11.12.2016

Neue Zürcher Zeitung

«Den Verlust zu verschweigen, wäre unehrlich»

Die grösste Inland-Redaktion der Schweiz hat ab Januar keine Regional-Korrespondenten mehr. Im «Echo der Zeit» von Ende November hatte NZZ-Inlandchef Michael Schoenenberger noch von einer «Verlagerung» gesprochen. Gegenüber persoenlich.com gesteht er ein, dass es durch diese Sparmassnahme schwieriger wird, nahe bei den Leuten zu sein.
Neue Zürcher Zeitung: «Den Verlust zu verschweigen, wäre unehrlich»
Seit Mitte Oktober leitet er die NZZ-Inland-Redaktion: Michael Schoenenberger. (Bild: zVg.)
von Edith Hollenstein

Herr Schoenenberger, Sie holen die Korrespondenten aus der Nordwestschweiz, St. Gallen und Luzern in die Zentralredaktion Zürich oder nach Bern. Wie viele Mitarbeiter werden den Arbeitsort wechseln?
Zwei Korrespondenten werden künftig in der Zürcher Inlandredaktion, eine Korrespondentin in der Bundeshausredaktion arbeiten.

In der Westschweiz gibt es weiterhin eine Korrespondentenstelle. Und im Tessin?
Unser Tessiner Korrespondent wird im Tessin bleiben und wird vorläufig als freier Mitarbeiter über die Kantone Tessin und Graubünden schreiben.

Wenn die Bundespolitik «massiv an Bedeutung gewonnen hat», wie Sie vor einigen Tagen den Schritt begründeten, hätten Sie doch einfach zusätzliches Personal für Bern einstellen können. Warum sind die Korrespondenten die Richtigen hierzu?
So einfach ist das nicht, denn eine Erhöhung der Aufwendungen für die Redaktion liegt unter den gegebenen Umständen leider nicht drin. Die NZZ-Korrespondenten sind erfahrene Journalisten. Ihnen bleiben wir treu, sie sind die Richtigen, um die Standorte Bern und Zürich zu verstärken.

Wie viel können Sie so sparen?
Interna wie diese kommunizieren wir nicht.

Ist es nicht bedeutend schwieriger, mit den Leuten in der Ostschweiz oder in Luzern ins Gespräch zu kommen, zu sehen war vor Ort passiert, wenn die Journalisten in Zürich oder Bern arbeiten?
Natürlich ist es so, dass die Berichterstattung aus den Kantonen davon lebt, dass Journalisten vor Ort präsent sind. Zu verschweigen, dass wir diesbezüglich nichts verlieren, wäre unehrlich. Die jetzigen Korrespondenten, die wir nun in Zürich zusammenziehen, werden aber weiterhin einen engen Draht zu ihren momentanen Berichterstattungsgebieten haben.

Auch der Tagi hat die Korrespondenten reduziert. Wäre es nicht gerade in Abgrenzung zur Konkurrenz und mit dem Ziel vor Augen «Qualitätsjournalismus» zu liefern, der die verschiedenen Teile der Schweiz verbindet, wichtig, vor Ort präsent zu sein?
Wir werden das Inlandressort so organisieren, dass die Berichterstattung aus den Kantonen weiterhin gewährleistet ist, aber nicht mehr im gleichen Umfang wie bisher. Das Inlandressort in Zürich kennt das Fachdossier-System, mit dem wir sehr gute Erfahrungen gemacht haben, weil es uns erlaubt, Themen eng zu begleiten und die für die NZZ-Leserschaft wichtige Tiefenschärfe zu entwickeln. Analog dazu werden wir kantonale Zuständigkeiten definieren. Wir lassen die Berichterstattung aus den Regionen nicht fallen.

Sie sagten, dass durch das Internet «alle relevanten Informationen seitens Behörden online zugänglich sind». Was meinten Sie damit?
Wenn Sie vor 20 Jahren Grundinformationen wie beispielsweise parlamentarische Beschlüsse, Gesetzestexte oder Vorlagen von Kantonsregierungen beschaffen wollten, mussten Sie an den Ort des Geschehens gehen oder diese aufwändig bestellen. Diese Informationen sind heute online zugänglich. Selbstverständlich ersetzen diese Informationen keine Gespräche vor Ort, kein Telefonat, keine Recherche und auch nicht den Kontakt mit der Bevölkerung. Aber der Aufwand, an die Grundinformationen zu gelangen, hat sich dank der Digitalisierung doch erheblich reduziert.

Informationen über Prozesse, angeführte Argumente, persönliche Interessen erfahren Journalisten jedoch nur, wenn sie die Debatte mit eigenen Augen verfolgen können. Ist das nicht mehr wichtig oder kann sich die NZZ das künftig nicht mehr leisten?
Doch, das bleibt wichtig. Wir können aber doch Gerichtsprozesse, Parlamentsdebatten und andere planbare Ereignisse weiterhin vor Ort verfolgen. Auch Reportagen sind möglich. Richtig ist, dass dies künftig bei der NZZ vermehrt punktuell geschehen wird.

Und was ist mit dem Ton an den Stammtischen, auf Pausenplätzen, an Gemeindeversammlungen oder in Betriebskantinen?
Da werden wir sicher weniger präsent sein.

Inwiefern sind inhaltliche Kooperationen mit dem «St. Galler Tagblatt» oder der «Neuen Luzerner Zeitung» ein mögliches Zukunftsszenario für das Inland-Ressort der NZZ?
Derzeit ist das kein Zukunftsszenario.



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Kommentare

  • Hans Huber, 12.12.2016 14:49 Uhr
    Die Medienbrache ist die einzige Branche, die glaubt, wenn sie ihr Produkt laufend schlechter macht, überleben zu können. Beim Metzger, Bäcker oder Florist hat es nicht geklappt.... warum soll es bei der NZZ möglich sein?
  • Hans Loos, 12.12.2016 08:32 Uhr
    @Nico Herger: Nein, nicht aus Spass, aber wegen verlegerischer Fehlentscheide: Wer mit nzz.at (zum Beispiel) andernorts viel Geld in den Sand steckt, holt es bei jenen wieder rein, die sich am wenigsten wehren können, den Journalisten!
  • Kurt Mühlemann, 12.12.2016 07:08 Uhr
    @ Robert Weingart: Ich habe früher einmal beide, NZZ und Tagi, abonniert gehabt, dann nur noch die NZZ und seit dem Somm-Theater auch diese nicht mehr. Und eigentlich geht mir nichts ab!
  • Robert Weingart, 10.12.2016 10:51 Uhr
    Das, was die NZZ (Inland), aber nun auch beim Tagi (Ausland) macht, ist ein Abbau. Ein Abbau an Nähe und eine weitere Schwächung des Journalismus. Gut möglich, dass die Quittung künftig anhand der Abo-/Leserzahlen zu spüren sein wird. Die absolute Gewinnmaximierung durch gewisse Verlagsmanager fördert den journalistischen Einheitsbrei nur noch. Mir grauts.
  • Nico Herger, 10.12.2016 09:33 Uhr
    Herren Loos und Wartenweiler: Glauben Sie, die NZZ greife aus Spass zu solchen Massnahmen? Und was immer vergessen geht: Im Tessin sind auch andere Berufsleute vom Existenzkampf betroffen.
  • Hans Loos, 10.12.2016 09:18 Uhr
    Einen nicht mehr ganz jungen Korrespondenten, der im Gegensatz zu Schoenebrger über keine Rückversicherung beim rechten Zürcher Wirtschaftsfreisinn verfügt, vom fest angestellten Redaktionsmitglied zum "freien Mitarbeiter" zu degradieren, ist so ziemlich das Asozialste, was sich ein Ressortchef einfallen lassen kann.
  • Josua Wartenweiler, 10.12.2016 09:08 Uhr
    Schoenenberger sagt: "Unser Tessiner Korrespondent wird im Tessin bleiben und wird vorläufig als freier Mitarbeiter über die Kantone Tessin und Graubünden schreiben." - Auch dieses Rezept hat der "Tages-Anzeiger" vorexerziert: Wenn festangestellte Korrespondenten (beim "Tages-Anzeiger" nannte man sie "Redaktoren im Aussendienst") durch "freie Mitarbeitern" ersetzt werden, heisst das: Man entzieht den Korrespondenten die gesicherte wirtschaftliche Grundlage und macht sie zu "Hausierern" mit Bauchladen, die sehen müssen, wie und wo sie ihre Artikel gegen geringes Honorar absetzen können. Die NZZ ist (besonders seit Alt-Feuilleton-Chef Martin Meyer) bekannt für die miserable, ja schäbige Entlohnung ihrer "freien" Mitarbeiter.
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