10.04.2003

"persoenlich.com"-Serie "Zur Lage der Nation"

Reinhold Weber

Globalisierung, Konjunkturflaute, Werbeverbote -- wie wirken sich die Rahmenbedingungen auf die Werbung aus? Was ist von Gratis-Pitches zu halten? Und werden Below-the-Line-Aktivitäten in klassischen Agenturen zunehmen? "persoenlich.com" präsentiert in lockerer Folge die Einschätzung wichtiger Exponenten der Branche. Heute: Reinhold Weber (Bild), Gründer und CD der Zürcher Agentur Weber, Hodel, Schmid. Webers Erkenntnis: "Aus einem traurigen Arsch fährt kein fröhlicher Furz."
"persoenlich.com"-Serie "Zur Lage der Nation": Reinhold Weber

Welchen Einfluss hat die Globalisierung auf die Schweizer Werbung?

Auf eine globale Frage eine etwas globale Antwort: selbstverständlich hat sie einen Einfluss, und weil wir kein Entwicklungsland sind, nicht unbedingt nur einen positiven. Stichworte: Mutation von der kreativen Produktionsbranche zum reinen Vertriebszentrum. Nivellierung statt Differenzierung. Lauter anglobale Slogans (übersetzt etwa: Dingsda ist es, die Zukunft ist orange, usw.).

Die Globalisierung als Chance sehen und sich darauf einstellen? Hoffen, dass eine Welle der globalen Föderalisierung kommt? Konzentration auf die eigenen Fähigkeiten, Möglichkeiten und eine andere Kundschaft? Zum Exportschlager werden? Schwierig. Ich glaube aber feststellen zu können: Auffällig viel auffällig gute Werbung sieht man in kleinen Ländern wie Holland, Norwegen, Dänemark, Schweden und -- vergleichen mit dem zehn Mal grösseren Deutschland – nach wie vor auch auch in der Schweiz. Bis die globalen grossen Auftraggeber allerdings die Qualitäten der lokalen kleinen Lieferanten entdeckt haben, ist wohl unsere halbe Branche pleite.

Leidet die Kreativität unter der schlechten Konjunktur?

Ganz klar ja. Wenn die Angst regiert, bleibt zwangsläufig die Kreativität auf der Strecke. Kreativität ist ja nichts anderes, als das Neue auszuprobieren und nicht, das Althergebrachte zu zerreden, zu zertesten, zu veroptimierten, zu zerpenetrieren. "Aus einem traurigen Arsch fährt kein fröhlicher Furz", wird dazu ziemlich treffend meinem Lieblinstexter Martin Luther zugeschrieben. Am meisten unter der momentanen Flaute leidet allerdings die Werbung, die nur aussieht wie kreative Werbung, weil richtig viel Geld für die Umsetzung da war. Werbung, die auf einer grossen einzigartigen Idee beruht, funktioniert auch ohne Foto von Annie Leibovitz und auf Bierdeckeln. Was gerade in solchen Zeiten wieder zählt oder besser: zählen müsste, ist die Idee. Eine grosse Idee ist fast nicht kleinzukriegen. Und wenn dann noch die Überzeugung da ist, für deren Dramatisierung und Umsetzung doch noch antizyklisch in die Tasche zu greifen, hat man es heute relativ leicht, sich im Markt zu profilieren. Aber das tut ja heute dummerweise fast niemand mehr.

Welchen Einfluss haben die Werbeverbote auf Werbung und Medien?

Ganz klar: Werbeverbote beleidigen uns mündige Menschen, sind gegen den freien Markt, bringen Einöde in die Medienlandschaft, machen der Kommunikationsbranche das Leben schwer und bringen, man ist ja in der Not sehr erfinderisch -- siehe Tabak -- rein gar nichts. Ausser ziemlich happige Steuereinahmen. Deshalb sind Werbeverbote so scheinheilig.

Man wird das demnächst leicht amüsiert beim Cannabis erleben dürfen: Zuerst wird (teilweise) legalisiert, damit man zweitens Steuern erheben kann, aber drittens ist jegliche Werbung dafür natürlich verboten, weil man sich ja nicht vierfarbig an Plakatstellen indirekt als verlogen outen will, denn schliesslich ist das ja alles doch nicht ganz so gesund fürs Volk, was da demnächst die Hälfte der Schweizer Bauern anbauen -- es sei denn, die flechten daraus Brotkörbe und Klopapier-Überstülper. Vom Krieg profitieren ja, als Kriegsgewinnler dastehen nein. Merkwürdige Moral.

Schadet die Pitch-Inflation den Agenturen und Auftraggebern?

Wir bemerken insofern keine Pitch-Inflation, als es insgesamt tendenziell nicht mehr Pitches gibt, sondern eher weniger, weil ja auch weniger in Marken und Vermarktung investiert wird. Eine Entwertung ist eher in qualitativer Hinsicht festzustellen: mehr Agenturen im Pitch als sinnvoll (und bewältigbar!), meist weniger Zeit und Pitch-Honorar als für eine seriöse Arbeit nötig wäre, ein grösseres Hin und Her aus Unsicherheit, sichtbar weniger starke (neue) Kampagnen draussen. Beispiel: "Destination Excellence". Man wartet noch immer auf exzellente Kommunikation.


Kommentar wird gesendet...

KOMMENTARE

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren