von Matthias Ackeret
Herr Netthoevel, hat es Sie überrascht, dass Sie in die Kränze gekommen sind?
Wir hatten es gehofft, aber selbstverständlich nicht erwarten können, dass es gleich einen Gold- und den neuen ADCESG-Award für eine bessere Welt geben wird.
Sie haben auch schon andere Preise mit dieser Arbeit gewonnen. Was hat Sie überhaupt dazu bewogen, beim ADC einzureichen?
Ja, das ist richtig. In New York gab es drei, in London einen. Bewogen hat uns die Hoffnung, in die Kränze zu kommen, um so dem Produkt aus dem Forschungsprojekt eine gewisse Publizität zu ermöglichen. Als kleiner gemeinnütziger Verein PPKS haben wir nicht die Ressourcen, mit der grossen Kelle Kampagnen anzurichten. Wir sind ein kleines Team und leisten die ganze Arbeit fürs Projekt unentgeltlich. Da sind wir überaus glücklich, wenn wir solche Gegebenheiten nutzen können, um fürs Projekt zu werben. Wir sind allen unendlich dankbar, wenn sie die wertvolle Heftreihe bewerben, pushen, mittragen – in welcher Form das auch immer geschieht. Zudem war es mir, als stilles Langzeitmitglied des ADC, ein Anliegen, das Werk auch in der Schweiz einzureichen.
Sie haben, wie erwähnt, den ersten ADCESG-Award gewonnen. Was zeichnet Ihr Projekt konkret aus?
Diese Frage ginge eigentlich an die Jury. Aus meiner Sicht kann ich nur sagen, dass dieses angewandte Forschungsprojekt, das wir an unserer Hochschule der Künste HKB – wo ich Kommunikationsdesign unterrichte – und das wir im Institute of Design Research IDR vor gut zwölf Jahren lanciert haben, eine für die Bildung sehbeeinträchtigter Kinder wichtige Lücke schliesst. Zudem ist das Werk ein inklusives Lernmittel und erleichtert so den Alltag von Eltern, Kindergärten, Kitas und Grundschulen. Es führt die Kinder mit und ohne Sehbeeinträchtigung gemeinsam an den Schriftspracherwerb heran – ob Schwarzschrift oder Braille. Die Hefte sollen den Kindern also nicht das Lesen beibringen, sondern das Wissen vermitteln, wie Schrift ausschaut oder sich anfühlt. So starten alle mit den gleichen Voraussetzungen in die erste Klasse. Ein solches wissenschaftlich evaluiertes Lernmittel gab es bis anhin nicht. Im Weiteren fliessen alle Einnahmen, die unser Verein durch den Verkauf der deutschsprachigen Ausgabe generiert, vollumfänglich in die Produktion einer französischsprachigen und später englischsprachigen Auflage. Die Übersetzungen liegen bereits vor, und die Druckvorlagen erarbeiten wir in unserer Freizeit bei uns im 2. Stock Süd Netthoevel & Gaberthüel/Atelier für Kommunikationsdesign in Biel.
«Nicht einfach war das Finden einer Druckerei»
Wo stellten sich die grössten Herausforderungen bei der Realisation des Projekts?
Wir haben sehr lange und mit akribischer Passion an diesem Projekt gearbeitet. Es entstand aus drei Forschungsprojekten und begann 2010 mit einem ersten von der Berner Fachhochschule finanzierten Projekt. Im zweiten Teil, der durch den Schweizer Nationalfonds finanziert wurde, holten wir die auf Blindenpädagogik spezialisierte Pädagogische Hochschule Heidelberg mit ins Boot. Die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Vorstellungsweisen und Kulturen der beiden Institutionen war anfangs nicht ganz einfach. Von dem Moment an aber wo klar war, dass wir in Anlehnung an Schulhefte eine Heftreihe mit pädagogisch sinnvoll aufgebauten Lerninhalten realisieren und sämtliche Inhalte nicht formal, sondern abstrakt darstellen wollten, lief es wie von selbst. Eine tolle Teamarbeit bis heute. Nicht einfach war das Finden einer Druckerei. Da haben wir etliche Anfragen in der Schweiz und Deutschland starten müssen. Das war sehr langwierig, weil die Druckereien uns ja immer wieder mit Drucktests beweisen mussten, dass sie dazu auch in der Lage sind – und das zu einem möglichst demokratischen Preis. Als wir endlich eine Druckerei in Deutschland hatten, ging diese coronabedingt unter, und ein Da Capo holte uns ein. Dass wir schlussendlich mit der Druckerei Vögeli in Langnau die weltweit erste Druckerei, die «Cradle to Cradle» zertifiziert ist, gefunden haben, die das Projekt in schöner Weise mitgetragen hat, war dann ein Riesenglück. Ein grosser Zeitaufwand bedeutete auch das Generieren von Geldern für den dritten Teil des Forschungsprojekts. Hier wurden wir von vielen Stiftungen mitgetragen, wofür wir sehr dankbar sind.
Wo kommen die Würfel hin?
Der ADCESG-Würfel wurde vom Bieler Künstler Parzival entworfen und realisiert. Dass er mir diesen persönlich überreichte, hat mich als Bieler besonders gefreut. Vermutlich machen die Würfel dann die Runde im Team. Aber jetzt leisten sie erst einmal unseren vielen anderen Auszeichnungen Gesellschaft (lacht).
Haben Sie bereits neue Projekte geplant?
Genau genommen sind es zwei. Wir starten vermutlich in Bälde ein Projekt zur Herstellung von taktil-ästhetischen Informationstafeln für Museen und andere öffentlichen Institutionen. Hier haben wir mit der Wirtschaft bereits vielversprechende Prototypen realisiert. Das würden wir gerne an der HKB im Institut für Materialität in Kunst und Kultur zusammen mit dem Partner aus der Wirtschaft verfeinern und auf Wetterbeständigkeit prüfen, um es danach in einem weiteren Projekt im öffentlichen Raum anzuwenden.
Und das zweite Projekt?
Das zweite Projekt sind taktile Gesellschaftsspiele. Da hatten wir für die Buchvernissage unserer Heftreihe im Swiss Center for Design and Health bereits ein paar Prototypen realisiert und planen, diese auch zu vertreiben. Das Deutsche Zentrum für barrierefreies Lesen, das unsere Hefte in Deutschland vertreibt, hat bereits Interesse bekundet. An einem Kongress für Blindenpädagogik Ende Juli in Marburg, an dem wir unsere Heftreihe vorstellen können, werden wir den Leuten vom Verlag unsere Spiele vorstellen und das Wie-Weiter besprechen. Viel Spannendes, auf das wir uns freuen.