04.06.2023

Metaverse-Studie

Nach dem Medien-Hype, vor dem iPhone-Moment

TBWA\Zürich hat zusammen mit der Uni Lausanne erstmals Zahlen zur Nutzung des Metaverse und anderer neuerer Technologien in der Schweiz erhoben. Marketing-Professor Tobias Schlager und Agentur-Strategiechef Lukas Diem kommentieren die teils überraschenden Ergebnisse.
Metaverse-Studie: Nach dem Medien-Hype, vor dem iPhone-Moment
Tobias Schlager, Professor Uni Lausanne, und Lukas Diem, Strategiechef TBWA\Zürich, haben für die Studie zusammengespannt. (Bilder: zVg)
von Nick Lüthi

Vor ein paar Tagen fragte ein Journalist auf Twitter: «Kann es sein, dass das #Metaverse gerade einen leisen, kaum beachteten Tod stirbt?» Die Zustimmung war ihm gewiss. «Was nie gelebt hat, kann nicht sterben», kommentiert ein Kollege. Ein anderer nennt es eine «klassische Totgeburt» und ein dritter sieht das Metaverse bald in der «Familiengruft von Second Life». Doch nicht alle mochten in den Abgesang einstimmen. Einer weist auf die Gaming-Industrie hin, die mit Virtual Reality heute schon viel Geld umsetzt. Und jemand erwähnt die Firma Apple, die bald eine VR/AR-Brille vorstellen werde.

Doch was denkt und weiss die breite Bevölkerung in der Schweiz vom Metaverse? Und vor allem: Wie nutzt sie die virtuellen Welten? Um das zu erfahren, spannte die Zürcher Kreativagentur TBWA\Zürich mit Marketing-Professor Tobias Schlager von der Universität Lausanne zusammen. Beim «Metaverse Barometer Switzerland» (kostenpflichtig hier zu bestellen) handle es sich dabei um «die Studie, die wohl am tiefsten geht bezüglich Metaverse», sagt Schlager im Gespräch mit persoenlich.com.

Bisher noch nicht erforscht

Lukas Diem, Strategiechef TBWA\Zürich, der auf Agenturseite die Studie begleitet hat, sieht die Einzigartigkeit der Befragung darin, dass die Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten auf das Metaverse in der Schweiz bisher noch nicht erforscht war. «Wenn wir aber verstehen wollen, wie sich die Kultur, wie sich das Verhalten und die Einstellungen der Menschen gegenüber Technologie verändert, dann müssen wir das in Erfahrung bringen», sagt Diem.

Die Ergebnisse der Befragung überraschen in vielen Punkten. So widersprechen sie dem Common Sense, wonach das Metaverse nur ein kurzfristiger Medien-Hype gewesen sein soll. Und die Studie zeigt auch, dass die kritischsten Stimmen von jenen kommen, die sich versiert in den virtuellen Welten bewegen.

Was hingegen weniger überrascht, ist der Vertrautheitsgrad in der breiten Bevölkerung. Befragt man Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten wie sie mit verschiedenen neuen Technologien vertraut sind, rangiert – wenig überraschend – künstliche Intelligenz mit einem Wert von 95 Prozent an der Spitze. «Das Verständnis von KI ist sicher einfacher, weil es schon Anwendungen gibt, wie ChatGPT, die das recht zugänglich machen», erklärt sich Lukas Diem den hohen Vertrautheitswert für KI. Beim Metaverse gebe es dagegen erst wenige niederschwellige Anwendungen und diese würden häufig auch als enttäuschend dargestellt – «was sie oft auch sind.» Dennoch erstaunt es Diem, dass mehr als ein Viertel der Schweizer Bevölkerung noch nie vom Metaverse gehört hat. «Das ist fast nicht zu glauben», sagt Diem, «da muss man unter einem Stein gewohnt haben.»

Mit diesen Werten liegt die Schweiz zwar im Europäischen Durchschnitt, aber deutlich hinter dem internationalen Spitzenfeld zu dem traditionell technologieaffine Länder wie Südkorea oder China zählen, aber – eher überraschend – auch Indien und die Türkei.

Elf Prozent sind «sehr vertraut» mit dem Metaverse

Dennoch ist die Schweiz in Sachen Metaverse nicht das Land der Abstinenten und Ignoranten. Immerhin neun Prozent der für die Studie befragten Personen gaben an, das Metaverse «regelmässig» oder sogar «täglich» zu nutzen. Und elf Prozent der Schweizerinnen und Schweizer geben an, «sehr vertraut» zu sein mit dem Metaverse. «Das ist kein Nischensegment, sondern ein ziemlich grosser Anteil der Bevölkerung», ordnet Marketingprofessor Tobias Schlager die Zahl ein.

Auf den ersten Blick mögen diese Werte erstaunen. Auf den zweiten zeigen sie, dass es sehr wohl Metaverse-Anwendungen gibt, die sich etabliert und eine treue Nutzergruppe gefunden haben. Welche das genau sind, hat die Studie nicht explizit abgefragt. Es liegt jedoch nahe, dass es sich dabei um Gaming-Angebote handelt.

Dennoch: Selbst wenn fast jede zehnte Person in der Schweiz das Metaverse regelmässig nutzt, heisst das genauso, dass sich 90 Prozent nur gelegentlich oder gar nie in die virtuellen Welten begeben. Das liegt zum einen am bescheidenen Angebot an Anwendungen, zum anderen an Barrieren in den Köpfen, welche die Leute davon abhalten, sich in den virtuellen Welten zu bewegen. Aus den Antworten ergaben sich drei grosse Hindernisse: Viele Leute hegen Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre und befürchten im Metaverse eine Abkoppelung vom echten Leben. Auch nicht gerade förderlich wirken sich die vergleichsweise hohen Preise für Infrastruktur und Zugang aus. In etwas geringerem Ausmass bremsen auch mögliche Auswirkungen auf die Umwelt, etwa wegen des grossen Stromverbrauchs, den Einstieg ins Metaverse.

«Wer das Metaverse erlebt hat, kennt die Gefahren»

Diese Barrieren liegen allerdings bei jenen Personen tiefer, die das Metaverse schon einmal ausprobiert haben. Was aber nicht heisst, dass regelmässige Anwenderinnen und Anwender automatisch weniger kritisch wären – im Gegenteil. Gerade die Gruppe der Early Adopter, die gerne frühzeitig neue Technologien ausprobiert und naturgemäss sehr enthusiastisch und sehr neugierig ist, zeigt sich sehr wohl auch kritisch und besorgt. Für Lukas Diem ist das kein Widerspruch. «Wer das Metaverse einmal erlebt hat, kann sich besser vorstellen, welche Gefahren es birgt. Ausserdem sind Early Adopter technologieaffine Menschen, die die Risiken vernetzter Technologien kennen.»

Das könnten schon bald mehr werden. So geben um die 60 Prozent der für die Studie Befragten an, das Metaverse in den nächsten fünf Jahren nutzen zu wollen. Als Top-3-Anwendungsbereiche nennen sie zuerst Bildung, etwa mit immersivem Online- oder Fernunterricht, dann Freizeit und Unterhaltung, insbesondere für Kunst oder Konzerte, und schliesslich Tourismus. Hier bieten sich virtuelle Erkundung von Reisezielen an.

Das generelle Bekenntnis zu einer künftigen Nutzung sieht dann doch etwas anders aus, wenn man die Zahlen aufschlüsselt und sie getrennt nach Gesamtbevölkerung und Early Adopter anschaut. Während rund 70 Prozent der Early Adopter davon ausgeht, das Metaverse in zehn Jahren täglich zu nutzen, geht mehr als ein Drittel der Allgemeinbevölkerung davon aus, selbst in zehn Jahren das Metaverse überhaupt nicht zu nutzen. Dieser Wert dürfte sich dann ändern, wenn mehr Leute ein erstes Mal das Metaverse nutzen. «Während Metaverse-Unerfahrene häufig noch deutliche Vorbehalte haben, zeigen sich diejenigen, die erste Erfahrungen damit gemacht haben, durchweg begeistert», steht in der Studie.

Vereinfachung und Verbesserung beim Einkaufen

Was bedeutet das nun für Unternehmen und Marken, die ihre Präsenz in die virtuelle Welt erweitern wollen? Auch hier zeigt sich deutlich, dass vor allem jene Konsumentinnen und Konsumenten, die das Metaverse kennen, konkrete Erwartungen an ein Shopping-Erlebnis formulieren können. Im Zentrum stehen dabei Vereinfachung, Verbesserung und Personalisierung des Einkaufsvorgangs in der virtuellen Welt.

Einen Vorgeschmack auf künftige Markenwelten im Metaverse bieten bisher erst vereinzelte gelungene Gehversuche. Marketing-Professor Tobias Schlager denkt etwa an einen Schweizer Luxusuhrenhersteller. «Die haben eine Community um ihre Marke herum aufgebaut, wo sich die Leute virtuell treffen und verschiedene Veranstaltungen besuchen können. Die verschiedenen Dimensionen ihrer Uhren können im Metaverse viel besser präsentiert werden als in einem physischen Showroom», sagt Schlager, der mit seinen Studierenden schon selbst eine Präsentation des Unternehmens erlebt hat. «Uns hat es wirklich vom Hocker gerissen. Und wir sind nicht Leute, die man einfach vom Hocker reissen kann.»

Haben genügend Unternehmen gute Ideen?

Auch die Modebranche mache gute Erfahrungen im Metaverse, respektive schon früher in Gaming-Welten, weiss Agenturmann Lukas Diem. «Nike-Schuhe oder Gucci-Handtaschen für den Fortnite-Avatar. Das funktioniert. Die haben erkannt, wie man den Wert eines physischen Produkts über die Marke in den virtuellen Raum transportieren kann.» Diem sieht den Knackpunkt darin, ob genug Unternehmen und Marken ausreichend gute Ideen haben, die dem User zu vermitteln vermögen, was das Metaverse für einen zusätzlichen Wert bietet. «Marken müssen verstehen, dass das Metaverse nicht durch seine Neuheit alleine als Publikumsmagnet wirkt», gibt Lukas Diem zu bedenken. Wie jeder andere Touchpoint müsse auch das Metaverse in die Customer Journey eingebaut werden, sodass es Wert stiftet und mit der Markengeschichte zusammenpasst.

Wie jede Befragung liefert das Metaverse-Barometer eine Momentaufnahme. Doch die kann sich schnell ändern. «Es kommt jetzt darauf an, was Apple macht», sagt Tobias Schlager. Wie schon das iPhone dem Smartphone zum globalen Siegeszug verholfen hatte, traut der Wirtschaftswissenschaftler Apple auch beim Metaverse die Rolle des Gamechanger zu. «Apple hat eine ausreichend grosse Kundenbasis. Wenn sie eine vernünftige Brille launchen, dann kann es relativ schnell gehen.» Dieser Einschätzung stimmt auch der Strategiechef der Agentur TBWA\Zürich zu. «Das Metaverse als Technologie ist gut genug, aber noch zu wenig zugänglich», sagt Lukas Diem. «Wenn Apple diese Lücke schliesst, dann ist der Weg frei.» Und das könnte schon sehr bald der Fall sein. Für die kommenden Tage lädt Apple zu seiner Entwicklerkonferenz WWDC ein unter dem Slogan: Eine neue Ära beginnt.



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Kommentare

  • Frank Bodin, 05.06.2023 09:04 Uhr
    Der Brand Indicator Switzerland hat das längst untersucht: Metaverse ist überall das Schlusslicht und auch wenn die Werte bei den Influencial Opinion Leader besser ausfallen, scheint es, dass das Metaverse noch Jahre von jeglicher Realität entfernt ist.
Kommentarfunktion wurde geschlossen

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