17.07.2016

Radio SRF

«Manchmal muss man Frauen provozieren»

Der «Tages-Anzeiger» tut sich schwer mit Frauenförderung. Eine, die hingegen erfolgreich damit ist, ist Radio SRF-Chefredaktorin Lis Borner. In ihrem Kader sitzen zur Hälfte Frauen. Im Interview sagt die 56-Jährige, wie sie das geschafft hat. Zudem antwortet sie Kurt W. Zimmermann auf seinen Artikel im «Schweizer Journalist».
Radio SRF: «Manchmal muss man Frauen provozieren»
«Bei mir als Chefin muss man keine Überfliegershow machen, um wahrgenommen zu werden»: SRF-Radio-Chefredaktorin Lis Borner. (Bild: Keystone)
von Michèle Widmer

Der «Tages-Anzeiger» hat seine Mühen mit Frauenförderung. Gerade hat die Zeitung das Ziel, den Frauenanteil auf 30 Prozent auf allen Stufen zu heben, verfehlt. Welchen Ratschlag geben Sie Chefredaktor Arthur Rutishauser?
Ich kenne die Internas vom «Tages-Anzeiger» zu wenig, um etwas qualifiziert dazu sagen zu können. Allerdings gilt bei mir: Wenn wir uns etwas vornehmen, setzen wir es um. Und wenn wir das Ziel nicht erreichen, versuchen wir herauszufinden, was falsch gelaufen ist und machen es besser.

Die Tagi-Frauendelegierte fordert, Frauenförderung soll für die Ressortleiter als lohnrelevantes Leistungsziel festgehalten werden. Gibt es solche Fördermassnahmen bei Radio SRF?
Es gab nie eine konkrete Vorgabe, der Frauenanteil müsse 50 Prozent betragen. Der Weg führt über die Sensibilisierung der Vorgesetzten. Man muss ihnen die Vorteile von gemischten Teams klar aufzeigen. Als ich den Chefposten übernahm, hatten wir bei den sechs Regionalredaktionen keine einzige Frau in der Führung. Ich habe darauf hingewiesen, dass man bei der nächsten Besetzung darauf achten soll. Aber wenn sich da keine qualifizierte Frau beworben hätte, wäre es erneut ein Mann geworden.  

Im Kader der Chefredaktion Radio haben Sie einen Frauenanteil von 50 Prozent. Wie haben Sie das erreicht?
Man muss einfach Frauen anstellen. Der Schlüssel ist Teilzeitarbeit, auch bei den Männern. In unserer Abteilung arbeiten drei Viertel der Frauen und deutlich über die Hälfte der Männer in einem Teilzeit-Pensum. Auch auf unseren Redaktionen gibt es Früh- und Spätschichten, aber wir versuchen, wenn Kinder im Spiel sind, einen fixen freien Tag zu ermöglichen.

Das klingt banal. Andere Redaktionen tun sich damit schwer.
Wir arbeiten mit gezielter Personalförderung für Schlüsselfunktionen, bei Männern sowie bei Frauen. In Bezug auf Führungsjobs, Moderationen oder Auslandkorrespondenten nehmen wir Personen, die das Potenzial haben und einen solchen Posten anstreben, ins Auge. Bei Frauen braucht das häufig etwas mehr.

Frauen sind zurückhaltender.
Wer Frauen in Führungspositionen will, muss aufmerksam sein und Signale beobachten. Frauen überlegen sich stärker und selbstkritischer, ob sie sich für eine Führungsposition interessieren. Da sind viele Gespräche nötig. Manchmal muss man auch provozieren oder ermuntern. Man muss dran bleiben.

Weshalb lohnt sich dieser Aufwand? Was machen Frauen wie «Echo der Zeit»-Leiterin Isabelle Jacobi oder Inlandchefin Géraldine Eicher besser als Männer?
Frauen sind nicht bessere Menschen oder per se bessere Führungspersonen. Aber unser Credo bei SRF ist Vielfalt und Sachgerechtigkeit. Ich bin davon überzeugt, dass vielfältig zusammengesetzte Gruppen bessere Resultate bringen als typähnliche. Es braucht einen Mix aus Frauen und Männern, Jüngeren und Älteren sowie unterschiedliche Kompetenzen und Erfahrungsperspektiven. Es leben 50 Prozent Frauen und 50 Prozent Männer auf dieser Welt. Darauf sollte man Rücksicht nehmen, um das ganze Potenzial auszuschöpfen. Weshalb sollte man sich bei der Personalfindung nur auf einen Teil der Gesellschaft konzentrieren, wenn es noch einen zweiten gibt?

Welche Rolle spielt es, dass mit Ihnen bei Radio SRF eine Frau auf dem Chefsessel sitzt?
Ich erinnere mich gut, wie das damals bei mir war. Das hilft vielleicht. Dazu kommt: Bei mir als Chefin muss ein Kandidat oder eine Kandidatin keine Überfliegershow machen, um wahrgenommen zu werden. Ich spreche mit meinen Mitarbeitenden über Zweifel und lasse mir auch widersprechen. Ich glaube, dieser Führungsstil entspricht den Frauen. Vielleicht spielt auch mit, dass ich der Beweis bin, dass es geht Chefin zu sein und ein Kind gross zu ziehen.

Waren Sie in Ihrer Karriere immer Vollzeit angestellt?
Ich habe lange Zeit Teilzeit gearbeitet. Als ich SRF 4 News aufgebaut habe, war ich 90 Prozent angestellt, obwohl ich mit den Stunden weit darüber kam. Das bewegte Ruedi Matter zu einem Kopfschütteln. Nur eine Frau komme auf die Idee, weit über 100 Prozent zu arbeiten und sich aber nur für 90 Prozent bezahlen zu lassen. Es war mir aber wichtig, zu zeigen, dass Führungsjobs auch mit Teilzeit zu bewältigen sind.

Was halten Sie von einer Frauenquote?
Quoten setzen Leute unter Druck etwas zu machen, was sie nicht wollen oder können. Davon halte ich nichts. Wenn eine Frau einen Job erhält, nur weil sie eine Frau ist, ist das die falscheste Frauenförderung überhaupt.

Es heisst, wenn Frauen gefördert werden, werden Männer diskriminiert. War das intern ein Thema?
Wo eine Frau Platz nimmt, muss ein Mann den Stuhl räumen. Das hat intern zum Teil zu Reaktionen geführt wie: Jetzt hat man als Mann keine Chance mehr. Diese Diskussion haben wir geführt. Ich habe dazu auch einen Text im internen Newsletter verfasst. Die Tatsache, dass niemand an der Kompetenz der beförderten Kandidatinnen gezweifelt hat, hat mir in der Debatte geholfen. Und mittlerweile wissen die Leute hier, dass mir kein hundertprozentiges Frauenregime vorstrebt, sondern eine gute Durchmischung.

Kürzlich sorgte ein Artikel im «Schweizer Journalist» (online nicht verfügbar) über die «Klebe-Karrieren» von den Frauen bei Radio SRF für Wirbel. «Inzucht macht beim Radio die Frauenkarriere», urteilte der Chefredaktor. Was antworten Sie Kurt W. Zimmermann darauf?
Dass er schlecht recherchiert hat. Neben den drei erwähnten Frauen in Führungspositionen gibt es noch viele weitere. Zum Beispiel Elisabeth Pestalozzi, die ab August stellvertretenden Chefredaktorin wird. Danebst hätte er auch viele männliche Führungskräfte bei Radio SRF erwähnen können, die genau so lange an Bord sind.

Haben Sie Zimmermann danach kontaktiert?
Ich habe mir das zuerst überlegt, dann aber gelassen. Denn der Artikel spricht für sich und ist Ausdruck der Debatte. Niemand würde offen sagen, er wolle keine Frau in einer Führungsposition. Aber wenn sie mal da ist, sucht man das Haar in der Suppe.



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