Als ich vor wenigen Tagen mit Roger Schawinski telefonierte, kam er gerade vom Joggen zurück. Was mich doch erstaunte, da er damit vor einigen Jahren aufgehört hatte. Er sei, erklärte er mir, als sei es die natürlichste Sache, soeben den Zürichberg hochgerannt. Was mich hingegen weniger erstaunte. Neben dem sattsam bekannten Jimmy-Cliff-Song «You can get it if you really want» gehört auch ein unbekanntes Bonmot des berühmten deutschen Schriftstellers Martin Walser zu seiner Lebensmaxime: «Bergwärts beschleunigen». Kein anderes Zitat beschreibt Schawinskis DNA präziser: Wenn andere beim beschwerlichen Anstieg resignieren, setzt dieser ungeahnte Kräfte frei. Sei es als Wiediker Kind beim Üetliberg, als HSG-Student beim St. Galler Rosenberg, als jugendlicher Radiopirat beim Pizzo Groppera oder als Sat.1-Direktor beim Prenzlauer Berg. Für die Sendung «Berg und Geist» von 3sat erkor er – völlig überraschend – die Ebenalp zu seinem Lieblingsberg, während sein liebstes journalistisches Subjekt in eine völlig andere Kategorie fällt: Herrliberg. Dass sich seine Häuser in Zürich und Ibiza nicht in einer Talsohle befinden – geschenkt. Zuletzt zeigte sich Schawinskis aussergewöhnliches Bergwärts-beschleunigen-Talent, als er als erklärter Nichtjasser im «Samschtig-Jass» zwar nicht den ewigen Rekord, aber zumindest den Titel des Jasskönigs holte. Wo andere in seiner Altersklasse das Seniorenheim oder einen thailändischen Strand vor dem geistigen Auge haben, sieht Schawinski immer noch den Brambrüesch. Für Nichtbündner: den Churer Hausberg.
Durch die vielen Jahre unserer Bekanntschaft bin ich gewissermassen zum «Schawinski-Versteher» geworden. In jugendlichen Jahren zuerst als Radio-24-Fan, später – bei TeleZüri – war er während fast acht Jahren mein Chef, heute sind wir befreundet. In dieser Zeit sind wir einige Male hochgeklettert: selbstverständlich auf den Üetliberg, aber auch auf den Hohen Kasten, die Schynige Platte, den Muottas Muragl, den Äscher und immer wieder den Pilatus. Auf diesen weit über zehnmal. Was stets als gemütliche Bergwanderung begann, wurde auf den letzten Metern oftmals zu einem unausgesprochenen Wettkampf, den – obwohl fast zwanzig Jahre älter – meist Schawinski gewann. Vor wenigen Jahren ruhten wir uns, völlig erschöpft vom vierstündigen Berghochlaufen, knapp unter dem Pilatus-Gipfel aus. Es war kalt und vor allem neblig. Vielleicht deswegen sagte ein vorbeilaufender Wanderer: «Grüezi, Herr Aeschbacher.» Doch dieser «Versprecher» setzte bei Roger Kräfte frei, sodass er die fast endlos scheinende Geröllhalde unterhalb des Gipfels beinahe schwerelos bewältigte. Oben angekommen, setzte er zum Sprint an. Bergwärts beschleunigen eben.
Diesem Talent hat die Schweizer Medienwelt vieles zu verdanken. Hätte Schawinski vor 46 Jahren die Schweiz nicht mit einer Riesenantenne mit Rock, Pop und Nachrichten beschallt, würde das SRG-Monopol als letztes seiner Art in Westeuropa möglicherweise heute noch bestehen. Zumindest – und das kann man mit Bestimmtheit sagen – hätte dessen Aufhebung viel länger gedauert. Doch Schawinski überwand mit der ihm eigenen Chuzpe alle juristischen, politischen und auch physikalischen Widerstände. Auch dies war ein kleines Wunder: Da zwischen dem Pizzo Groppera, dem Sendestandort von Radio 24, und Zürich keine Sichtverbindung bestand, wählten die UKW-Signale nicht den direkten Weg, sondern strahlten – von Bergwänden gespiegelt – zwischen der Lücke des Kistenpasses hindurch. Ohne diesen hätte Schawinskis Radio-Aktivität stumm geendet, und die Schweizer Mediengeschichte wäre anders verlaufen. Doch dies passierte bekanntlich nicht, Kistenpass sei Dank.
Dass das fast Unmögliche gelang, stärkte das Sendebewusstsein des damals 34-Jährigen und war Initialzündung für weitere unternehmerische Coups wie TeleZüri, Tele24, Radio 1 und möglicherweise Radio Grischa. 34 scheint dafür ein gutes Alter: Ein anderer gründete 2000 Jahre vorher seine Weltreligion. Bei TeleZüri zeigte sich Schawinskis unternehmerisches Talent: Die Einführung des Videojournalismus, einer täglichen Talkshow, aber auch des Stundentakts war nicht nur journalistischen Überlegungen geschuldet, sondern auch dem Umstand, dass diese viel kostengünstiger waren als ein Vollprogramm und eine Nische füllten, die die SRG damals nicht abdeckte. Der Verkauf seines Medienimperiums an Tamedia wenige Tage vor dem 11. September 2001 und dem Untergang der Swissair bleibt nach dem Pizzo Groppera wohl seine grösste unternehmerische Leistung. Und zeigte einmal mehr, dass Schawinski das Momentum selbst in einer völlig ausweglosen Situation – Tamedia hatte bereits abgesagt – nochmals drehen kann. You can get it if you really want.
Happy Birthday, lieber Roger. Dass du achtzig bist, ist eigentlich ein Widerspruch in sich. Deine Energie zeigt, dass es doch so etwas wie Zeitlosigkeit gibt. Der Mann mit dem grossen Schnauz vor der Riesenantenne ist der beste Beweis dafür.