TV-Kritik

Wenn vor allem die Krawatte hängen bleibt

«EU: 60 Jahre und kein bisschen weise?» fragte der SRF-«Club» am Dienstag. Die Sendung kam erstmals aus dem Ausland. Aus dem Studio des Europaparlaments in Brüssel (persoenlich.com berichtete).

Dies zuvor: Neues brachte die nächtliche Diskussionsrunde nicht zutage. Aber immerhin: Nach vielen trostlosen Jahren sahen wir endlich wieder einmal einen journalistischen «Club». Moderiert von Urs Gredig, nach etwas mehr als drei Korrespondenten-Jahren in London unlängst wieder an den Leutschenbach zurückgekehrt.

Die Schweizer Gäste haben sich gut gemetzget: Thomas Borer, ehemaliger Botschafter in Berlin. Ein ausgekochter Polit-Profi: «Länder haben keine Freunde, sie haben Interessen.» Verleger Jürg Marquard. Er hat als erfolgreicher Unternehmer, unter anderem in Osteuropa, einiges zu sagen: «Für mich ist die EU kurz vor dem Bankrott.» Sebastian Ramspeck, EU-Korrespondent von SRF. Ein Top-Mann.

Nachtrag zu Thomas Borer: Immer wenn ich sein übertrieben-spitzes Hochdeutsch höre, überkommt mich der Verdacht, dass er heimlich Sprechtechnik-Unterricht bei «Tagesschau»-Moderator Florian Inhauser erleidet.

Und dann sassen da noch drei Deutsche: Guntram Wolf, Direktor der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Mit den Europa-Politikerinnen Beatrix von Storch (AfD) sowie Ingeborg «Inge» Grässle (CDU). Die beiden Frauen giftelten gegeneinander wie pubertierende Gören in einem Klassenlager. Nicht alles ist falsch, was von Storch sagt, geborene Herzogin von Oldenburg. Doch wie in jeder Talk-Show war diese Frau auch im «Club» kaum auszuhalten. Die Rechtspopulistin versprüht den Charme einer Tanksäule. Ihr würde ich sogar auf dem belebten Berliner Kurfürstendamm grossräumig ausweichen.

Kein Zweifel: Urs Gredig ist seiner «Club»-Kollegin Karin Frei als Moderator weitaus überlegen. Vielleicht gelingt es ihm sogar, die Sendung in die Zukunft zu retten. Allerdings: Der Sache gewachsen wie Frank Plasberg (ARD), Sandra Maischberger (ARD), Maybrit Illner (ZDF) oder Anne Will (ARD) ist auch er in keinster Weise.

Zum Schluss noch dies: Gredig trug die scheusslichste Krawatte, die ich seit langer Zeit im TV gesehen habe. Die SRF-Stylisten sollten bei denen von Thomas Borer und Jürg Marquard lernen. Liebe Marion Gredig, schon am 3. Juni feiert Ihr Mann Urs Geburtstag. Gestatten Sie mir die Anregung: Schenken Sie ihm eine neue Halschleife.


René Hildbrand
René Hildbrand ist Journalist, langjähriger Fernsehkritiker und Buchautor. Während 27 Jahren war er für «Blick» tätig, danach Chefredaktor von «TV-Star».

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Kommentare

  • Dieter Widmer, 11.05.2017 05:04 Uhr
    Vielen Dank für die aufschlussreiche TV-Kritik. Mit Ihrer Analyse bin ich weitgehend einverstanden. Die Meinung zur hochgelobten Anne Will teile ich hingegen nicht. Sie mag zwar intelligent sein, aber häufig hat sie die Diskussion nicht im Griff. Zuweilen geht es bei ihr schlimmer als in der "Arena" zu: Sie lässt die Leute nicht ausreden. Und wenn, was häufig vorkommt, zwei Personen durcheinanderreden, ist auch sie machtlos.
  • Pierre Rothschild, 10.05.2017 19:14 Uhr
    Ich lese Sie gerne, aber sooooo genial sind die genannten deutschen Kollegen auch nicht.... Und Krawatte: da gibt es eben nur HERMES.
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