23.11.2020

Swico

«Das ist keine nachhaltige Digitalisierung»

Judith Bellaiche ist Geschäftsführerin des Verbands Swico und GLP-Nationalrätin. Im Gespräch sagt sie, wie die Digitalisierung in der Bundesverwaltung vorankommt, wo die grössten Probleme dabei liegen und was passiert, wenn die Schweiz den Anschluss verliert.
Swico: «Das ist keine nachhaltige Digitalisierung»
«Wir sind jetzt mal beim Weckruf, ob die Verantwortlichen aus dem Bett steigen oder weiterschlafen, muss sich noch zeigen.» Judith Bellaiche fordert mehr Druck auf die Bundesverwaltung, damit die Digitalisierung vorangetrieben wird. (Bild: zVg.)
von Loric Lehmann

Frau Bellaiche, im August 2019 haben Sie persoenlich.com bereits einmal ein Interview gegeben. Damals waren Sie 100 Tage Geschäftsführerin von Swico, einem Wirtschaftsverband für digitale Themen. Nun sind gut 500 Tage seit Ihrer Übernahme vergangen. Wie geht es Swico in diesen aussergewöhnlichen Zeiten?
Es ist wirklich ein toller Verband, der sich prächtig entwickelt. Ich konnte natürlich auf einer guten Basis aufbauen letztes Jahr. Nun sind wir viel agiler geworden. Mit dieser besonderen Situation im Frühling jedoch ging dies noch schneller, als ich es mir eigentlich vorgenommen hatte. Auch in der Kommunikation ist viel gelaufen. Wir konnten viel Sichtbarkeit gewinnen – sowohl auf Social Media als auch in der Tagespresse. Digitalisierung ist das Thema der Stunde.

Ein Ziel von Ihnen war es, Community Building innerhalb des Verbandes zu betreiben. Hat Ihnen da die Pandemie einen Strich durch die Rechnung gemacht?
Im Gegenteil. Wie die meisten Organisationen und Unternehmen mussten auch wir uns am Anfang des Lockdowns finden. Aber wir haben schnell realisiert, dass das der Moment war, in dem unsere Mitglieder uns und unseren Service wirklich brauchten: «Now or never». Unser ganzes Team hat sich dann extrem reingehängt. Wir haben mit unseren Mitgliedern auf allen Kanälen Kontakt aufgenommen, um zu hören, was die Herausforderungen für sie sind. Wir haben die Pandemie auch als Chance gesehen – gerade für das Community Building.

Wie geht es den Start-ups in Ihrem Verband?
Man muss festhalten, dass dieses Jahr für alle schwierig war, natürlich auch für Start-ups. Klar, diese sind sich auch etwas gewohnt, am Limit zu agieren. Und momentan tun die das vielleicht noch etwas mehr. Nach dem Einbruch während des Lockdowns hat man aber im Sommer gesehen, dass die Investoren optimistisch sind und das Investitionskapital nicht eingebrochen ist. Das ist bemerkenswert und spricht für den Investitionsstandort Schweiz. Man sagt ja, dass die konstante Bereinigung 1:9 ist. Nur die wenigsten überleben, dies könnte sich jetzt sogar noch verschärfen. Aber dass der Start-up-Hub Schweiz gefährdet ist, glaube ich nicht.

«Diese Krise hat enorme Defizite in der Bundesverwaltung gnadenlos ans Tageslicht gespült.»

Man spürt es momentan, die digitale Transformation hat sich beschleunigt. Sie haben bei Ihrem Antritt kritisiert, dass die Schweiz in der Digitalisierung etwas hinterherhinkt. Könnte diese Entwicklung im Zuge der Pandemie nun der Schweiz den entscheidenden Kick geben?
Es hat einen Kick gegeben und das finde ich auch gut. Bemerkenswert ist, was im Kleinen passiert: In den Haushalten, den KMUs musste man sich von einer auf die andere Woche neu organisieren. Dieser kollektive Quantensprung ist beeindruckend. Aber eine nachhaltige Digitalisierung ist das noch nicht. Ausserdem hat diese Krise auch enorme Defizite in der Bundesverwaltung gnadenlos ans Tageslicht gespült: Wie das Fax-Gate oder der Mangel an Daten. Insofern hat die Verwaltung wirklich realisiert, dass es so nicht weitergeht. Das ist also ein Weckruf – aber die Probleme müssen jetzt gelöst werden.

Sie haben ja auch schon eine gewisse Mutlosigkeit in digitalen Themen bei Politikerinnen und Politikern angeprangert. Wird dieser Weckruf auch da ankommen?
Ich sehe nun eine gewisse Strukturänderung in der Bundesverwaltung sowie auf kantonaler Ebene. Personell wird da auch umorganisiert und aufgestockt. Es gibt klare Zuständigkeiten und Zentralisierungen. Ein gewisser politischer Wille ist also erkennbar. Aber der Tatbeweis, über diese Schwelle hinwegzugehen, muss zuerst noch erbracht werden. Nochmals: Wir sind jetzt mal beim Weckruf, ob die Verantwortlichen aus dem Bett steigen oder weiterschlafen, muss sich noch zeigen.

Wo sehen Sie die grössten Probleme in der Bundesverwaltung?
Die Departemente sind relativ autonom aufgestellt, das ist eine Herausforderung. Die Digitalisierung müsste typischerweise departementsübergreifend funktionieren. Deshalb ist es auch zu begrüssen, dass dieses Thema nun bei Bundeskanzler Walter Thurnherr angesiedelt ist. Es ist auch richtig, dass er nun Leute rekrutiert und klare Zuständigkeiten schafft. Aber bis dieser Paradigmenwechsel geschafft ist, wird noch einiges an Zeit vergehen. Thurnherr hat aber zum Glück den Rückhalt von Bundesrat und Parlament dafür.

«Die Digitalisierung gewinnt an Bedeutung. Aber das heisst nicht, dass die ganze Branche ein gutes Jahr haben wird.»

Sind Sie optimistisch, dass dies gelingen wird?
Ich sehe, dass der Wille dafür da ist. Die schwierige Arbeit fängt aber erst an. Und da will ich schon sehen, dass der Bundesrat die Prioritäten richtig setzt. Jetzt muss man dranbleiben – auch in der Parlamentsarbeit.

Was geschieht, wenn dieser Wandel wieder nicht richtig passiert?
Das muss man thematisieren, und zwar öffentlich. Gut war beim Fax-Gate, dass bei diesem offensichtlichen Mangel an Digitalkompetenz beim BAG die Bevölkerung gesagt hat: «Das kann doch nicht sein. Es brennt überall und die Bundesverwaltung ist noch nirgends.» Diesen Druck müssen wir aufrechterhalten. Und das werde ich auch – als Nationalrätin und in meiner Rolle bei Swico.

Sobald die Pandemie überstanden ist, wird dieser Digitalisierungsschub anhalten?
Die konjunkturelle Grosswetterlage für nächstes Jahr wird turbulent. Da brauchen wir uns nichts vorzumachen. Wir werden erst nächstes Jahr die Konsequenzen davon spüren, was jetzt passiert. Wir haben ja bei Swico nur ICT-Unternehmen in unserem Verband. Das ist ein B2B-Business, das war dieses Jahr relativ stabil. Wenn aber auf der anderen Seite das Business auch sparen muss, wird dies zurückschlagen. Andererseits wird man wohl am ehesten in die Digitalisierung investieren, was lebensnotwendig ist, wie wir im Jahr von Covid-19 sehen.

«Die Verbände müssen Staub abklopfen, um relevant zu bleiben.»


Das heisst?
Der Strukturwandel fällt zugunsten der Digitalisierung aus. In dieser sehr durchzogenen Lage gewinnt die Digitalisierung an Bedeutung. Aber das heisst nicht, dass die ganze Branche ein gutes Jahr haben wird. Klar, gewisse Subindustrien werden sicher gut laufen: Security zum Beispiel. Denn mit zunehmender Digitalisierung wachsen auch die Cyber-Gefahren. Andere werden es schwieriger haben. Ich hoffe einfach, dass gewisse Projekte trotzdem realisiert werden. Der Bund hat ja auch den Auftrag, antizyklisch zu investieren, und ich hoffe wirklich, dass er sich an dieses Prinzip hält. Ganz besonders bei der Digitalisierung.

Swico hat ja auch kürzlich einen Neuauftritt bekommen …
Genau. Wir konnten auch den ruhigeren Sommer für einen aufgefrischten Auftritt nutzen. Einerseits konnten wir unsere Verbandsbroschüre, andererseits ein neues Video konzipieren und produzieren, damit wir auch auf diesem Kanal einen professionellen Teaser haben.


Warum kommt dieser Auftritt gerade jetzt?
So eine Verbandsdokumentation und deren Inhalte brauchen natürlich eine gewisse Vorlaufszeit. Ich musste mich da zuerst etwas orientieren. Ausserdem hatten andere Themen zuerst auch höhere Priorität wie unser Recycling-Engagement, das mir sehr am Herzen liegt. Dieses Package soll aber nun auch widerspiegeln, was man aus der Swico-Mitgliedschaft für Vorteile ziehen kann – gerade jetzt in dieser schwierigen Zeit. Unsere Team-Homepage haben wir letztes Jahr schon ganz verbandsuntypisch gestaltet.

Was heisst das?
Früher trugen alle auf der Seite dunkle Anzüge und Krawatten. Nun haben wir das anders aufgezogen, um zu zeigen, dass wir auch Turnschuhe tragen und bereit sind, loszurennen.

Warum das?
Ich will niemandem zu nahe treten, aber man muss es schon deutlich sagen. Die Verbände müssen Staub abklopfen, um relevant zu bleiben. Das klassische Verbandsbild mit roter Krawatte ist einfach nicht mehr zeitgemäss – in unserer jungen, dynamischen Branche sowieso. Agilität erwarten unsere Mitglieder auch von uns. Damit wollte ich auch zeigen, dass Swico diese Frische und Dynamik auch nach aussen zeigen kann.



Judith Bellaiche ist Geschäftsführerin des Wirtschaftsverbands Swico und seit 2019 Nationalrätin für die Grünliberale Partei. Sie sieht sich als Brückenbauerin zwischen Wirtschaft und Politik und engagiert sich für eine nachhaltige Digitalisierung und eine innovative Schweiz. Nach mehreren Jahren in der Finanz- und Consultingbranche hat die Basler Juristin ihr eigenes Unternehmen gegründet und so auch die politische Ochsentour absolviert. Sie hat sich auf Gemeinde-, Kantons- und Bundesebene in Exekutive und Parlament engagiert und besondere Aufmerksamkeit zugunsten von Start-ups und Digitalisierung erlangt. 2017 hat sie zudem einen Executive MBA an der HSG abgeschlossen.



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