03.03.2016

Scholz & Friends

Vom Möbelstück zum Häuserbau

Scholz & Friends sollte für USM Haller eine Jubiläumskampagne konzipieren. Daraus entstanden ist die Kulturinitiative «Rethink the Modular», die selbst den Londoner Bürgermeister beschäftigt. Im Gespräch mit persoenlich.com erzählt Lukas Frei, Geschäftsführer Kreation der Zürcher Agentur, wie Werbung Innovation anregen kann.
Scholz & Friends: Vom Möbelstück zum Häuserbau
von Lucienne Vaudan

Herr Frei, was ist die Kulturinitiative «Rethink the Modular?»
«Rethink the modular» ist Teil der Kampagne project50, die wir zum 50-jährigen Jubiläum von USM Haller entwickelt haben. Das Ziel war nicht einfach die ruhmreiche Geschichte des Klassikers zu feiern, sondern einen Blick nach vorne zu wagen. Wir wollten der Marke USM neuen Schwung verleihen und aufzeigen, dass das modulare Konzept auch in Zukunft nichts an Relevanz einbüssen wird.

Also versteckt sich hinter dem Namen eine Marketingstrategie?
Viel mehr als das. Wir luden 60 Design-, Architektur- und Kunststudenten aus sieben renommierten Hochschulen dazu ein, unter der Leitung der beiden Kuratoren Tido von Oppeln und Burkhart Meltzer und sieben namhaften Designern und Architekten, Modularität neu zu denken und mit USM in einen inspirierenden Dialog einzutreten. Entstanden sind dabei sieben sehr unterschiedliche Projekte, die im Rahmen der Jubiläumskampagne in verschiedensten Formen als Content aufgegriffen wurden. Die sechsmonatige Entwicklung vom einwöchigen Initialworkshop in Boisbuchet bis zur Finalisierung der Projekte für die Ausstellung in Mailand wurde mit zahlreichen Videoposts auf einer digitalen Plattform dokumentiert. Im Rahmen der Milan Design Week wurden die Projekte in einer umfangreichen Ausstellung zusammen mit Klassikern der Modularität ausgestellt. Und schliesslich werden die Projekte auch in der Publikation „rethinking the modular“, einem eigentlichen Kompendium zum Thema Modularität, dokumentiert. Das Buch wird im April beim renommierten Kunstbuchverlag Thames & Hudson erscheinen.

Eines der Resultate dieser Initiative ist eine Software für den Häuserbau. Damit soll der Wohnungsnot in London entgegengewirkt werden. Vom Büromöbel zum Wohnblock – wie kam das zustande?
Das Team der Londoner AA um Wolf Mangelsdorf entwarf im Workshop tatsächlich eine Software für modularen Wohnungsbau. Das Potential der Idee war so gross, dass die Software weiterentwickelt wurde und mittlerweile dermassen ausgereift ist, dass sie für grosse Bauprojekte verwendet werden kann. Die modulare Bauweise erlaubt auf der einen Seite individuelle Wohnungen, auf der anderen Seite einen viel effizienteren Bauprozess der weniger Ressourcen verschlingt.

Aber werden diese Wohnungen denn auch gebaut?
Es gab bereits mehrere Meetings mit der Londoner Stadtregierung, mit Bauherren und mit Investoren. Wegen der akuten Wohnungsnot in London, insbesondere auch im Bereich Sozialwohnungen ist der Lösungsansatz von Mangelsdorf für die Londoner Baubehörde von höchstem Interesse. Das Thema Wohnungsnot dominiert momentan alle politischen Debatten in London. Zudem diskutiert Mangelsdorf mit seinen Partnern gerade darüber, die diesjährige Biennale in Venedig als Plattform zu nutzen, was thematisch sehr gut passen würde.

Sie sollten Werbung für einen Designklassiker machen und haben eine mögliche Lösung eines gesellschaftlichen Dilemmas angeregt. Absicht oder Nebeneffekt?
Dass genau dieses Projekt gegen die Londoner Wohnungsnot entstanden ist, war natürlich nicht vorauszusehen. Volle Absicht war es jedoch, weit über die Kampagne hinaus einen gesellschaftlichen Dialog darüber anzustossen, welche Probleme unserer Gesellschaft wir in Zukunft mit dem Konzept der Modularität lösen können. Der Grund ist ein ganz einfacher. Ein Möbelstück wie das USM Haller Regal wird nicht einfach durch langanhaltenden Absatz-Erfolg zum Klassiker. Vielmehr ist es die designgeschichtliche und gesellschaftliche Bedeutung die es dazu macht. USM Haller hat dieses Fundament, jedoch ist es, insbesondere weltweit, kaum bekannt. Daher war es für uns nur logisch, die Kampagne zum 50-Jahr Jubiläum rund das Kernanliegen, das am Anfang der Produktgeschichte stand, aufzubauen: Wie kann man durch Modularität im Möbelbau die Welt für uns Menschen verbessern.

Empfinden Sie es als Aufgabe der Werbung, nicht nur Produkte anzupreisen sondern eben auch gesellschaftlich relevante Themen anzupacken?
Ich sehe dies nicht so sehr als Aufgabe oder Dienst an der Gesellschaft. Vielmehr ist es doch so, dass in der heutigen, schnelllebigen und oberflächlichen Gesellschaft echtes Engagement immer seltener wird. Daher wird es für Marken immer mehr zu einer der vielversprechendsten Möglichkeiten, sich zu differenzieren, sich zu profilieren und damit eine tiefgründige, nachhaltige Begehrlichkeit zu schaffen.

Sie haben mit Ihrer Agentur Scholz & Friends dieses Projekt konzipiert. Was waren Ihre Gedanken bei der Planung?
Werbung für Möbel funktioniert eigentlich immer gleich. Man inszeniert schöne Möbel in einem ebenfalls schönen Umfeld. So schafft man zwar ein Gefühl von Exklusivität, was durchaus kurzfristig Käufer überzeugen kann. Was aber damit nicht entsteht, ist eine echte Identifikation. Dazu braucht es inspirierende Geschichten, die dem Möbelstück Sinn verleihen und es so zu einer beständigen Ikone machen. Wir wollten das Thema «Modularität» mit einer neuen Generation von Designern und Architekten völlig frei ausleuchten. Die Beeinflusser von morgen sollten damit der Marke eine neue, glaubhafte Relevanz verschaffen.

Bild: zVg

 

 

 

 

 

 



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