30.10.2021

Arc de Triomphe

Von Christo lernen

In Paris wurde nach Plänen von Christo der Arc de Triomphe verhüllt. Der künstlerische Höhepunkt des Ausnahmekünstlers, der im vergangenen Jahr verstorben ist. Und ein Lehrbeispiel für den Kulturbetrieb – und das ganze Leben.
Arc de Triomphe: Von Christo lernen
16 Tage war Christos Pariser Grossprojekt «L'Arc de Triomphe, Wrapped» in seiner vollen Pracht zu bestaunen. (Bild: Keystone/AP Photo/Francois Mori)
von Matthias Ackeret

Am schönsten war der eingepackte Arc de Triomphe morgens früh, kurz vor Sonnenaufgang. Dann zeigte sich das Gebäude in seiner ganzen Pracht. Ein überdimensionierter Monolith in leichtem Grau, wie von einem fremden Planeten. Eine perfekte Symmetrie, darunter unsichtbar, unter grauem Stoff verborgen, die «gloire» der französischen Geschichte, verkörpert durch die siegreichen Schlachten Napoleons. Enthüllen durch Verhüllen.

Der verhüllte Arc de Triomphe ist der späte Höhepunkt von Christo und Jeanne-Claude, dem bulgarisch-französischen Künstlerehepaar, das mit seinen spektakulären Aktionen die Welt während eines halben Jahrhunderts immer wieder faszinierte. Ihre Installationen, vom eingepackten Berliner Reichstag über «The Gates» im Central Park bis zu den «Floating Piers» auf einem oberitalienischen Bergsee, waren bereits zu ihren Lebzeiten Teil des kollektiven Welterbes. Das erste Gebäude, das die beiden 1968 einhüllten, war die Kunsthalle in Bern, ihre spektakulärste Schweizer Installation – dreissig Jahre später die Verkleidung der Bäume beim Beyeler-Museum in Riehen.

Keiner hat die Vergänglichkeit eleganter zelebriert, die Magie des Moments leichter eingefangen als Christo. Was paradox erscheint, da seine Kunstwerke längst abgebaut sind – nur noch in der Erinnerung existieren. «Meine Kunst», konstatierte der Meister, dieser Traumtänzer der Gigantonomie, nüchtern, «ist flüchtig und sinnbefreit.» Das perfekteste Happening aber war der Arc de Triomphe, ein «reduce to the max» im besten Sinn des Wortes. Einzig tragische Komponente: dass Christo dessen Verhüllung nicht mehr selbst miterleben konnte, da er ein gutes Jahr vorher in New York verstorben war. Doch die ganze Installation – überwacht von seinem Neffen – geschah genau nach den Plänen Christos.

Der eingehüllte Arc de Triomphe ist auch die Geschichte eines Märchens: Als Christo Wladimirow Jawaschew als güterloser Flüchtling vor den bulgarischen Kommunisten 1958 nach Paris kam, sah er von seiner Mansardenwohnung diae Spitze des Triumphbogens. Kurz danach fertigte er die ersten Skizzen des eingepackten Monuments an, niemals ahnend, dass es ein halbes Jahrhundert später Realität werden würde. Das Tageswerk verdiente er sich mit kleineren künstlerischen Aufträgen. Beim Porträtieren der Frau eines Zweite-Weltkrieg-Generals lernte er dessen Tochter Jeanne-Claude kennen, die zu seiner lebenslangen Muse, Beraterin und Inspiratorin wurde – der handfeste Beweis, dass Paris als Stadt der Liebe wirklich taugt.

Dem etablierten Kunstbetrieb war Christo lange Zeit ein Dorn im Auge. Zu populär, zu gigantisch, zu wenig ideologisch, vielleicht auch zu kommerziell, lauteten die landläufigen Vorwürfe, was ungerecht ist, da Christo all seine Installationen mit dem Verkauf seiner Bild finanzierte und bewusst auf jegliche Werbe- und Sponsoreinnahmen oder – im Gegensatz zu den herkömmlichen Gepflogenheiten der Branche – auf öffentliche Subventionen verzichtete. So auch in Paris, wo er im Vorfeld wegen seines überraschenden Ablebens lediglich 24 Bilder des eingepackten Arc de Triomphe malen konnte, die in den nächsten Wochen an reiche Sammler verkauft werden, um die Kosten von rund 13 Millionen Franken zu zahlen. Allein schon der Versuch, auf Eintrittsgelder und das Merchandising zu verzichten, ist die Interpretation des Kunstbegriffs in seiner reinsten Form.

Dafür war Christo immer in eigener Sache unterwegs, um für seine Projekte zu werben oder Bilder zu verkaufen. Dasselbe auch vor drei Jahren in der «Kronenhalle». Eine Zürcher Galerie offerierte ein Essen für Christo, dessen Ausstellung soeben eröffnet worden war. Ein paar Gäste, darunter der Gefeierte, gönnten sich eine Rauchpause im Treppenhaus. Einer der Anwesenden schilderte Christo umständlich eine Autoreise durch Amerika. Um dessen volle Aufmerksamkeit zu erlangen, verstieg er sich immer mehr in Details. Der weltberühmte Künstler hörte wortlos zu. Bezeichnend für Christo, dass er, ohne selbst grosse Töne zu produzieren, das ganze Interesse sofort auf sich zog. Auch war es keineswegs sein Bestreben, den Betrachter seiner Kunst in dessen depressiven Selbstzweifeln zu bestärken, viel mehr wollte er ihn – wenn überhaupt – in ein kurzfristiges Glücksgefühl versetzen.

So auch in Paris: Der Schreibende selbst hat selten einen befreienderen Moment erlebt als zu mitternächtlicher Stunde vor Christos Arc de Triomphe. Die weisse Aluminiumhülle – auf der Rückseite mit blauem Polypropylen bedruckt – stand im krassen Kontrast zum nächtlichen Pariser Himmel, das furchteinflössende Monument verströmte eine ungewohnte, provokante Leichtigkeit. Sollte jemand die ruhmvolle Geschichte der Grande Nation jemals ausser Betrieb gesetzt haben, indem er die Geister der Vergangenheit alukompatibel einlullte, dann Christo: sein Kunsthappening als real existierende Umsetzung von Liberté, Égalité, Fraternité. Es gehört zum Christo-Prinzip und vielleicht auch zu dessen Vermächtnis, dass man dies immer zu spät realisiert. So war es beim Reichstag, im Central Park, aber auch in Riehen.

Seit dem 4. Oktober ist der Arc de Triomphe wieder im Normalzustand.



Dieser Text erschien zuerst in der Oktober-Printausgabe von «persönlich».



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