05.09.2022

Fantoche

«Kunstschaffen hält sich nicht an Grenzen»

Das Internationale Festival für Animationsfilm in Baden wird diese Woche zum 20. Mal ausgetragen. Die neue Direktorin Ivana Kvesić über die Jubiläumsveranstaltung, den Fokus auf die balkanische Filmbranche und ihren Wechsel vom klassischen Filmbereich zum Genre «Animation».
Fantoche: «Kunstschaffen hält sich nicht an Grenzen»
«Ich wollte am Fantoche das Filmschaffen präsentieren, das meine Familie und mich sowie einen grossen Teil der Schweizer Bevölkerung – Menschen mit Balkanwurzeln – geprägt hat», sagt Ivana Kvesić, Direktorin von Fantoche, dem Internationalen Festival für Animationsfilm. (Bild: Fantoche)

Frau Kvesić, Sie werden als Nachfolgerin von Annette Schindler das Internationale Festival für Animationsfilm* in Baden das erste Mal leiten. Wie blicken Sie dem entgegen? Sind Sie angespannt?
Ich bin voller Vorfreude und kann es kaum erwarten, denn jetzt kommt der schönste Teil: Wir ernten die Lorbeeren, für die wir als Team so hart gearbeitet haben. Bis jetzt bin ich relativ entspannt, da ich weiss, dass wir ein starkes Programm haben, dass das Team sehr gut aufgestellt ist und ich mich auf dessen jahrelange Erfahrungen verlassen kann. Ich persönlich werde wahrscheinlich erst kurz vor der Eröffnung nervös sein.

Inwiefern werden Sie dem Festival Ihren eigenen Stempel aufdrücken?
Ich glaube, dass der Stempel einerseits automatisch entstehen wird, da die Auswahl der Filme durch neue Menschen geprägt wurde. Andererseits war mir beispielsweise die neue Diskussionsreihe «Let’s Talk» ein persönliches Anliegen. Dieses Jahr sind es drei hochkarätig besetzte Panels, welche über die Fokusprogramme hinweg Verknüpfungen schaffen, Filmemachende zusammenführen sowie aktuelle Filme und Themen wie Krieg, #metoo oder immersive Technologien mit Expertinnen und Experten sowie Besuchenden vertiefen.

Konkret?
Es diskutieren beispielsweise der Animator und Künstler Mohammad Zaza sowie Daniel Šuljić (Kurator zweier Kurzfilmprogramme aus dem Fokus Balkan und Leiter Animafest Zagreb) mit der Filmwissenschaftlerin Rebecca Boguska, dem Psychiater Daniel Christos Dimitriadis (Doktorand am Centre of Trauma, Asylum and Refugees an der University of Essex in England) und der Politikwissenschaftlerin Nora Naji (Universität Basel, Mitglied der Forschungsgruppe Gender, Krieg und Sicherheit) über Fragen zu «Film and War». Welche Rolle nimmt das Medium Film im Krieg und in der Darstellung von Krieg ein? Wie beeinflussen aktuelle und vergangene Kriege die künstlerische Arbeit? Etwas möchte ich noch anmerken. 

Bitte.
In Zusammenarbeit mit den Schweizer Jugendfilmtagen, wo ich beruflich herkomme, haben wir am Fantoche die Talent Industry eingeführt, wo künftige Animatorinnen und Animatoren untereinander netzwerken können und Inputs erhalten. Dies sind zwei Beispiele von Akzenten, die ich auch zukünftig setzen will. 

«Ich habe gemerkt, dass ich von Serien wie Daria und Musikvideos stark geprägt wurde»

Dieses Jahr feiert das Festival sein 20-jähriges Bestehen. Wie wird das zelebriert?
Natürlich mit Filmperlen, die sicher viele Erinnerungen wiederaufleben lassen – im Kino, am Festival, in ganz Baden und auch online. Meine Vorgängerinnen und Vorgänger – das Gründungsteam Otto Alder, Frank Braun, Suzanne Buchan, Peter Hossli, Duscha Kistler und Annette Schindler – haben eine Carte blanche erhalten, ein Kurzfilmprogramm zu kuratieren. Die einzige Bedingung war, dass sie sich auf die Jahre ihrer Leitungszeit konzentrieren. Aber nicht nur die ehemaligen Leiterinnen und Leiter haben Fantoche geprägt, sondern auch das Team, das das «Team Favourite: Prinzessin Mononoke» beigesteuert hat. Online zeigen wir auf filmingo.ch bis Ende September die Filme der Gewinnerinnen und Gewinner der letzten 19 Jahre. Zum ersten Mal bei Fantoche begrüssen wir das Hamburger Kollektiv «A Wall is a Screen», das am Samstagabend die Häuserwände von Baden in Leinwände verwandeln wird. Und im Anschluss gibt es eine grosse Fantoche-Jubiläumsparty im Royal.

Beim Format «Ivana’s Choice» werden Sie das Publikum «in Ihr persönliches Filmuniversum mitnehmen». Was bedeutet dies genau?
Mit «Ivana’s Choice» möchte ich mich dem Fantoche-Publikum vorstellen und dabei vor allem folgende Dinge erreichen: ein Programm, das Spass macht sowie meine Ästhetik und Vorlieben zeigt. Aber auch ein Programm, das zeigt, dass ich offen bin für Neues. Ich habe mich an meine Kindheit und Teenager-Zeit zurückerinnert und dabei gemerkt, dass ich von Serien wie «Daria» und Musikvideos stark geprägt wurde. Aus diesem Grunde hätte ich am liebsten MTV-Musikvideos von Björk oder Daft Punk gezeigt – was aus rechtlichen Gründen leider nicht möglich war. Deshalb habe ich mich vor allem auf Filme konzentriert, die ich während der letzten fünf Jahre, seit ich im Filmfestival Business tätig bin, gesehen habe. Dennoch gibt es eine kleine Überraschung im Programm.

Die diesjährige Ausgabe setzt einen Schwerpunkt auf die balkanische Animationsfilmbranche. Weshalb?
Meine Eltern stammen aus Bosnien und Herzegowina, ich kam in Zagreb zur Welt. Mittlerweile besitzen alle Familienmitglieder die Schweizer Staatsbürgerschaft, aber natürlich wird der Balkan immer ein Teil von mir sein. Ich wollte am Fantoche das Filmschaffen präsentieren, das meine Familie und mich sowie einen grossen Teil der Schweizer Bevölkerung – Menschen mit Balkanwurzeln – geprägt hat.

«Der Film «Steakhouse» von Špela Čadež ist ein heisser Anwärter für die diesjährige Oscar-Nomination»

Auf welche Region des Balkans fokussiert sich das Festival?
Wir konzentrieren uns auf die Länder des ehemaligen Jugoslawiens, das von 1918 bis 1991 unterschiedliche Religionen, Regionen, Sprachen und Ansichten vereinte. Nach dem Krieg mussten die Länder der Region eigene Identitäten als Nationen entwickeln, trotzdem blieben durch kulturelle und geografische Gegebenheiten intensive Verbindungen bestehen. Der Balkan ist komplex, weshalb ich mich nicht nur auf ein Land beschränken wollte. Ich bin gerne in den unterschiedlichen Ländern des Balkans unterwegs und stelle immer wieder fest, wie wichtig es ist, dass wir über die Grenzen hinweg denken und miteinander im Gespräch bleiben, um Vorurteile zu überwinden. Was sich immer wieder zeigt: Das Kunstschaffen hält sich nicht an Grenzen – das wird auch in diesem Fokusprogramm deutlich.

Ein Herzstück des Festivals sind die Wettbewerbe in den Kategorien «International», «Schweiz» und «Kinder». Was lässt sich zu den diesjährigen Nominierten sagen? Welche internationalen und nationalen Trends sind abzulesen?
Wir haben in allen drei Kategorien Nominierte dabei, die sich bereits einen Namen gemacht haben, aber auch spannende neue Stimmen. Beim internationalen Wettbewerb konnten wir Newcomerinnen und Newcomer aus Ländern wie Kasachstan, Thailand, Chile et cetera für uns gewinnen – was mich sehr glücklich macht. Was dieses Jahr oft thematisiert wird, ist die Frage der Identität. Wer bin ich und wo bin ich zugehörig. Die Hinterfragung auch vom eigenen Schicksal. Und wir haben einige Filme in unterschiedlichen Kategorien oder Selektionen …

Zum Beispiel?
Der Schweizer Film «Boddyssey» von Jonas Bienz wird beispielsweise im Schweizer und im internationalen Wettbewerb zu sehen sein. Der internationale Film «Menagerie» von Jack Gray wird zusätzlich im Kinderwettbewerb gezeigt. Das Gleiche gilt für «The Smortlybacks Come Back!» von Ted Sieger, der nebst dem Schweizer Wettbewerb auch im Kinderwettbewerb zu sehen ist. Der Film «Steakhouse» von Špela Čadež läuft im internationalen Wettbewerb und wird im Fokus Balkan «Women in Animation» gezeigt. Der Film ist auch ein heisser Anwärter für die diesjährige Oscar-Nomination.

«Ein Film muss etwas in mir auslösen, sonst betrachte ich es eher als verlorene Zeit»

Sie sind in der Filmszene bestens vernetzt, waren Sie doch unter anderem als Co-Leiterin der Schweizer Jugendfilmtage und im Selektionsteam der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur tätig. Wie haben Sie den Wechsel vom klassischen (Kurz-)Filmbereich zum Genre «Animation» erlebt?
Ich hatte auf jeden Fall Respekt davor, ob ich dieser Aufgabe gewachsen bin. Ich habe in vielen Gesprächen mit Animatorinnen und Animatoren oder Menschen aus diesem Bereich gemerkt, dass Technik eine sehr grosse Rolle spielt. Dennoch habe ich festgestellt, dass meine Kriterien, Filme zu beurteilen, «verheben». Mein duch frühere Tätigkeiten geschulter Blick funktioniert auch in diesem spezifischen Genre. Aber grundsätzlich ist alles ein Lernprozess: Ich durfte in den letzten Monaten Hunderte von Filmen schauen und eigne mir so automatisch stets mehr Wissen an. Zusätzlich habe ich tolle Menschen in der Selektion, die mich mit ihrem Wissen unterstützen. 

Was war Ihr grösstes Learning seit Ihrem Start im November 2021?
Nebst den Techniken und den sehr spezifischen Berufskategorien in der Animation habe ich wichtige Namen aus der Szene kennengelernt und teilweise auch persönlich getroffen. Und ich bin immer wieder «geflasht» von der unglaublichen Vielfalt in der Animation, die in einem Live-Action-Film niemals erreicht werden kann. 

Als Ihr Wechsel bekannt wurde, haben Sie gegenüber den CH-Media-Zeitungen gesagt: «Die geringe Erfahrung im Genre ist kein Nachteil». Können Sie diese Aussage auch heute noch unterschreiben?
Ja, ich empfinde es immer noch gleich. Ich bin die Selektion sehr offen angegangen, war nicht von den Namen der Filmschaffenden beeinflusst, da ich diese nicht immer kannte, und war fokussiert auf die Machart und das Narrativ. Ein Film muss etwas in mir auslösen, sonst betrachte ich es eher als verlorene Zeit.

Eine persönliche Frage zum Schluss: Welcher Animationsfilm hat Sie in diesem Jahr besonders beeindruckt?
Das ist eine gemeine Frage, aber sagen wir es so: Die Langfilme, die mich berührt haben, werden bei uns am Festival gezeigt – sei dies von der Technik, vom Sound oder von der Geschichte her. Es gibt dabei sicher ein paar Filme, die ich ein bisschen mehr ins Herz geschlossen habe als andere, aber ich finde schlichtweg alle auf ihre Weise toll. Das Gleiche gilt auch für die Kurzfilme. Alle Filme wurden mit hoher Sorgfalt und viel Liebe ausgewählt. Die Besuchenden dürfen sich freuen.


*Fantoche – Internationales Festival für Animationsfilm findet vom 6. bis 11. September in Baden statt. Dieses Jahr wird es zum 20. Mal ausgetragen.


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