14.03.2023

Medienkompetenz

Journalismus verstehen, Punkte sammeln

Die Ausstellung «Auf der Suche nach der Wahrheit – Wir und der Journalismus» will einem jüngeren Publikum den Nutzen und den Wert unabhängiger Medien vermitteln. Ein Besuch in St. Gallen und ein Gespräch mit Theo Stich, der die Ausstellung mitentwickelt hat.
Medienkompetenz: Journalismus verstehen, Punkte sammeln
Knallig und bunt: Die Ausstellung will ein junges Publikum ansprechen. (Bild: zVg)
von Nick Lüthi

Ohne Badge läuft nichts. Mit einer Plastikkarte ausgerüstet tritt man den Ausstellungsbesuch an. Wer damit möglichst viele Punkte sammelt, erhält am Ende einen Presseausweis mit dem Titel eines Chefredaktors oder einer Chefredaktorin ausgedruckt. Das bedingt allerdings, dass man die gestellten Fragen kompetent beantwortet und die Aufgaben professionell angeht. Sonst schafft man es nur zum Praktikanten oder zur Praktikantin.

persoenlich.com hat «Auf der Suche nach der Wahrheit – Wir und der Journalismus» an ihrem ersten Standort im Kulturmuseum St. Gallen besucht. Im Zentrum der Ausstellung steht ein im Stil der 1980er-Jahre nachgebautes Redaktionsbüro. Dort gilt es als Gruppe eine Recherche zu Ende zu führen. Dabei handelt es sich um eine vereinfachte und anonymisierte Version der Affäre Kopp, bei der Schweizer Medien im Herbst 1988 einen verfänglichen Anruf der Bundesrätin an ihren Gatten enthüllten. Das Rohmaterial befindet sich im Raum verteilt: ein angefangener Text auf einem uralten Macintosh-Computer, ein Telefonapparat mit Wählscheibe, ein Videorecorder mit eingelegter Kassette sowie zahlreiche Notizzettel mit möglichen Hinweisen. Auf einem Bildschirm gibt die Chefredaktorin Hinweise und treibt die Redaktion an; die Deadline drängt. Wer die Aufgabe in einer halben Stunde erfolgreich löst, erhält eine entsprechend grosse Punktzahl gutgeschrieben.

«Wir wollten das Ganze spielerisch und lustvoll angehen.»

«Dieser Redaktionsraum stand ganz am Anfang unserer Idee für diese Ausstellung», sagt Theo Stich im Gespräch mit persoenlich.com. Der Innerschweizer Historiker und Filmemacher (zuletzt «Mitholz», 2021) gehört zu den treibenden Kräften hinter der Ausstellung. «Wir wollten das Ganze spielerisch und lustvoll angehen. Dazu bot sich ein Szenario mit einem Escape-Room geradezu an.»

Neben dem Redaktionsraum besteht die Ausstellung aus drei weiteren Elementen. Zum Einstieg gilt es, seine Medienkompetenz unter Beweis zu stellen. Das geschieht mit einem Quiz und interaktiven Rollenspielen, wo man sich beispielsweise darin versuchen kann, erfolgreich Fake-News zu produzieren. Wer die Rolle gut und glaubwürdig spielt, kriegt dafür Punkte. 

Viel Platz nehmen im weiteren Ablauf der Ausstellung zehn grossflächige Schautafeln ein. Jede davon behandelt textreich ein Ereignis, das die Schweiz und ihre Medien in den letzten gut 60 Jahren über längere Zeit beschäftigte. Die Themenspanne reicht von der Debatte ums Frauenstimmrecht 1959 bis in die Gegenwart zum Ukraine-Krieg. Auch hier gibt es Punkte für passende Antworten.

Das vierte inhaltliche Modul der Ausstellung lädt zum Zusehen ein. Zahlreiche Kurzfilme dokumentieren den Wandel von Journalismus und Mediengeschäft aus der Perspektive von Journalistinnen und Journalisten. Ihre Aussagen stammen aus einem Vorläuferprojekt zur Ausstellung.



2017 initiierte der Verein journalistory.ch ein Oral-History-Projekt. Daran beteiligt war Ausstellungs- und Filmemacher Theo Stich, der einen Teil der Interviews mit prägenden Figuren der Branche wie Margrit Sprecher, Res Strehle oder Ueli Haldimann führte. «So spannend wie diese zahlreichen Gespräche auch waren, sie wirkten zu wenig gegen aussen», sagt Stich im Rückblick. «Wir hielten die Thematik aber für zu wichtig und wollten sie einem breiteren und auch jüngeren Publikum vermitteln», betont Stich. So sei man auf die Idee mit einer Ausstellung gekommen, die sich zum Ziel gesetzt hat, Jugendlichen bewusst zu machen, welche Arbeit Journalistinnen und Journalisten leisten.

Theo Stich, warum steht in einer Ausstellung, die primär Jugendliche ansprechen soll, nicht die Lebenswelt der Generation TikTok und ihr Medienverhalten im Zentrum?
Das rührt wohl daher, dass wir mit einem historischen Projekt gestartet sind. Der zeithistorische Aspekt ist uns wichtig. Wir wollen verständlich machen, warum die Welt heute so funktioniert. Dennoch versuchen wir, diese historische Perspektive auf eine Art und Weise zu vermitteln, die Jugendliche anspricht. Wir haben ein pädagogisches Dossier geschrieben. Damit können die Museen Schulklassen ansprechen. Aber wir werden sehen, wie Jugendliche den Zugang gerade auch zu Themen finden, die in einem grösseren historischen Kontext stehen.

Habt ihr mit Jugendlichen die Ausstellungsmodule getestet?
Wir haben insbesondere den Newsroom getestet und festgestellt, dass Jugendliche vielfach intuitiver an solche Aufgaben herangehen, wo Erwachsene nicht sofort einen Zugang finden.

«Die Aufgabe ja darin, einen Artikel zu publizieren.»

Aber verstanden die Jugendlichen auch, worum es inhaltlich geht?
Es ist möglich, dass bei ganz Jungen vor allem der Reiz darin besteht, Codes zu knacken und herumzuspielen. Aber am Ende besteht die Aufgabe ja darin, einen Artikel zu publizieren. Man muss korrekte Aussagen auswählen. Der Kontext ist klar und wird auch immer wieder in Erinnerung gerufen mit den Video-Einspielern der Chefredaktorin und dem alten Journalisten. In dem Sinne ist es eine Kombination von spielerischen Elementen, wie man sie von den Escape-Rooms kennt, und den inhaltlichen Aspekten der Ausstellung, wo es darum geht, etwas zu vermitteln, nämlich wie Journalistinnen und Journalisten arbeiten und sich an einen Kodex halten müssen.

Ihr zeichnet ein sehr positives Bild vom Journalismus. Warum habt ihr die inneren Widersprüche der Profession nicht thematisiert?
Es gibt in der Ausstellung schon auch kritische Momente des Journalismus, wo infrage gestellt wird, ob sich der Journalist oder die Journalistin richtig verhalten haben. Zum Fall Jagmetti fragen wir, ob die Veröffentlichung des Scoops legitim war. In den Filmen geht es stark um Standpunkt und Haltung. Und dort wird auch klar, Journalistinnen und Journalisten haben eine Machtposition. Aber die muss immer wieder hinterfragt und überprüft werden. Heute ist das Publikum den Journalistinnen und Journalisten nicht mehr ausgeliefert. Das Pendel schlägt ja eher in die andere Richtung, dass Recherchen verunmöglicht werden, etwa im Bankenbereich. Aber es stimmt schon, dass wir finden, der Journalismus ist bei allen Mängeln unverzichtbar. Das wollen wir vermitteln.

«In der vorhandenen Komplexität ist das Setting aber erstmalig.»

Es ist ja nicht die erste Ausstellung zu Journalismus und Medien. Worin unterscheidet sich euer Projekt von früheren Ausstellungen?
Wir haben natürlich die Ausstellung «Fake. Die ganze Wahrheit» im Stapferhaus Lenzburg gesehen, wir kennen auch das Angebot des Museums für Kommunikation in Bern. Dort haben wir Eindrücke geholt. Aber mit einem Badge Punkte zu sammeln, ist eine Technologie, die so erst in einer einzigen anderen Ausstellung zuvor eingesetzt wurde. In der vorhandenen Komplexität ist das Setting aber erstmalig.

Ihr seid sehr stark von dieser neuen Technologie abhängig. Wie gross ist das Risiko von Ausfällen?
Wir sind zuversichtlich, zumal sich die Technologie auch von fern warten lässt und sich allfällige Probleme dadurch schnell beheben lassen können.

Die Ausstellung kostet 800’000 Franken und wird von zahlreichen Stiftungen, Lotteriefonds und der öffentlichen Hand finanziert. Womit habt ihr die Geldgeber überzeugt?
Um die Finanzierung zu bewerkstelligen, brauchte es eine gute Idee, eben die Idee des Escape-Rooms, und die spielerischen Elemente. Die gaben den Ausschlag dafür, dass wir vor allem von den Lotteriefonds einiger Kantone Zusagen erhalten haben, wie auch von Stiftungen. Ein Schlüsselargument war zudem die Vermittlung von Medienkompetenz für junge Erwachsene, aber auch für das übrige Publikum. Auch der journalistische Wettbewerb Scoop! half sicher, die Geldgeber zu überzeugen. Doch die Finanzierung ist noch nicht ganz abgeschlossen. Die Löhne für unsere Arbeit sind noch nicht voll gesichert.



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