11.08.2021

Filmschaffende im Ausland

«Das Unbekannte sitzt mit am Tisch»

Er spielte an der Seite von Mark Wahlberg und Mel Gibson: Im Interview spricht der Lausanner Schauspieler Carlos Leal über sein Leben zwischen seiner Wahlheimat Los Angeles und Europa und seinem grossen Interesse am hiesigen Filmschaffen.
Filmschaffende im Ausland: «Das Unbekannte sitzt mit am Tisch»
«Ich bin sehr daran interessiert, mit Schweizer Regisseuren zu arbeiten – auch wenn dieses Interesse bisher eher einseitig war», so Schauspieler Carlos Leal. (Bild: Tamara Lee Carroll)

Haben Sie ein bisschen Ruhe nach den letzten, nun abgeschlossenen Dreharbeiten?
Im Gegenteil. Gerade hatte ich drei Castings an einem Abend, und es kommen noch mehr. In diesem Geschäft kann man nie voraussagen, wann das Tempo langsamer und wann es schneller wird. Es ist, als würde man auf einer Achterbahn leben – mit flachen, ruhigen Momenten und solchen, in denen es unverhofft und mit voller Geschwindigkeit bergab geht. In meinem Leben sitzt das Unbekannte stets mit am Tisch.

Welchen Einfluss hatte die Pandemie, im speziellen der Lockdown, bis jetzt auf Sie?
Natürlich tun mir alle Menschen leid, die unter dem Virus gelitten oder geliebte Menschen verloren haben. Aber in meinem Fall war diese Zeit sehr wohltuend. Die Produktionen standen sechs Monate lang still. Diese Zwangspause hat mir enorm gut getan. Ich komme gereift aus dieser Zeit der Leere, die mich mit meinen Dämonen konfrontierte, heraus. Sie erlaubte mir, bestimmte Aspekte aus meinem Leben zu streichen und mich mehr auf jene zu konzentrieren, die ich liebe.

«Es gab Zeiten, in denen ich einfach alles hingeschmissen und eine Weile nichts getan habe»

Von welchen Dämonen sprechen Sie?
Zum einen ist da diese Spannung zwischen Selbstzweifeln und Selbstvertrauen, die ich schon immer spürte. Sie ist wie ein ständiger Kampf zwischen zwei Rittern. Je nachdem, wer von beiden die Oberhand gewinnt, kommt man entweder weiter oder stellt sich selbst in Frage. Es gab Zeiten, in denen ich einfach alles hingeschmissen und eine Weile nichts getan habe. Ich bin durch lange, dunkle Tunnel gegangen, seit ich in Los Angeles lebe. Für viele Menschen ist diese Stadt ein Ort der Vernebelung, der Einsamkeit.

Reden Sie vom Jetset?
Eher von der Hollywood-Scheinwelt, die sehr trügerisch ist und viel Schaden anrichtet. Viele naive Leute tappen in die Falle, Möchtegerns, die in Los Angeles ankommen und ihr Abenteuer auf Partys und Netzwerke bauen, in der Hoffnung, irgendwo eine Rolle zu ergattern. Die Ernüchterung kommt sehr schnell, denn worauf es hier vor allem ankommt, ist Arbeit und Schauspielqualität. Ich für meinen Teil habe mich immer von Glanz und Gloria Hollywoods ferngehalten. Ich kam vor zehn Jahren nach L.A., da war ich 40. Nach 15 Jahren mit meiner Rap-Gruppe Sens Unik hatte ich ohnehin genug von Party.

Also kennen Sie das gar nicht, das Enttäuschtwerden in Hollywood?
Ich konnte hier Träume verwirklichen. Einer davon ist die Rolle in «American Traitor: The Trial of Axis Sally», einem Film mit Al Pacino. Ich habe ein grossartiges Team und gute Manager in Madrid, Berlin und Paris. Wenn man in Los Angeles überleben will, muss man im Fall unvermeidlicher Flauten von solchen Menschen umgeben sein. Die Enttäuschungen können riesig sein, eine Serie kann abgesetzt werden, eine Rolle verschwinden. Meine Freunde, meine Frau Jo und meine beiden Kinder geben mir die nötige Stabilität.

«Ich habe die Schweiz verlassen, um meinen Ambitionen zu folgen»

Vermissen Sie die Schweiz?
Ich habe die Schweiz verlassen, um meinen Ambitionen zu folgen. Aber ich liebe dieses Land, und je öfter ich zurückkehre, desto stärker wird dieses Gefühl. Meine Freunde sind da, meine Familie in Lausanne, die Stadt, der See, die Natur. Ich mache oft einen Abstecher in die Schweiz, wenn ich Projekte in Europa habe. Im Moment aber bin ich glücklich in Los Angeles. Wir haben ein Haus in der Gegend von Culver City gekauft, das zu einer Art entstehendem Silicon Valley gehört, und da sind die Hitze und der Strand. Es wäre schade wegzugehen, nachdem ich hier die Saat für meine Arbeit gelegt habe – auch wenn meine Frau und ich nicht hier sterben wollen.

Wie nimmt man Sie in Los Angeles wahr? Als Einheimischen? Als Schweizer?
Als Europäer. Die Leute schätzen in der Regel meinen ungewöhnlichen Hintergrund, das Gemisch aus verschiedenen Nationalitäten. Manchmal kann ich diese Multikulturalität ausspielen, auch wenn sie mir keinen bestimmten Rollentypus zuweisen. Vom Bösewicht bis zum Guten, über den anhänglichen Vater, den Psychopathen, den Polizisten, den Killer oder den unterdrückten Homosexuellen stehen mir alle Möglichkeiten offen.

Ist das Spielen in Hollywood ein Muss für Sie?
Nein. Die Anforderungen sind wohl sehr hoch, und trotzdem kommen oft mittelmässige Produktionen heraus. Zum Glück hat das Fernsehen mit seinen sehr gelungenen Serien das Kino abgelöst. Grundsätzlich bevorzuge ich das europäische Kino, schweizerische, deutsche, französische oder spanische Produktionen. Die Serien sind ebenfalls von sehr guter Qualität. Ich bin also sehr daran interessiert, mit Schweizer Regisseuren zu arbeiten – auch wenn dieses Interesse bisher eher einseitig war.



Zur Person Carlos Leal

Als Rapper wurde Carlos Leal, 51, in den 1990er-Jahren mit der Gruppe Sens Unik bekannt, als Schauspieler durch Rollen in «Snow White», «The Team» oder «James Bond 007: Casino Royale». An der PhotoSchweiz machte er erstmals auch als Fotograf von sich reden.

Als nächstes wird der gebürtige Lausanner an der Seite von Mark Wahlberg und Mel Gibson im US-Kinofilm «Stu», in der deutschen Mini-Serie «Blackout», im spanisch-schweizerischen Film «El color del cielo» sowie in der zweiten Staffel von «The L-World: Generation Q» zu sehen sein.

Leal lebt mit seiner Frau Jo Kelly und seinen beiden Kindern (Elvis, 13, und Tyger, 5) in Los Angeles. (sda/cbe)



Dieser Text von Gilles d'Andrès, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.



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