07.08.2019

Armin Thurnher

«Wir haben Tausende Abos mehr verkauft»

Nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos und dem Sturz der Regierung von Sebastian Kurz fragt sich die ganze Welt, wie unsere östlichen Nachbarn ticken. Ein Gespräch mit «Falter»-Chefredaktor Armin Thurnher, einem der renommiertesten Publizisten des Landes.
Armin Thurnher: «Wir haben Tausende Abos mehr verkauft»
«Wir haben unsere Rolle als Aufdeckermedium, aber auch als kommentierendes Medium und werden nun belohnt», so Armin Thurnher. (Bild: Falter/Irena Rosc)
von Matthias Ackeret

Herr Thurnher, haben Sie in Ihrer Zeit als Herausgeber und Chefredaktor des «Falter» schon mal solche Polit-Turbulenzen in Österreich erlebt?
Formal gesehen nicht. Noch nie ist einer Regierung oder einem Minister vom Parlament das Misstrauen ausgesprochen worden. Die Turbulenzen waren im Jahr 2000 allerdings stärker, als Wolfgang Schüssel (ÖVP) mit Jörg Haider (FPÖ) eine Regierung bildete. Er brach damit sein Versprechen, als Wahl-dritter in die Opposition zu gehen, und er brach das Tabu, mit Rechtsextremen zu regieren. Das hatte europaweite Wirkungen, die sogenannten Sanktionen. Im Inland demonstrierten Hunderttausende.

Woran liegt es, dass plötzlich so eine Dynamik entstehen konnte und der Kanzler abgewählt wurde?
Zuerst einmal am Ibiza-Video. Die FPÖ glaubte, durch den Rücktritt von Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Klubobmann Johann Gudenus die Regierungskoalition fortführen zu können, aber Kanzler Kurz verlangte zusätzlich das Innenministerium für seine Partei. Daraufhin trat die FPÖ aus der Regierung zurück, und es kam zum Misstrauensvotum.

«Da müsste man einen Roman schreiben»

Sie sind in der Nähe der Schweizer Grenze aufgewachsen. Uns ist die österreichische Mentalität irgendwie fremd. Können Sie uns diese kurz erklären?
Da müsste man einen Roman schreiben! Ich habe versucht, in meinen Österreichbüchern Erklärungen zu geben. Das Hauptproblem scheint mir die unterentwickelte bürgerliche Öffentlichkeit zu sein, die Unfähigkeit zur offenen Auseinandersetzung, daraus resultierend der Hang zu Personalisierung, Dämonisierung und Ressentiment. Deswegen auch der dominierende Boulevard und die Abneigung gegen sachliche Auseinandersetzung.

Ist es moralisch vertretbar, dass die SPÖ mit der ungeliebten FPÖ zusammengeht, um den Kanzler zu stürzen?
Das Wort von der SPÖ/FPÖ-Koalition ist ein Spin von Kanzler Kurz, der gerade selbst eineinhalb Jahre mit der auf einmal von ihm ungeliebten FPÖ in strahlender Harmonie regiert hat. Die FPÖ hat nur einem Antrag der SPÖ zugestimmt, wie auch die Liste Jetzt, die als Erste die Idee zu einem Misstrauensantrag hatte. Niemand spricht aber von einer Dreierkoalition!

Wie wird das Ergebnis im Herbst aussehen?
Die kommunikative Perfektion von Sebastian Kurz wird zu seinem Wahlsieg führen, die Grünen kommen wieder ins Parlament, die Neos werden dazugewinnen, die SPÖ wird sich schwertun, und die FPÖ wird aber weit weniger stark verlieren als 2002. Damals verlor sie 17 Prozent, die ÖVP gewann 15 Prozent. Kurz spekuliert natürlich auf eine Wiederholung dessen, die Verluste der FPÖ werden aber schwächer ausfallen. Eine Fortsetzung von ÖVP/FPÖ halte ich für wahrscheinlich, es sei denn, Neos und ÖVP bekommen zusammen eine Mehrheit. Die Liste Jetzt wird verschwinden.

Was bedeuten solche «Schlachten» für eine Zeitung wie den «Falter»? Spüren Sie einen Abo-Anstieg?
Wir haben unsere Rolle als Aufdeckermedium, aber auch als kommentierendes Medium und werden nun belohnt. Die meisten Medien in Österreich sind absolut regierungsfreundlich, wenn nicht Kurz-Anbeter; wir wahren Distanz. Wir haben Tausende Print- und Digitalabos mehr verkauft und unsere Zugriffsraten drastisch erhöht, auch bei unseren unter Falter-Radio laufenden Podcasts.

Welche Auswirkungen hat es auf die Online-Berichterstattung?
Wir hatten den Wissensvorsprung vor den anderen österreichischen Medien und konnten punktgenau zur Veröffentlichung des Videos online einen grossen Themenschwerpunkt publizieren.

Falter

Spüren Sie einen Druck der Parteien auf den «Falter»?
Nur insofern als diese Regierung Inserate in unserem Medium von jährlich 500'000 Euro auf nahezu null kürzte (die «Kronen Zeitung» bekommt von Bund, Ländern und Gemeinden übrigens 18 Millionen im Jahr, die Gratisblätter «Österreich» und «Heute» nicht viel weniger). Und natürlich verweigerte uns der Kanzler Interviews. Man sah uns als «Feindmedium». Schauen wir, wie sich das im Wahlkampf entwickelt.

Haben Sie das Ibiza-Video eigentlich in der ganzen Länge gesehen?
Nicht ich, Kollege Florian Klenk hat es bei der «Süddeutschen Zeitung» gesehen, er hat mir aber genau berichtet.

Seit wann wissen Sie von der Existenz des Videos?
Es wurde sowohl Klenk wie mir separat von Dritten angeboten, etwa Mitte 2018. Der uns unbekannte Anbieter kam dann aber nicht zu einem vereinbarten Treffen.

Wissen Sie, wer es produziert hat und warum er es ausgerechnet jetzt veröffentlicht hat?
Weder noch. Ich beteilige mich auch nicht an Spekulationen darüber.



Das Interview erschien zuerst in der Juni-Ausgabe von «persönlich».

Der 70-jährige Armin Thurnher ist Mitgründer, Herausgeber und Chefredaktor der Wiener Stadtzeitung «Falter», die sich als Investigativblatt weit über Österreichs Grenzen hinaus einen Namen gemacht hat. Thurnher ist in Bregenz aufgewachsen.



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