«Wir wussten, dass die Idee polarisieren wird»

Jung von Matt/Limmat - Jetzt ist klar: Hinter dem Fotografierverbot im bündnerischen Bergün steckt die Zürcher Werbeagentur Jung von Matt/Limmat. Nicht zum ersten Mal bringt sie die Ferienregion Graubünden mit einer cleveren Idee weltweit in die Schlagzeilen. Kreativchef Dennis Lück weiss, der Schuss hätte auch nach hinten losgehen können.

von Marion Loher

Herr Lück, mit der neuen Werbekampagne für Bergün (persoenlich.com berichtete) haben Sie und Ihr Team voll ins Schwarze getroffen. Das Bündner Bergdorf ist in aller Munde. Wird ein solches Medienecho agenturintern gefeiert?
Momentan haben wir noch gar keine Zeit zum Feiern. Im Minutentakt treffen Anfragen aus aller Welt ein. Gerade wollten wir die Korken knallen lassen, da kam eine Anfrage von BBC.

Auf Social Media ist man geteilter Meinung. Die Reaktionen gehen von «bester Werbegag ever» über «nett» bis hin zu «krank» oder zur Frage «was raucht ihr da oben eigentlich?». Lesen Sie die Kommentare jeweils?
Natürlich lesen wir die Kommentare. Und natürlich wussten wir, dass die Idee polarisieren wird. Das war von Anfang an klar. Aber viel wichtiger als die Kommentare sind die Fakten: Ziel war es, Fotos eines schönen Bergdorfes bekannt zu machen und so Begehrlichkeit zu wecken. Wir haben innerhalb von 24 Stunden über 50 Millionen Menschen weltweit damit erreicht. Das Fotografierverbot hat bewirkt, dass sich nun die ganze Welt Bilder von Bergün anschaut, denn jeder Artikel ist voll mit den schönsten Ecken Bergüns und oft auch noch zusätzlich mit touristischen Angeboten des Dorfes. Und: Die Google-Bilder-Suche nach Bergün explodiert, Bergün ist Trending Topic auf Twitter. Alles mit 0 Franken Media-Budget.

Ein Fotografierverbot als Werbemittel ist ziemlich aussergewöhnlich. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Die Idee entstammte nicht aus dem Gedanken, als erster ein Gesetz machen zu wollen, sondern aus dem Insight: Wer sich auf Social Media schöne Ferienfotos von anderen ansehen muss, fühlt sich nach dem Betrachten der Fotos schlechter. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Bergün kann das natürlich nicht zulassen, dass sich andere beim Betrachten von Bergün-Bildern schlecht fühlen. Der Sprung vom Insight zur Entwicklung eines Gesetzes war dann ein mutiger und aufwendiger Schritt.

Der Schuss hätte aber auch nach hinten losgehen können: Man macht zwar von sich reden, kann sich aber auch unbeliebt machen.
Das ist völlig richtig. Aber anders hätten wir die schönen Bilder Bergüns nicht so breit bekannt machen können. Weiter spielt dieser Gag mit einer Wahrheit, er spielt mit Charme und mit Cleverness. Er kokettiert auch mit den Reaktionen, die glücklicherweise grösstenteils positiv sind.

Wie lange haben die Vorarbeiten gedauert?
Etwa ein halbes Jahr. Dies beinhaltete auch die Zusammenarbeit mit einer ganzen Gemeinde, die topmotiviert dieses Projekt mit uns umsetzte.

Brauchte es viel Überzeugungsarbeit?
Nein, ehrlicherweise nicht. Die Gemeinde hat das Potential der Idee sofort erkannt. Und ich muss wirklich einmal sagen: Dass eine Gemeinde für ein Marketing so viel Mut beweist, ist sensationell.

War Ihnen bei der Ideenfindung bewusst, dass es für ein Fotografierverbot in Bergün die Zustimmung der Gemeindeversammlung braucht?
Ja, das war mit wenigen Recherchen schnell klar und für die Idee unabdingbar. Die Echtheit des Gesetzes, die Tatsache, dass das wirklich getan wurde, hat nun auch die grosse Reaktion zur Folge.

Ist das Verbot rechtlich überhaupt durchführbar?
Rein theoretisch ja. Aber Hand aufs Herz: Wirklich hart durchgeführt wird es sicher nicht.

Es ist nicht das erste Mal, dass Ihre Agentur mit einer Kampagne für Graubünden Ferien für Aufsehen sorgt. Vor zwei Jahren war es der Viralfilm «The Great Escape», mit dem Passanten im Zürcher Hauptbahnhof überrascht wurden. Letztes Jahr die Aktion «Dorftelefon – im ruhigsten Dorf der Schweiz» und ein paar Jahre davor die beiden sprücheklopfenden Steinböcke Gian und Giachen. Was hat das Bündnerland was andere Ferienregionen nicht haben?
Sehr viele mutige Entscheider, und zwar in allen Sparten, vom Marketing über die Hotels und die Gemeinden bis hin zu den Bündnern selbst. Was hier in Sachen experimentellem und innovativem Marketing immer und immer wieder entsteht, das sucht – auch im Vergleich mit den grossen Brands des Landes – seinesgleichen.