05.02.2023

Indiskretionsaffäre

Swisscom will Mailboxen schützen

Nach der Datenherausgabe an Sonderermittler Peter Marti findet beim Telekomunternehmen ein Umdenken statt. Die Praxis soll nun angepasst werden. Derweil sehen spezialisierte Anwälte einen Verstoss gegen den Datenschutz.
Indiskretionsaffäre: Swisscom will Mailboxen schützen
Die Swisscom hat sich bei der Datenherausgabe an Sonderermittler Peter Marti über die Branchenempfehlung hinweggesetzt. (Bild: Swisscom)

Der Wirbel um Bundesrat Alain Berset und seinen früheren Berater Peter Lauener macht viele Nutzerinnen und Nutzer von Telecomdiensten hellhörig. Die Swisscom hat mehr private E-Mail-Daten von Lauener herausgegeben, als von Sonderermittler Peter Marti verlangt.

Diese Praxis gilt im Telekomsektor als unüblich, wie die SonntagsZeitung berichtet. Der Schweizer Marktführer hat sich nicht einmal an die Vorgaben des Branchenverbands Swico gehalten, dessen Mitglied er ist. Spezialisierte Anwälte sehen einen Verstoss gegen den Datenschutz. Parlamentarier orten Handlungsbedarf bei den Geschäftsprüfungskommissionen als Aufsichtsorgane der bundesnahen Betriebe.

«Allenfalls wäre zu klären, wer diese Herausgabe beschlossen hat und ob Datenlieferungen von einer weiteren Stelle überprüft werden müssten», sagt der Bündner SP-Nationalrat Jon Pult, der Präsident der nationalrätlichen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen ist. Denn betroffene Privatpersonen können sich nur beschränkt gegen den Zugriff der Justiz auf die Mailbox wehren.

Swisscom will Siegelung prüfen

Staatsanwälte können in der Schweiz ohne richterliche Bewilligung auf E-Mails von Verdächtigen zugreifen. Diese können sich nur mit einem Antrag auf Siegelung wehren – im Nachhinein. Die Swisscom ändert nun die Praxis und will die Siegelung von sich aus prüfen.

Swisscom-Sprecher Sepp Huber bestätigte einen Bericht der NZZ am Sonntag. Mit dem Schritt wolle der Telekomanbieter die Rechte der Kunden besser schützen. E-Mail-Anbieter sind als Inhaber der Konten zu einem Antrag auf Siegelung berechtigt. In einem solchen Fall dürfen die Staatsanwälte die versiegelten Inhalte nicht verwenden, es sei denn, ein Zwangsmassnahmengericht entscheidet anders.

Wie viele staatsanwaltschaftliche Verfügungen zur Überstellung des E-Mail-Verkehrs die Swisscom erfüllt, wollte Huber nicht sagen. Die Branche geht gemäss der Zeitung von weniger als einem Dutzend Fällen pro Jahr aus.

Kritik vom Rechtsexperten

Der ehemalige Bundesrichter und Anwalt Niklaus Oberholzer übte an der aktuellen Herausgabepraxis für E-Mails deutliche Kritik. Für ihn ergebe es keinen Sinn, dass die Justiz ohne richterlichen Beschluss auf E-Mails zugreifen kann, sagte er der NZZ am Sonntag.

Verglichen mit einer Telefonüberwachung seien die Hürden tief. Beim Überwachen eines Telefons brauche es praktisch für alles eine richterliche Genehmigung, bei den E-Mails fehle diese Kontrolle. «Dass die Staatsanwälte E-Mails ohne Bewilligung durch ein Gericht lesen können, lässt sich aus meiner Sicht nicht begründen. Da stimmt etwas Grundsätzliches nicht», sagte Oberholzer der Zeitung.

Das Problem ist, dass Betroffene erst nach der Herausgabe der Daten an die Staatsanwaltschaft eine Siegelung verlangen können. Oft erfolgt die Information durch die Staatsanwaltschaft nicht rechtzeitig. Versiegeltes bleibt für eine Auswertung durch die Staatsanwaltschaft bis zu einer eventuellen Aufhebung durch das Zwangsmassnahmengericht gesperrt.

Das Parlament hat das Problem der zu grossen Macht der Staatsanwälte erkannt. Die kürzliche Revision der Strafprozessordnung regelt das Siegelungsverfahren neu: Sobald Staatsanwälte von einer Bank oder einem Telekomanbieter Daten erhalten, müssen sie die Betroffenen aktiv auf das Siegelungsrecht hinweisen. Die neue Strafprozessordnung tritt voraussichtlich Anfang 2024 in Kraft.

Ganzen Mail-Verkehr geliefert

Die Frage der leichten Herausgabe von E-Mail-Daten an Staatsanwaltschaften erhielt durch den Fall von Bundesrat Alain Bersets ehemaligem Mediensprecher Peter Lauener neue Brisanz (persoenlich.com berichtete).

Bei seinen Ermittlungen zu mutmasslichen Amtsgeheimnisverletzungen im Zusammenhang mit Zeitungsberichten zu einem als vertraulich klassierten Inspektionsbericht über die Zuger Chiffriermaschinenherstellerin Crypto verlangte der ausserordentliche Staatsanwalt Peter Marti von Swisscom und Bund Laueners E-Mail-Daten aus einem Zeitraum von rund sechs Wochen.

Bund und Swisscom lieferten ihm die ganzen E-Mail-Verkehr Laueners. Beim Durchforsten stiess Marti auf einen E-Mailaustausch Laueners mit dem Ringier-Chef Marc Walder in Bezug auf die Covid-19-Pandemie.

Lauener verlangte die Siegelung der Daten und reichte Strafanzeige gegen Marti wegen Kompetenzüberschreitung und Amtsmissbrauch ein. Über die Siegelung muss das Berner Zwangsmassnahmengericht entscheiden. In Sachen Strafanzeige ermittelt der der ausserordentliche Staatsanwalt Stephan Zimmerli. (sda/pd/cbe)



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