27.08.2017

Tamedia

Fünf offene Fragen zum Radikal-Umbau

Die weitreichenden Umbau-Pläne von Tamedia sind das beherrschende Thema der Branche. Trotz Informationsveranstaltungen am Mittwoch bleibt vieles unübersichtlich. Sowohl extern, als auch unternehmensintern sucht man nach Antworten.
Tamedia: Fünf offene Fragen zum Radikal-Umbau
Anfang 2017 rüstete Tamedia schweizweit alle Standorte mit dem aufgefrischten Branding aus. (Bild: zVg.)
von Edith Hollenstein

1. Warum berichtete der «Blick» nicht über den Umbau bei Tamedia?

Auf Twitter kam am Tag nach Bekanntwerdens des Tamedia-Grossumbaus die Frage auf, weshalb der «Blick» als einziges grosses Medium nicht über die Umstrukturierungen bei Tamedia berichtet hatte.


Die Chefredaktion habe sich aufgrund des «sehr branchenspezifischen Newsgehalts» gegen eine Berichterstattung entschieden, lautete die Erklärung von Ringier-Sprecherin Manuela Diethelm auf Anfrage von persoenlich.com. Ob das hauptsächlich ausschlaggebend war, ist fraglich. Denn das Boulevardblatt hatte in jüngerer Vergangenheit immer wieder über die Konkurrenz von der Werdstrasse berichtet und durchaus «branchenspezifisch», etwa 2013 über die blutenden Tagi-Redaktoren, welche sich an Glasscheiben die Nasen gebrochen hatten ...

Ein möglicher Grund für das Schweigen des «Blicks» könnte die Situation im eigenen Haus sein: Nur gerade einen Tag nach Tamedia verkündete am Donnerstag auch Ringier ein Sparprogramm. Man arbeite an der Senkung des Jahresbudgets 2018, hiess es – und es folgte eine Mitteilung darüber, dass die Co-Ressortleitung Politik aufgelöst und durch eine interne Nachfolge neu geregelt wird (persoenlich.com berichtete).

 


2. Wie beurteilen ehemalige Insider den Radikal-Umbau?

Öffentlich geäussert hat sich Peter Studer. Er befürchtet Auswirkungen auf die Demokratie. In einem Interview mit der aargauerzeitung.ch kritisiert der Ex-Tagi-Chefredaktor Tamedias Strategie, auf Quersubventionierungen zu verzichten, scharf. «Ich vermisse hier echtes verlegerisches Feuer, das nicht nur kommerzielle, sondern auch demokratiepolitische Ziele verfolgt», so der 81-Jährige. Würde er seinen Nichten und Neffen raten, Journalistin oder Journalist zu werden? Studer dazu: «Derzeit nicht. Ich würde Ihnen sagen: Studiert Jus. Da habt ihr mehr Entwicklungsmöglichkeiten».

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3. Wie kann Tamedia sparen, wenn es keine Entlassungen geben soll?

Wenn der neue Supersuperchefredaktor Arthur Rutishauser sagt, dass «mit der Neuorganisation kein Einsparziel verbunden ist», mag das unternehmensintern wie Hohn klingen. Doch: Es kann durchaus stimmen. Denn was genau jemand unter «Neuorganisation» versteht, ist individuell. Für im Projekt Involvierte dürfte es sich bei der «Neuorganisation» um die Massnahmen bis Ende Jahr handeln – oder vielleicht bis in einigen Monaten darüber hinaus. Was dann kommt, gehört zu einer anderen Phase. Rutishauser gibt darum zu Protokoll: «Alle Mitarbeitenden haben ab 1. Januar 2018 eine Aufgabe in einer der Redaktionen. Aber ja, wir werden aufgrund der rückläufigen Werbeeinnahmen in den kommenden Jahren nicht alle frei werdenden Stellen besetzen können».

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Der neue Supersuperchefredaktor rechnet also damit, dass Mitarbeiter freiwillig gehen. Er weiss wahrscheinlich aus Erfahrung: Das werden sie tun, wenn sie weniger fordernde, unbefriedigende Aufgaben erledigen müssen, sie sich uninformiert und perspektivenlos fühlen oder der physische und psychische Druck unerträglich wird. Und für die Verbleibenden heisst das: Eine noch höhere Arbeitsbelastung.




4. Wie verhält sich Pietro Supino in diesen Tagen?

Welche Rolle spielt der Tamedia-Verwaltungsratspräsident in der Kommunikation der Beschlüsse? Wie souverän kann er diesen Umbau verantworten?

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Eine mögliche Antwort auf diese Fragen liefert der Tweet eines Tamedia-Insiders vom Mittwoch, welcher interne Vorgänge rapportiert:

«So nehmen wir unsere verlegerische Verantwortung war, so können wir den Journalismus in die Zukunft führen», erklärt der 52-jährige Supino den Schritt gegenüber der «NZZ am Sonntag». Laut einem in der aktuellen Ausgabe erschienenen Porträt erachtet es der Tamedia-Verleger in diesem Zusammenhang als überflüssig herauszustreichen, welche Rolle der Journalismus in der Gesellschaft hat. «Ist es nicht besser, den investigativen Journalismus zu fördern?», hat Supino bei einem persönlichen Treffen auf den Vorwurf gesagt, wonach er ein «kühl rechnender Unternehmer ohne publizistische Mission» sei.



 

5. Was für Aussichten haben die «Berner Zeitung» und der «Bund»?

«Bund» und BZ blieben eigenständige Zeitungen, sagte Tamedia am Mittwoch. Hier will das Personal die Tamedia-Chefetage nun beim Wort nehmen. In Bern ist es vielen ein Anliegen, dass es die beiden Zeitungen weiterhin gibt – auch in der Politik (persoenlich.com berichtete). Trotz dieser Absichtserklärung wird es in den nächsten Monaten zu einer weiteren Annäherung kommen, nicht nur inhaltlich. Denn Tamedia führt bei allen Titeln der Deutschschweiz ein einziges Layout ein. Tagi und «Bund» sehen heute schon gleich aus (weshalb der «Bund» ironisch «der kleine Tagi» genannt wird). Und bis Ende 2018 wird auch die «Berner Zeitung» diesem «einheitlichen Grundlayout» unterliegen.

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Ob die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten zur Differenzierung zwischen BZ und Bund ausreichen, werde sich weisen müssen, schreibt Zeitungsdesign-Experte Sven Gallinelli in einem Kommentar für persoenlich.com. Vielleicht aber ist diese Unterschiedung mittel- oder längerfristig gar nicht gewollt. Der Schritt zur fusionierten Marke «Bund – Berner Zeitung» dürfte nämlich dann auch aus Sicht des Lesermarketings nicht mehr so gross sein.

 



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Kommentare

  • Gaudenz Sutter, 29.08.2017 11:40 Uhr
    Troxlers Frage ist berechtigt. So abgehoben, wie es sich gibt, ist das Magazin schon lange nicht mehr (wenn es dies überhaupt je war...).
  • Friedrich Senn, 29.08.2017 07:05 Uhr
    Das "Tagi-Magi" ist schon lange nicht mehr das "Kultobjekt", das es in den 1970er Jahren (zu recht oder zu unrecht) einmal war. Wenn es nach mir ginge, würde ich lieber darauf verzichten als auf eine fundierte Inland-Berichterstattung in der Tageszeitung (etwa wieder mit eigenen Regionalkorresponenten wie zur Zeit Stutzers).
  • Beat Troxler, 27.08.2017 20:38 Uhr
    Eine Frage fehlte bisher überall: Was geschieht mit dem Tagi-Magi? Der Inserat rückgang ist dort ja besonders spürbar und gerade die Magazin-Redaktion verfügt über einige Redaktoren mit solzen Salären (und wenig Output).
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