16.12.2021

Tschugger

«Die Idee gärt schon jahrelang»

Sophie Toth von Shining ist Produzentin der Erfolgsserie «Tschugger». Im Interview spricht sie über die Entwicklung der Drehbücher im Writers' Room, einen herausfordernden Dreh bei Schneesturm auf dem Simplonpass und ihre liebsten Wörter auf Walliserdeutsch.
Tschugger: «Die Idee gärt schon jahrelang»
Eine spektakuläre Verhaftung: Arsène Junior Page als Juni und David Constantin als Bax. Im Bild rechts Produzentin Sophie Toth. (Bild: SRF/Dominic Steinmann/zVg)
von Michèle Widmer

Frau Toth, mit «Tschugger» haben Sie eine Walliser Serie produziert. Welche Walliser Ausdrücke sind Ihnen aus dieser Zeit besonders geblieben?
Es kommt öfter vor, dass ich auch Walliser Ausdrücke in Gedanken verwende, so wie Botsch, oder mich ertappe, wie ich Wörter auf «u» enden lasse. Glaffnä ist sicher auch eines der Wörter, die ich in den Wortschatz aufgenommen habe. Ich finde, das trifft schon vom Klang her vorzüglich den Zustand.

Jetzt müssen Sie bereits übersetzen. Botsch? Und glaffnä?
Ein Botsch ist ein Kind, und glaffnä bedeutet betrinken.

Die Serie kann als Erfolg bezeichnet werden und erntet derzeit viel Lob. Hätten Sie das gedacht, als die Drehbücher standen?
Wir haben schon auf Ideenbasis sehr an das Projekt geglaubt, aber diese zahlreichen und überschwänglichen Rückmeldungen hätte ich nie erwartet. Das muss ich über die Festtage erstmal noch verarbeiten. Erst kurz vor der Ausstrahlung war mir etwas mulmig, als ich an all die Leute an den Bildschirmen dachte, die sich nun amüsieren oder gleich wieder switchen. Den Erfolg habe ich mir für all die Mitwirkenden für ihre super Leistung erhofft und natürlich auch für alle vor der Kamera, die ihr Gesicht hergegeben haben.

«In einem Writers' Room sitzt man zusammen, bis man sich auf die Charaktere, die Storylines und den Staffelbogen geeinigt hat»

Eine Art Vorgänger der Serie ist «Tschutter», eine Webserie aus dem Jahr 2012, die auch von David Constantin stammt. Wie viel «Tschutter» steckt in «Tschugger»?
Abgesehen davon, dass beide Serien im Wallis spielen und es eine Titelverwandtschaft gibt, ist es natürlich David, der in beiden Serien vorkommt. Aber auch Pirmin (Dragan Vuijc) und der Name Smetterling haben es in das «Tschugger»-Universum geschafft. Und wer weiss, vielleicht finden aufmerksame Zuschauer in der zweiten Staffel noch mehr Referenzen.

Sie haben die Serie als Creative Producer im Writers' Room mitentwickelt. Wie lange sassen Sie im Team zusammen? Wie ist diese Arbeit abgelaufen?
Die Idee gärt schon jahrelang. In einem Writers' Room sitzt man am Anfang intensiver zusammen, bis man sich auf die Charaktere, die Storylines und den Staffelbogen geeinigt hat. Diese Arbeit mussten wir zum Teil über Zoom machen, was die Arbeit erschwert hat. Der Austausch an einem Tisch ist einfach ein anderer.

Und nach der Arbeit im Writers' Room stehen die Drehbücher? Oder wie muss man sich den Prozess vorstellen?
Am besten wie von Hand Schlagrahm schwingen, man weiss nie genau, wie lange es dauert, bis man dann die Nidle hat, die einem vorgeschwebt hat. Im Writers' Room haben wir die Drehbücher auf die Autoren verteilt und die Scripts in Meetings immer wieder vorgetragen und besprochen. Den finalen Draft gab es aber erst nach den Proben mit dem Cast.


Wer entscheidet am Schluss, wie die Geschichte konkret erzählt wird?
Das ergibt sich meistens durch lange Diskussionen im Writers' Room. Jeder versucht, sich durchzusetzen und die anderen zu überzeugen. Wenn es hart auf hart kommt, muss aber der Head Writer die Richtung vorgeben. Das gestaltet sich aber alles recht friedlich. Da sich David das Head Writing mit Mats Frey teilt und alle Autoren langjährige Freunde sind.

Welches Budget hatten Sie für die Produktion?
Wir hatten zirka drei Millionen Franken. Und wir haben jeden Franken davon umgedreht.

«Covid hat mich während des Drehs wie ein riesiger Schatten begleitet»

Wie lange haben die Dreharbeiten gedauert? Und wie gross war die Crew?
Gefühlt dauert der erste Teil des Drehs immer viel länger, und nach der Hälfte ist es plötzlich zu Ende. Für die erste Staffel hatten wir 30 Drehtage, einige zusätzlich mit der Second Unit – und natürlich das Footage des Pilotfilms, für den wir schon einige Szenen gedreht hatten. Die Crew bestand aus zirka 55 Personen, es waren aber natürlich nicht immer alle am Set.

Was waren für Sie als Produzentin die grössten Herausforderungen?
Während Covid einen solch langen Dreh ohne Vorfall zu überstehen. Covid hat mich während des Drehs wie ein riesiger Schatten begleitet und vieles mühsam, anstrengend und langatmig gemacht. Auch eine Herausforderung war die erste Woche des Drehs bei Schneesturm auf dem Simplonpass. Einen Dreh unter diesen Bedingungen zu starten, war für alle kein Zuckerschlecken, fein ausgedrückt. Aber wir waren auf Schnee angewiesen, und für die Bilder waren die Bedingungen ideal.

David Constantin war Regisseur und Hauptdarsteller zugleich. Was waren die Vor-, was die Nachteile dieser Konstellation?
Ein Vorteil war sicher, dass David sich selber Regieanweisungen geben konnte und diese dann auch verstanden hat, trotz seines Walliserdeutschen. Ein Nachteil war sicher die Mehrfachbelastung von David und durch seine tragende Rolle für mich auch das grösste Risiko, so in Hinsicht auf Covid, aber auch, weil er gerne den einen oder anderen Stunt selber machen wollte. Seine Tage waren schon in der Vorbereitung sehr intensiv, zumal er ja auch Head Writer der Serie ist. Und natürlich verfolgten wir mit ihm die Vision für «Tschugger», und unsere Ansprüche waren durch alle Departments hindurch sehr hoch.

«Wir wollten visuell eine Welt erzählen, die ein paar Jahre zurückliegt und die die Modernisierung der letzten Jahre etwas verschlafen hat»

Sie erwähnen es, die Serie enthält actionreiche Szenen. Wie waren die Stunts arrangiert?
Auch wenn David und die anderen Darstellerinnen und Darsteller gerne selber Action Hero gespielt haben, war doch noch ein ganzes Stuntteam um Oliver Keller involviert, das den Lead bei allen Actionszenen und Explosionen hatte.

Die Serie handelt zwar im Jetzt, bedient sich aber der Bildsprache und des Sounds der 1980er-Jahre. Warum eigentlich?
Wir wollten visuell eine Welt erzählen, die ein paar Jahre zurückliegt und die die Modernisierung der letzten Jahre etwas verschlafen hat: Neonschriften an schäbigen Häusern vor Abendrot, eine Ferrari-Bar, alte (aber nicht so cool-alte) Autos, Synthies. So Sachen, die uns in den späten Achtziger und frühen Neunzigern geprägt haben.

Nochmals zum Walliserdialekt: Auf SRF wird die Serie mit deutschen Untertiteln ausgestrahlt. Einem «Blick»-Journalisten ist dies etwas sauer aufgestossen, wie vielleicht anderen Wallisern auch. Wie sehen Sie das?
Wir nehmen den öffentlichen Auftrag ernst und finden es unterstützenswert, die Serie einem etwas grösseren Publikum zugänglich zu machen und zugleich den Üsserschwizern etwas Nachhilfe in Walliserdeutsch geben zu können.

Zum Schluss: Die zweite Staffel ist bereits produziert. Wie steht es um die dritte?
Das ist nicht ganz korrekt, die zweite Staffel ist abgedreht und befindet sich zurzeit in der Postproduktion. Ob und wie es mit «Tschugger» weitergeht, werden wir im neuen Jahr besprechen. Nun machen wir alle erst einmal Sendepause und gehen so gut es geht offline.


Die erste Staffel «Tschugger» läuft seit Ende November auf SRF 1, am Sonntag ist die letzte von fünf Folgen zu sehen. Alle Folgen sind zudem auf Play SRF, Play Suisse und Sky verfügbar. «Tschugger» ist eine Produktion von Shining Film und SRF in Zusammenarbeit mit Sky Schweiz.

Sophie Toth ist Partnerin und Produzentin bei der Filmproduktionsfirma Shining.



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