22.03.2025

Thomas Haemmerli

«Wir sind alle widersprüchliche Figuren»

Bruno Stefanini sparte bei sich selbst und sammelte trotzdem Schlösser und Napoleons Zahnbürste. Im Interview erklärt Regisseur Thomas Haemmerli, wie er in «Die Hinterlassenschaft des Bruno Stefanini» den faszinierenden Winterthurer Immobilientycoon trotz kaum vorhandener Filmaufnahmen zum Leben erweckt hat.
Thomas Haemmerli: «Wir sind alle widersprüchliche Figuren»
«Als ich das erste Mal ein paar Artikel las, war mir sofort klar: Der Mann war ein pathologischer Horter. Und ein Kunstliebhaber. Das schliesst sich nicht aus», so Regisseur Thomas Haemmerli. (Bilder: Xenix Film)

Herr Haemmerli, Ihr Film über den verstorbenen Winterthurer Immobilientycoon Bruno Stefanini läuft in den Kinos. Wie ist die Resonanz?
Sehr gut. Der Film ist humorvoll, und inzwischen weiss ich, dass die Leute tatsächlich lachen. Dazu kommt: Das Publikum schätzt, dass man en passant viel über Schweizer Nachkriegs- und Sittengeschichte erfährt. Und der Winterthurer Immobilientycoon war ja eine skurrile Figur mit seiner gigantischen Sammlung, die von Schlössern über Kunst, von Militaria wie Hellebarden, Seeminen oder Panzer bis zu Napoleons Zahnbürste oder Kaiserin Sissis Milchzahn reicht.

Wer hat Ihnen den Auftrag gegeben, diesen Film zu drehen?
Stefaninis Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte hatte einen Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem ich in die zweite Runde kam. Ich habe dann mit einer Produzentin zusammen ein grösseres Projekt für einen unabhängigen Autorenfilm eingereicht und dazu für die Finanzierung SRF, 3sat und das Bundesamt für Kultur an Bord geholt.

Wie sind Sie vorgegangen? Es gibt ja praktisch keine Filmaufnahmen von Stefanini, abgesehen von einem «10 vor 10»- und einem «Tagesschau»-Beitrag …
Erstens konnte ich grossartige Zeugnisse drehen, etwa von Stefaninis erster Freundin, die heute 99 Jahre alt ist, von seinen Kindern, von Viktor Giacobbo, der sein Mieter war, oder von Christoph Blocher, der wie Stefanini Anker und Hodler sammelt. Zweitens habe ich viel Zeitgeschichte eingebaut, etwa das Konkubinatsverbot, das in Zürich noch Ende der 1960er-Jahre galt, oder die Besetzung des Sulzer Hochhauses, das Stefanini nach dem Niedergang des Industriestandorts gekauft hatte. Drittens habe ich mit Fotos der 100'000 Sammlungsobjekte gearbeitet, was mir entgegenkam, da ich ohnehin gerne mit Symbolbildern spiele. Die Klammer bilden Humor und der eher leichtfüssige Kommentar. 

Stefanini war ein besessener Sammler, der über 100'000 Gegenstände von Hodler- und Ankerbildern bis zum Schreibtisch von John F. Kennedy, dem Milchzahn von Kaiserin Sissi und dem Geschirr Napoleons kaufte. War er jetzt mehr Messie oder Kunstliebhaber?
Als ich das erste Mal ein paar Artikel las, war mir sofort klar: Der Mann war ein pathologischer Horter. Und ein Kunstliebhaber. Das schliesst sich nicht aus. Die meisten Messies haben rational nachvollziehbare Gründe, warum sie Dinge zusammentragen oder nicht wegwerfen. Das Problem ist, irgendwann wächst es ihnen über den Kopf. Stefanini wusste von vielen Dingen nicht, wo er sie hatte. Und konzentrierte sich lieber darauf, Neues zu erwerben.

Wo stellten sich für Sie beim Filmen die grössten Herausforderungen?
Es war eine Fleissarbeit, mich durch Berge von Akten und Briefen durchzuarbeiten, nachdem die Stiftung mir vollen Zugang zu ihrem Archiv gegeben hatte. Dann brauchte es sehr viel Zeit und auch etwas Ideenreichtum, um Leute ausfindig zu machen, die aus einer Zeit stammen, als man keine Spuren im Netz hinterliess. Und lange war es für mich schwierig nachzuvollziehen, wie einer, der Hochhausprojekte stemmt und als Rappenspalter gilt, gleichzeitig bei einem Schloss für 50 Millionen den Rohbau eines Atombunkers für sein Museum erstellt, und dann wegen Scherereien mit den Behörden den Bettel hinwirft.

Wie gut kannten Sie die Figur von Bruno Stefanini im Vorfeld?
Gar nicht. Da ich aber mit sehr vielen Leuten aus seinem Umfeld geredet, Tagebücher und komplette Briefwechsel mit Geliebten gelesen habe, scheint er mir heute vertraut. Dazu kam, dass ich mich in einigen der Gebiete gut auskenne, die in seiner Vita und im Film eine Rolle spielen: Mich interessiert das serielle Bauen der 1930er-Jahre, das er sich zu eigen machte. Ich war früher ein linker Aktivist und engagierte mich in der RS für die Armeeabschaffungsinitiative und besetzte Häuser, ausserdem passioniert mich Kunst. Das hat alles enorm beschleunigt.

«Jetzt freue ich mich, mein nächstes Grossprojekt in Angriff zu nehmen»

Gibt es noch Fragen zu Bruno Stefanini, die Sie nach dem Film nicht beantworten können?
Wir sind alle widersprüchliche Figuren. Stefanini war das ganz extrem. Eigentlich weiss ich das. Trotzdem bereitet mir die Vorstellung Mühe, dass er ein Milliardenimperium aufbaut und trotzdem nicht in der Lage ist, sinnvoll zu delegieren, um sein Museumsprojekt zu realisieren. Oder dass er die Mieten nicht erhöht hat, eine soziale Ader hatte und gleichzeitig ausziehenden Mieterinnen – etwa der heutigen Frau von Christoph Blocher – das Mietzinsdepot nicht zurückzahlte.

Was ist Ihr nächstes Projekt?
Vor dem Film habe ich mit Brigitte Ulmer drei Jahr lang intensiv an «Kreis! Quadrat! Progress!» gearbeitet, einem dicken Buch über die Zürcher Konkreten, einer Kunstrichtung, die auch für Werbung und Grafik entscheidend war. Die Bücherstapel stehen jetzt noch herum, und die Arbeit am Film habe ich mit so knappem Zeitbudget begonnen, dass ich wieder jeden Abend und jedes Wochenende gewerkelt habe. Jetzt freue ich mich, mit den Bildern von Stefaninis Hinterlassenschaft im Hinterkopf, mein nächstes Grossprojekt in Angriff zu nehmen: Homeoffice, Büro und Computer aufräumen. 


«Die Hinterlassenschaft des Bruno Stefanini» läuft seit Donnerstag in den Deutschschweizer Kinos.


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