09.04.2018

Daniel Kehlmann

«Wir wären alle gerne wie Till Eulenspiegel»

Der 43-Jährige gehört zu den berühmtesten und erfolgreichsten zeitgenössischen Autoren. Sein Buch «Tyll», von dem er einige Hunderttausend Exemplare verkauft hat, ist seit Wochen auf der «Spiegel»-Bestsellerliste. Ein Gespräch.
Daniel Kehlmann: «Wir wären alle gerne wie Till Eulenspiegel»
Daniel Kehlmann: «Welcher Vagant ist interessanter als ein Gaukler?» (Bild: Keystone)
von Matthias Ackeret

Herr Kehlmann, Sie haben mit «Tyll» den legendären Till Eulenspiegel zum Leben erweckt. Dies ist doch sehr ungewöhnlich. Warum haben Sie einen Narren am berühmtesten Narren der Weltgeschichte gefressen?
Ein Narr ist eine mobile Figur in einer nicht mobilen Gesellschaft. In der Frühen Neuzeit sind Menschen nicht gereist, und Leute unterschiedlicher Gesellschaftsschichten kamen miteinander nicht in Kontakt. Nur Vaganten kamen überallhin. Und welcher Vagant könnte interessanter sein als ein Gaukler? Und welcher Gaukler interessanter als der archetypische Schelm schlechthin, Till Eulenspiegel?

Der Erfolg gibt Ihnen recht. Jetzt belegen Sie mit «Tyll» seit Wochen die vordersten Plätze der Spiegel-Bestsellerliste und haben mehrere Hunderttausend Bücher verkauft. Trotzdem: Worin liegt die Faszination dieser Figur?
Ich glaube, wir wären alle gern etwas mehr wie er – geschickt, boshaft, unberührbar, Meister des Entkommens aus jeder Zwangslage.

Sie haben Tyll in die Zeit des Dreissigjährigen Krieges versetzt. Warum haben Sie ausgerechnet diese Epoche gewählt?
Es ist so eine brutale, dunkle, verwirrende Zeit, so weit weg von der Gegenwart. Die Beschäftigung mit der Geschichte ist dann am interessantesten, wenn sie uns zeigt, wie anders die Menschen früher waren.

Gibt es Bezüge zur Jetztzeit?
Leider ja. Alles, was heute in Syrien passiert, passierte damals in Mitteleuropa. Wirklich alles.

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Sie haben Ihren neuesten Roman in New York, an Ihrem jetzigen Wohnort, verfasst. War es nicht extrem schwierig, sich von dort aus in die Frühe Neuzeit hineinzudenken?
Ich fand die Distanz eigentlich hilfreich – wäre ich in Deutschland gewesen, ich hätte ja auch die Zeit nicht mehr aufsuchen können. Die Welt ist in vieler Hinsicht eine ganz andere geworden, die Menschen sind andere, und natürlich sind auch die Städte ganz andere. Selbst die Landschaften sind andere. Unsere Bäche und Flüsse sind eingefasst, und heute haben wir Hügel, die es damals noch nicht gab, und so manches Tal von damals ist heute eingeebnet.

Wie gehen Sie beim Schreiben vor? Wissen Sie am Anfang bereits, wo ein Buch enden wird?
Ich wusste, dass dieses Buch bei den Friedensverhandlungen in Westfalen enden muss – aber mehr wusste ich nicht.

Haben Sie ein bestimmtes Schreibritual?
Nein. Hatte ich nie. Vielleicht finde ich noch eines.

«Sympathie ist ein überbewertetes Kriterium.»

Interessant ist an Ihrem Roman, dass die Hauptfigur im Gegensatz zu den anderen Personen gar nicht richtig fassbar ist. Wie sympathisch ist Ihnen Tyll wirklich?
Ich glaube, Sympathie ist ein überbewertetes Kriterium. Es reicht, wenn Figuren interessant sind, wenn sie einen faszinieren. Dann ist es nicht mehr wichtig, ob sie nette Leute sind, mit denen wir gerne ein Bier trinken würden.

Kennen Sie so etwas wie Schreibstau?
Ich kenne Zeiten, in denen ich nichts Gutes schreibe. Zählt das als Stau?

In «Tyll» beschreiben Sie einen Schweizer Bauern namens Ruedi, im Roman «Ruhm» schildern Sie die Schweizer Sterbehilfe. Welche Beziehung haben Sie eigentlich zur Schweiz?
Ich liebe die Schweiz. Ich habe dort mit meinen Eltern als Kind die Sommerferien verbracht, erst in Braunwald im Kanton Glarus, dann in Wengen im Berner Oberland, jedes Jahr. Der Zauber hält immer noch an: Wann immer ich in die Schweiz komme, selbst wenn es nur der Zürcher Bahnhof ist, an dem ich umsteige, habe ich das Gefühl, in den Ferien zu sein.

Sie sind einer der wohl berühmtesten zeitgenössischen Autoren. Kann dies manchmal auch belastend sein?
Ach, ich würde sagen, es gibt Schlimmeres.

Schreiben Sie bereits wieder an einem neuen Buch? Und wenn ja, worüber?
Im Augenblick habe ich noch nicht einmal eine neue Idee. «Tyll» hat so viel Kraft gekostet und so viel Zeit – jetzt nehme ich mir erst mal frei.



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