25.10.2011

Peter Uebersax, ein Gentleman

Wenn es grosse Figuren gab in der jüngsten Schweizer Pressegeschichte, dann überragt einer alle andern: der legendäre Blick-Chef Peter Uebersax, der letzte Woche 87-jährig in den Armen seiner Ehefrau Christine gestorben ist. Uebersax fiel zuerst mal auf durch seine Eleganz und Höflichkeit, er war stets gut gekleidet und pflegte die Formen eines echten Gentleman, selbst im legendären TV-Streitgespräch mit Heiner Gautschy, der ihn bissig angriff, blieb er völlig cool. Wer einen Rowdy erwartete, war angenehm überrascht von dem gut aussehenden, feinen Herrn mit der sonoren, warmen Stimme. PU, so hiess sein Kürzel, hat den Blick geprägt wie kein anderer vor und nach ihm, er hat das Blatt in den achtziger Jahren zu gigantischen Auflagenhöhen gepusht (zeitweise über 400’000 verkaufte Exemplare), er hat die Zeitung zu einer der wichtigsten Stimmen des Landes gemacht, er hat den Schweizer Journalismus revolutioniert und beeinflusst wie eigentlich sonst nur das Fernsehen: er setzte das Interessante vor das Wichtige, das Emotionale vor das rein Rationale, das Persönliche vor das Sachliche: jeden Tag hat er sich gefragt, «was interessiert die Schweizer heute wirklich?» und jeden Tag haben sich die Schweizerinnen und Schweizer denn auch gefragt: «Was macht der Blick bloss Cheibs?». Jede Blick-Ausgabe sollte nicht nur über laufende Ereignisse berichten wie andere Medien, einfach mit brutaler aufgemachten Bildern und übertriebeneren Schlagzeilen (wie heute viele Boulevard auffassen) nein, der Blick sollte selbst ein Ereignis sein, neue Storys anstossen. Uebersax hat seinen ausgesprochenen News-Sinn als Redaktor der Nachrichtenagentur UPI geschult, für die er in praktisch allen Hauptstädten Europas tätig war, zuletzt in Spanien, wo er bis ins hohe Alter ein Ferienhaus unter Orangenbäumen, direkt am Meer, besass. Bei der Agentur lernte er, hohe Ansprüche an Recherche und Faktengenaugigkeit zu stellen, die er auch in der Blick-Redaktion einforderte. Peter Uebersax war schon in den sechziger Jahren ein paar Jahre lang Blick-Chef, dann wurde er auch Gründungs-Chefredaktor der «Neuen Presse», die das Haus Tages Anzeiger während kurzer zwei Jahre (1967 bis 1969) als Blick-Alternative herausgab, eine Boulevard-Zeitung mit Linksdrall und prominenten Autoren wie Ramspeck, Brodmann, Diggelmann, Frank A. Meyer und Hoeltschi. Beim Blick war Uebersax in den 80er Jahren eigentlich nur sechseinhalb Jahre lang , im Rückblick erscheint dies wie eine Ewigkeit, weil er das Blatt und eine ganze Generation von Ringier-Journalisten nachhaltig geprägt hat. In einem späten Interview sagte Uebersax, eigentlich sei seine Blick-Zeit so etwas wie die «Füdli-Bürger-Phase» im Leben eines Weltmannes gewesen. PU stand für originelle Schlagzeilen, aufsehenerregende politische Kampagnen, freche People-Geschichten rund um die Schweizer Prominenz, eine engagierte, polemische Sportberichterstattung mit den gelb unterlegten Kommentaren von Mario Widmer, die in jeder Beiz diskutiert wurden. Uebersax hat auch den Volksschriftsteller Turi Honegger zum Kolumnisten gemacht, das Seite drei Girl jeden Abend selbst ausgewählt und die «Liebe Marta» erfunden, die zur Sexberaterin der Nation wurde und mit ihrer sehr soliden Beratungskolumne das offene Reden über Sex in der Schweiz erst eigentlich möglich gemacht hat. Ebenfalls ganz im Dienste der Leserschaft stand der «Heisse Draht», eine Art Sorgentelefon, an dem sich Leser juristisch und sonstwie beraten lassen durften. Eine gute Quelle für Storys aus dem Alltag Mit dem Bundeshauskorrespondenten Jürg Zbinden heckte Uebersax hunderte von heissen Polit-Geschichten aus, Blick war wohl die einzige Zeitung, die je Bundesräte zum Weinen gebracht hat. Aber Blick hatte auch Humor, ein elementarer Bestandteil der Boulevardpresse: die Uebersax Erfindung «Blick-Käfer» sonderte jeden Tag einen drolligen Spruch ab. Uebersax war der Erste, der in der Schweiz eine emotional grosse Geschichte auch wirklich gross fuhr, es sei nur an «das Knie der Nation» erinnert, das verletzte Knie von Ski-Gott Primin Zurbriggen. Blick berichtete fast täglich, mit Infografiken, medizinischen Erklärungen und O-Ton von vom Krankenbett. Denise Biellmann wurde durch Uebersax zu «unserer Eisprinzessin», und als die Eiskunstläuferin in einem Dok-Film von Mario Cortesi nebenbei gestand, dass sie nicht an Gott glaube, sah Uebersax schon die grosse Schlagzeile auf der Seite 1: «Denise glaubt nicht an Gott!». Die Story wurde Anstoss zu einer landesweiten Debatte über Jugend und Religion. Uebersax wusste wie kein anderer, gewisse Randnotizen, die zeittypisch sind, zur grossen Story zu machen. Legendär ist auch, wie Blick die erste Schweizer TV-Serie «Motel» dauernd zerpflückte, fast täglich meckerte. Es hat Blick und der Serie genützt. Wer mehr über Uebersax’ bemerkenswerte Blick-Taten wissen will, muss sein sehr lesenswertes und selbstverständlich unterhaltend geschriebenes Memoirenbuch «Blick zurück» lesen. Uebersax spürte gewisse gesellschaftliche Tendenzen im Voraus, andere hat er verschlafen: das Waldsterben hat er schon als Lüge bezeichnet, als noch alle daran glaubten, das Aufkommen einer grünen Bewegung hat er aber etwas unterschätzt, in der Sexkolumne durfte von Homosexualität nicht die Rede sein. Dafür hat er früh erkannt, dass die Schweizer eine übergrosse Sensibilität gegenüber der Immigration haben. Und er sah früh, dass das Preisniveau in der Schweiz gegenüber dem Ausland zu hoch ist. Als Peter Uebersax in die Pension entlassen wurde, mit einem Porsche Carrera als Abschiedsgeschenk, hat eine neue Generation von Blick-Chefs versucht, zuerst einmal alles, was der grosse alte Mann gepflegt hatte, abzuschaffen, den Blick vom populistischen Revolverblatt zur linksliberalen Volkszeitung umzupositionieren, EU-Propaganda, SP-Politik und Blocher-Bashing zu betreiben und alle sind damit gegen die Wand gefahren. Die Auflage fiel auf katastrophale Tiefen. Inzwischen ist wieder eine stramme Boulevard-Equipe am Werk, die mit mehr oder weniger Erfolg versucht, an den Rezepten von Uebersax anzuknüpfen, ausgerechnet jetzt erst, wo PU definitiv abgetreten ist. Ich habe von keinem anderen Journalisten so viel gelernt wie von Peter Uebersax. Und das können viele andere Kollegen auch sagen.


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