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Eine verpasste Chance

Kurz vor der Sommerpause steht der zweite medienpolitische Höhepunkt des Jahres nach «No Billag» an: Die Vernehmlassung für das mit Spannung erwartete neue Mediengesetz ist gestartet (persoenlich.com berichtete).

Damit ist es an der Zeit, sich an eine neue Abkürzung zu gewöhnen: nicht mehr Radio und TV wie im RTVG, sondern elektronische Medien stehen im BGeM im Fokus. Das ist auch richtig so: Die Digitalisierung verändert Medienproduktion, Mediendistribution und Mediennutzung. Ein Gesetz, das sich nur mit Radio und Fernsehen befasst, wird dem Onlinezeitalter nicht gerecht.

Folgerichtig setzt das Gesetz nicht mehr an traditionellen Radio- und Fernsehsendern an, sondern an sogenannten Medienangeboten, die aus Audio- und audiovisuellen Medienbeiträgen bestehen. Das heisst, dass die SRG und private Anbieter mit einem Leistungsauftrag künftig ihre Inhalte auch On-Demand verbreiten könnten: lineare Sender und Onlineangebote werden gleichwertig behandelt.

Auch positiv zu werten ist, dass

- der Service-public-Auftrag der SRG klarer formuliert wird – die Anhörung zur revidierten SRG-Konzession lieferte als Reaktion auf «No Billag» hierfür schon einen Vorgeschmack.

- Leistungsaufträge für private Anbieter nicht nur für regionale Informationsleistungen, sondern auch für Angebote für bestimmte Bevölkerungsgruppen und für partizipative Medienangebote möglich sind.

- Presserat, nicht gewinnorientierte Nachrichtenagenturen und innovative digitale Infrastrukturen finanziell unterstützt werden können.

- endlich auch in der Schweiz mit der Komem eine vom Staat unabhängige Aufsichtsbehörde gegründet werden soll, wie dies in westlichen Demokratien eigentlich Standard ist.

Mit Blick auf die Digitalisierung ist das vorgeschlagene Gesetz aber trotzdem viel zu zögerlich. Während vor einem Monat in der NZZ noch zu lesen war, dass neue journalistische Onlineprojekte gefördert werden sollen, ist nun aus Rücksichtnahme auf die Verleger nur von Angeboten die Rede, welche «im Wesentlichen mit Audio- und audiovisuellen Medienbeiträgen erbracht werden».

Projekte wie «Zentral plus», «Republik» oder «Bon pour la tête» gehören da nicht dazu. Das ist eine verpasste Chance. Eine generelle Förderung von Onlinejournalismus hätte auch Lokal- und Regionalzeitungen eine Möglichkeit geboten, die Digitalisierung zu meistern – auch wenn sie nach wie vor auf verbilligte Posttarife und Mehrwertsteuerreduktion auf ihr Printprodukt angewiesen sind.

Zweites grosses Manko des Gesetzes ist, dass Radios ohne Leistungsauftrag nicht mehr in den Geltungsbereich fallen. Während für Fernsehsender ohne Leistungsauftrag noch bestimmte Grundsätze wie Achtung der Menschenwürde, sachgerechte Darstellung von Tatsachen und Ereignissen, Jugendschutz oder das Verbot von politischer und religiöser Werbung gelten, soll dies bei Radios nicht mehr nötig sein. Das ist höchst fragwürdig.

Ob die Schwächen noch korrigiert und die innovativen Aspekte Vernehmlassung und Parlament überleben werden, bleibt abzuwarten. Es dürfte massgeblich davon abhängen, ob sich zivilgesellschaftliche Akteure gegen die Interessenverbände angestammter Medien zum Wohle einer vielfältigen digitalen Medienlandschaft durchsetzen können.


Manuel Puppis ist Professor für Mediensysteme und Medienstrukturen am Departement für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung DCM der Universität Freiburg i.Ue.5, Mitglied der Eidgenössischen Medienkommission (Emek) und Präsident des Vereins Media Forti.

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KOMMENTARE

Andreas Häuptli
23.06.2018 23:33 Uhr
Lieber Manuel. Wenn es einen Vektor, Kanal, Bereich gibt in dem die Medienvielfalt mehr als ausreichend ist, dann ist das im Internet. Die Privaten erreichen mit ihren publizistischen Angeboten die Bevölkerung zu über 80% und die SRG ist gemäss Net Metrix die reichweitenstärkste Medienplattform inder Schweiz. Und nun sollen noch mehr und kostenlos zugängliche, die Bemühungen der Privaten zu Bezahldiensten unterlaufende, staatlich finanzierte Angebote dazu kommen? Das ist eine unverantwortliche Forderung, die das heute schon fragile Marktgefüge weiter aus dem Lot bringen und genau das Gegenteil der Absicht bewirken würde: Qualitativ hochstehende und vor allem vom Staat unabhängige Angebote würden in ihrer Existenz bedroht und über die Zeit verschwinden.
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