protagonisten vom «Bund» überraschend positiv. «Ich habe das Gefühl, dass sich der Journalismus ganz stark verbessert», sagt etwa Chefredaktor Patrick Feuz. Wenn ein Redaktor von einer Pressekonferenz zurückkehre, seien die Leser durch Liveticker und Breaking News bereits informiert. Das zwinge Journalisten, tiefer zu gehen.

Unterschiedliche Finanzierungsmodelle

Gegen Ende des Films kommt Fahrer auf die Finanzierungsmodelle zu sprechen. Bei «Watson» kommt das Geld unter anderem von Native Ads. Eindrücklich ist die Szene, wo Olaf Kunz, der den Bereich Native Advertising damals bei «Watson» leitete, vor die Redaktion tritt und sagt: «Sorry, dass ihr wieder so viele Native Ads machen müsst. Aber wir sind damit weit über dem Businessplan. Das sichert uns über das nächste Jahr ab». Dass «Watson» nach vier Jahren noch keine schwarzen Zahlen schreibt, bleibt im Film eine Randbemerkung.

Bei der «Republik» bringt der Film das Thema Abhängigkeit der Medien aufs Tapet. Das Onlineportal, welches beim Dreh nicht mehr als ein Versprechen war, verzichtet auf Werbung und setzt auf Abonnenten sowie externe Geldgeber. Trotz des grossen Optimismus, den Christof Moser und Constantin Seibt versprühen können, findet Fahrer auch kritische Worte: «Die Repulik will Journalismus ohne Werbung machen. Doch bis jetzt liefern sie nur Werbung ohne Journalismus.»

Stimmen der Verleger fehlen

Das grundlegende Problem der Printzeitungen erfahren die Zuschauerinnen und Zuschauer aus dem Mund von «Bund»-Redaktor Jürg Sohm: «Das Rubrikengeschäft ist ins Internet abgewandert», sagt er. Tamedia habe das mit Onlineportalen relativ gut aufgefangen. In die Zeitungen reinvestiert werde das Geld allerdings nicht. Spätestens hier fehlt die Stimme von Tamedia-Verleger Pietro Supino. Generell fragt man sich, wo die Statements der Verleger, welche die strategischen Entscheide treffen, bleiben.



Der Film liefert einen umfassenden Einblick in den Arbeitsalltag von Journalisten und zeigt, wie unterschiedlich der Job eines schreibenden Redaktors sein kann, je nach dem, ob er bei «Watson» oder dem «Bund» arbeitet. Er führt vor Augen, wie stark sich Medienschaffende in Zeiten der Digitalisierung mit dem Spardruck im Rücken weiterbilden und entwickeln müssen. Was im Film fehlt, ist die seit Jahren geführte und wichtige Debatte um die Aufgaben und Grenzen des Service public. Es hätte sich angeboten, das beim Beispiel «Echo der Zeit» aufzunehmen. Anstatt dessen hat der Regisseur bei der Radionsendung die Finanzierung – im Gegensatz zu den anderen drei Medien – ausgeklammert.

Aktuellere Entwicklungen konnte Fahrer in seinem Film nicht aufnehmen. Der Film ging 2017 in den Schnitt. Themen wie die bevorstehende Abstimmung zu «No Billag» oder die Zusammenlegung verschiedener Redaktionen liefert der Regisseur am Schluss in kurzen Informationsblocks nach. Dass dies nötig ist, zeigt eines: Wie schnell sich die Branche momentan wirklich bewegt.


«Die Vierte Gewalt» läuft ab dem 8. Februar in den Schweizer Kinos.



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Kommentare

  • Michèle Widmer, 01.02.2018 09:59 Uhr
    Lieber Dieter, vielen Dank für deinen Kommentar. Ich habe mich – vor allem beim Beispiel «Bund» – in eine Zuschauerin versetzt, die nicht in der Medienbranche arbeitet. Da hätte ich mich wohl gefragt, was die verantwortliche Person – also Verwaltungsratspräsiden Pietro Supino – zu dieser Misere sagt. Ich finde es angemessen, dass in deinem Film für einmal die Journalistinnen und Journalisten zu Wort kommen. Und es ist nachvollziehbar, dass du als Regisseur diesen Fokus so legst. Das eine oder andere Statement von einem Verleger hätte meiner Ansicht nach aber nicht geschadet.
  • Hansjörg Ryser, 01.02.2018 09:06 Uhr
    Als langjähriger Journalist, der die Seiten gewechselt hat, finde ich den Film sehr gelungen. Er wird dem Medienalltag gerecht - ohne Polemik. Pflichtstoff für alle Studis an den viel zu vielen Kommunikationsschulen. Interessant wäre zu erfrahen, wie die Kinder/Enkel von Ernst und Margrit Informationen beziehen.
  • Dieter Fahrer, 31.01.2018 21:52 Uhr
    Liebe Michèle Widmer, danke für deinen Beitrag über unseren Film. Dass die Verleger im Film nicht vorkommen ist Absicht. Wir haben zwar mit Pietro Supino (Verwaltungsratspräsident der Tamedia AG und Präsident des Verbands Schweizer Medien) gedreht, aber in der Montage des Films alles rausgeschnitten. Man entfernt sich als Zuschauer sonst zu sehr von den JournalistInnen, von ihrem Alltag, von ihrem Bemühen, Gelingen und Scheitern. Die Verleger sind eben gerade nicht Teil ihres Alltags, sondern sie setzen ihre Entscheide aus der Ferne durch. Da ist es doch viel eindringlicher mitzuerleben, wie ein Teil der Redaktion geräumt werden muss, wie aus Platzmangel ganze Schränke mit Papier in den Müll geworfen werden, wo sie doch eigentlich das über Jahre gewachsene Archiv darstellen. Mich interessieren der Alltag und die Haltung der JournalistInnen und nicht das verbale Reinwaschen der Sparentscheide durch publizistische Machtträger. Oder kannst Du dir nicht vorstellen, wie letztere mit gut klingenden Argumenten das Fit-machen der Branche anpreisen? Herzliche Grüsse Dieter Fahrer Regisseur von «Die Vierte Gewalt»
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