21.02.2021

Bindella

«Es wird eine Flurbereinigung geben»

Mit einem offenen Brief in der Sonntagspresse machten die Firmenchefs Rudi Bindella senior und junior auf die Nöte der Gastronomie während der Corona-Zeit aufmerksam. Was bewog den Marktführer zu diesem Schritt?
Bindella: «Es wird eine Flurbereinigung geben»
Sorgten Anfang Januar für Aufsehen mit einem offenen Brief als Printinserat in der Sonntagspresse: Vater und Sohn Bindella (Bild: Olivia Pulver)
von Matthias Ackeret

Herr Bindella, der Bundesrat hat den Lockdown zum zweiten Mal eingeführt. Was bedeutet das für Sie als Unternehmer?
Rudi Bindella junior: Wir sind traurig, weil wir davon ausgegangen sind, dass wir Ende Januar unsere Restaurants wieder öffnen können. Darauf haben sich die Mitarbeitenden und die Gäste gefreut.

Haben Sie ernsthaft daran geglaubt?
Bindella jun.: Der Bundesrat hat das so kommuniziert, und deshalb sind wir auch davon ausgegangen. Klar haben wir auch immer mehr von diesem mutierten Virus gehört, und wir spürten, dass es schwieriger werden könnte, da auch der Bundesrat je länger, je unsicherer wurde. Dementsprechend war es ein schleichender Prozess. Nichtsdestotrotz: Die Enttäuschung ist gross, da die Gastronomie unsere Leidenschaft ist. Wir wollen die Restaurants offen halten.

Wie gross ist der Schaden bei der Bindella-Gruppe, wenn Sie auf das vergangene Jahr zurückblicken?
Rudi Bindella senior: Wir haben den Vorteil, dass unser Tisch auf mehreren Beinen steht und das Risiko verteilt ist. Wir haben seit dem ersten Lockdown etwa 50 Millionen Franken weniger Umsatz gemacht als bei normalem Geschäftsgang. Das trifft uns hart. Wir werden 2020 einen Verlust von 7 bis 10 Millionen Franken erleiden. Wir haben knapp keinen Mittelabfluss, können jedoch nicht abschreiben und kommen insgesamt mit einem blauen Auge davon.

«Wir haben versucht, mit einem Inserat zu zeigen, wo uns der Schuh drückt.»

Wie sind Ihre Prognosen für dieses Jahr, das wieder mit einem Lockdown beginnt?
Bindella sen.: Wir haben gehofft, dass es so weitergehen würde, wie der Bundesrat angekündigt hatte, und wir am 22. Januar wieder hätten aufmachen dürfen. Aufgrund der Tatsache, dass die Schliessung nun verlängert wurde und man in den Medien liest, dass es noch bis Frühling oder Sommer gehen könnte, will ich keine Prognosen wagen. Ich glaube, 2021 wird noch härter als 2020. Ursprünglich haben wir das Umgekehrte gehofft.

Sie haben die Beizen-Diskussion in den Fokus gerückt, indem Sie ein Inserat in den Sonntagszeitungen geschaltet haben. Was hat Sie dazu bewogen?
Bindella sen.: Wir hatten das Gefühl, dass es zur Normalität geworden ist, dass die Restaurants geschlossen haben und sich niemand dafür interessiert, wie die laufenden Kosten gedeckt werden können, wie der Schaden, der durch die Schliessung entsteht, vergütet wird. Wir haben versucht, mit einem Inserat zu zeigen, wo uns der Schuh drückt, auch um die Diskussionen anzuregen.

Haben Sie eine Reaktion aus Bern bekommen?
Bindella sen.: Aus Bern direkt nicht, aber wir hatten sehr viele Reaktionen von Gästen, Geschäftspartnern, Mitarbeitenden und Politikern. Die Resonanz war riesig – und fast nur positiv.

Was hat Sie die ganze Aktion gekostet?
Bindella sen.: Rund 50’000 Franken.

Haben Sie den Wortlaut des Inserates selber verfasst?
Bindella sen.: Ja.

«Wenn der Bund schliesst, muss er den Schaden übernehmen.»

Wann würde es bei Ihnen kritisch werden?
Bindella sen.: Wenn wir in diesem Jahr grösstenteils geschlossen bleiben müssten und vom Bund keine Hilfe bekämen, hätten wir ein gröberes Problem. Dann müssten wir restrukturieren, uns gesundschrumpfen und massiv Stellen abbauen. Aber genau das wollen wir verhindern.

Dann wäre es auch eine Option für Sie, einzelne Restaurants zu schliessen?
Bindella sen.: Wenn der Umsatz derart zusammenbricht, müssen die Stellenpläne gekürzt werden.

In einem früheren Interview haben Sie einmal gesagt, dass ungefähr 20 Prozent aller Betriebe nicht rentierten. Während Corona hört man immer wieder, der Markt reguliere sich, es gebe sowieso zu viele Restaurants. Was sagen Sie dazu?
Bindella sen.: Wir sind in einer gesättigten Wirtschaft. Es wird eine Flurbereinigung geben. Aber wenn man sagt, dass diese Krise gerade passt, um zu bereinigen, finde ich das schon sehr asozial. Momentan müsste man das Loch schliessen, das zwangsstaatlich geöffnet wurde. Wenn der Bund schliesst, muss er den Schaden übernehmen. Und dann wird sich im weiteren Verlauf schon zeigen, wer dabei überlebt und wer nicht. Auch die Starken werden Federn lassen müssen – wir auch.

Wie viel haben Sie für Schutzmassnahmen ausgegeben?
Bindella jun.: Für alle unsere Betriebe in der Schweiz beträgt die Summe eine halbe Million Franken.

«Ist es richtig, dass alles das, was etwas Leben bringt, abgestellt wird?»

Das ist viel.
Bindella jun.: Enorm viel sogar. Wir haben schnell ein aufwendiges Schutzkonzept erarbeitet. Da ist es besonders frustrierend, dass wir trotz dieser Aufwände die Betriebe wieder schliessen mussten, teilweise mit nicht nachvollziehbaren Begründungen. Vor allem weil man nicht wirklich weiss, auf welchen Daten die Ansteckungen genau basieren. Das ist schon ein Affront gegen die Gastronomie.

Bindella sen.: Uns wurden die wertvollsten Monate und Zeiten weggenommen. Jene Monate vor Weihnachten und die Zeit am Abend. Sinnvoller wäre es gewesen, die Behörden hätten uns erlaubt, unsere Betriebe von 17 bis 24 Uhr zu öffnen. Die Restaurants aber am Abend, zuerst um 22 Uhr, dann um 19 Uhr zu schliessen, war völlig abstrus.

Sie sind ein politischer Mensch, Herr Bindella senior. Wie hätte der zweite Lockdown vermieden werden können?
Bindella sen.: Ich will nicht behaupten, dass wir es besser als unsere Regierung gemacht hätten. Ich weiss auch, dass es sehr unbefriedigend und auch undankbar ist, wenn man Entscheidungen treffen muss, von denen man weiss, dass es das ganze Volk besser weiss. Ich habe grossen Respekt vor dem Bundesrat. Aber wir hatten erwartet, dass er uns vor dem zweiten Lockdown, bei dem die Schliessung von Restaurants und Bars angeordnet wurde, gewisse Instrumente gegeben hätte, die uns über Wasser halten würden. Dass dies nicht geschah, geht meiner Meinung nach nicht.

Einverstanden?
Bindella jun.: Man kann die Schliessung hinterfragen. Dies betrifft nicht nur die Gastronomie, sondern auch den Detailhandel, Sportstätten und Kulturbetriebe. Ist es richtig, dass alles das, was etwas Leben bringt, abgestellt wird? Insbesondere dann, wenn es auf Daten basiert, die mehr als fragwürdig sind? Die Rechtfertigung fehlt. Wenn man auf den ersten Lockdown zurückschaut, war vieles völlig unverhältnismässig, wie beispielsweise die Schliessung des hinterletzten Kindergartens. Da fehlt mir doch eine gewisse Verhältnismässigkeit.

«Man darf Corona nicht als einziges Projekt ansehen.»

Wie ist die Aufteilung der Geschäftstätigkeiten unter Ihnen beiden?
Bindella jun.: Ich bin als Nachfolger meines Vaters für die Gastronomie, das Marketing und das HR verantwortlich, er ist es für den Weinhandel und die Produktion, für das Finanz- und Rechnungswesen sowie für IT und Handwerksbetriebe. Mir gefiel der Gedanke immer, das Unternehmen mit meinem Vater partnerschaftlich zu führen. Die Corona-Krise ist ein guter Test. Funktioniert es jetzt nicht, dann funktioniert es auch bei schönem Wetter nicht.

Unter Ihrer Führung ist Bindella zum grössten Gastrounternehmen der Schweiz geworden. Wie haben Sie dies bewerkstelligt?
Bindella sen.: In den Achtzigerjahren, als ich in den Betrieb meines Vaters eingetreten bin, war «Santa Lucia» unser Geschäftskonzept. Bis wir 1985 auf die Idee kamen, den damaligen «Tearoom In Gassen» in ein Restaurant, das heutige Restaurant Bindella, umzufunktionieren. Es wurde über Nacht zum Senkrechtstarter und läuft seit dem ersten Tag sehr gut. Unser Konzept ist es, italienische Restaurants der verschiedenen Preisklassen zu betreiben. Es war nicht die Idee, immer mehr Restaurants an verschiedenen Standorten zu haben, aber nach Zürich, Bern und Winterthur kamen weitere Betriebe in anderen Schweizer Städten hinzu. So hatte sich aus dem einen das andere ergeben.

Was sind Ihre nächsten Projekte, abgesehen vom Überleben während der Corona-Zeit?
Bindella jun.: Man darf Corona nicht als einziges Projekt ansehen. Wir müssen nach vorne schauen. Es gibt einiges, das uns künftig beschäftigen wird, wie beispielsweise Homeoffice. Wir gehen davon aus, dass sich Homeoffice nach der Pandemie verstärken wird, gleichzeitig glauben war aber nicht, dass die Unternehmen voll darauf setzen werden, da eine wertvolle Teamarbeit nicht auf Zoom stattfindet, sondern hier bei uns am Tisch und in den Büros, wo man diskutieren und auch interagieren kann. Wir sind in der Erlebnisgastronomie sehr beliebt. Die Leute kommen zu uns, weil sie sich hier wohlfühlen, unsere Freundlichkeit schätzen. Eine solche Dienstleistung erzielt man nicht mit der Lieferung von Pizza-Schachteln. Es wird zweifelsohne Veränderungen geben, aber ich bin überzeugt, dass die Menschen nach Corona wieder zu uns zurückkehren werden.


Mitarbeit: Marion Loher

Die Unternehmensgruppe Bindella hat ihren Ursprung in der 1909 von Jean Bindella gegründeten Weinhandlung. Der mit spanischen Wurzeln aus dem Tessin stammende Jean Bindella war der erste Chianti-Importeur in der Schweiz. 1965 eröffnete Bindella in Zürich die erste Pizzeria mit Holzofen: Santa Lucia. Seither sind über vierzig Restaurants in der ganzen Schweiz, das Weingut Tenuta Vallocaia in der Toskana sowie Handwerksbetriebe und eine Immobiliengesellschaft dazugekommen.

Zur Bindella-Gruppe gehören bekannte Restaurants wie das Bindella, das Terrasse oder das Conti in Zürich, das Chez Donati in Basel oder das Verdi, der Kornhauskeller oder das Lorenzini in Bern. 1982 übernahm Rudi Bindella senior in dritter Generation die Gesamtverantwortung von seinem Vater. Bindella beschäftigt über tausend Mitarbeitende in der ganzen Schweiz.

Das vollständige Interview lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des persönlich-Printmagazins.



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