23.01.2017

Adello

«Bis 70 Prozent aller Zugriffe auf Videos sind Fake»

Durch Klickbetrug entsteht weltweit ein Schaden in Milliardenhöhe. Nur rund ein Dutzend Firmen auf der Welt können sogenannten Ad Fraud effektiv bekämpfen – eine davon sei das Schweizer Mobile-Technologie-Unternehmen Adello, sagt CEO Mark Forster. Doch: Nicht alle haben Interesse daran, falschen Traffic einzudämmen.
Adello: «Bis 70 Prozent aller Zugriffe auf Videos sind Fake»
Mark Forster, 42, Gründer und CEO von Adello, gilt als europäisch führender Kopf im Bereich Mobile Advertising Technology. (Bild: zVg.)
von Christian Beck

Herr Forster, Fake News oder Fake Traffic. Was war zuerst?
Auch wenn erst während den US-Präsidentschaftswahlen Fake News zum grossen Thema wurde: De facto waren Fake News schon früher da. Seit man mit Fake Traffic Geld verdienen kann, haben sich die Fälscher darauf konzentriert.

Diesen Klickbetrug nennt man Ad Fraud. Können Sie kurz erklären, was dahinter steckt?
Es gibt verschiedene Ausprägungen von Fraud. Grundsätzlich geht es darum, dass jemand mit bestimmten Massnahmen versucht, Geld zu verdienen. Unter anderem werden Bots eingesetzt, also Computerprogramme, die etwas vorgaukeln. Die Bots versuchen sich zu verhalten wie eine echte Person, die auf einen Werbebanner klickt. Dieses Klicken ist Geld wert.

Bekannt ist, dass russische Betrüger diese Hacker-Kunst beherrschen. Was ist passiert?
In Russland wurden im grossen Stil Computerprogramme geschrieben, die hochautomatisiert mit sehr guten Algorithmen solchen Fake Traffic abgebildet haben. Sie haben vorgegaukelt, Traffic von grossen Verlegern zu besitzen, klickten auf die Banner und generierten so Impressions, die sie dann weiterverkauft haben. Die ahnungslosen Werbeauftraggeber und Medienagenturen haben diesen Traffic gekauft, weil sie keine Massnahmen ergriffen haben, um dieses Inventar zu prüfen, zu validieren und erst zu kaufen, wenn der Traffic sicher ist.

Es heisst, täglich seien so alleine in Russland fünf Millionen Dollar Umsatz erzielt worden…
Richtig.

Und weltweit beläuft sich der Schaden durch Ad Fraud im letzten Jahr auf 7,2 Milliarden US-Dollar. Ist das erst die Spitze des Eisbergs?
Ich glaube, wir sind nahe am Peak. Oder anders gesagt: Durch die russische Hackergruppe «Methbot» ist das Bewusstsein für dieses Thema gestiegen. Zuvor wurde Ad Fraud immer als Nischenproblem angeschaut. Wir müssen das Verhältnis sehen: Fraud wird immer dann attraktiv, wenn man mit sehr wenig Aufwand sehr viel Geld verdienen kann. Deshalb ist Fraud im Video-Bereich unglaublich hoch. Man spricht davon, dass bis zu 70 Prozent des Video-Inventars Fraud ist (Quelle: Whiteops 2016).

Die Bots sind ein Problem für die gesamte Digital-Advertising-Industrie. Wegschauen kann da niemand mehr.
Die Variante, dass man wegschaut und sagt: «Hoffentlich betrifft es mich nicht», ist der falsche Ansatz. Die Branche wähnte sich in Sicherheit. Es wurden einfach Publisher-Titel «white-gelistet». Das reicht heute nicht mehr. Die Hacker haben diesen Mechanismus umgangen. Um Fraud einzudämmen, muss man sich mit dem Thema befassen und weitergehende Massnahmen ergreifen.

Fraud kennt keine Grenzen. Irregulären Traffic gibt es auch in der Schweiz.
Ganz klar, ohne einzelne Publisher hervorzuheben. Fraud ist global, und viele Firmen in dieser Kette können davon profitieren. Ein Werbeauftraggeber hat auf den ersten Blick gar kein Interesse an Fraud. Wenn aber der Key Performance Indicator (KPI) der Firma vorgibt, möglichst billig viele App-Downloads oder Facebook-Likes zu haben, dann kann es reizvoll sein, so einzukaufen, dass Downloads oder Likes generiert werden. Das öffnet Fraud die Tür. Weil es oft billiger ist, als das Ganze nachhaltig zu machen.

Wer könnte noch profitieren?
Nehmen wir an, eine Video Exchange kann nun aktiv Fraud unterbinden, verliert aber dadurch gleichzeitig 70 Prozent des Umsatzes. Sicher überlegt sie es sich dann zweimal, ob sie Fraud mit allen Mitteln bekämpfen will. Zudem können Mediaagenturen billigen Traffic verkaufen – es ist wirtschaftlich attraktiv. Und selbst Publisher können Interesse an Fraud haben. Es kann alle in der Wertschöpfungskette betreffen.

Wie hoch schätzen Sie den Schaden, der durch Fraud in der Schweiz entstanden ist?
Das ist sehr schwierig, es gibt keine verlässlichen Zahlen. Ich gehe davon aus, dass die Schweiz im internationalen Vergleich eher weniger Fraud hat, weil wir hier vergleichsweise spät in den programmatischen Handel eingestiegen sind – sprich: Die Schweiz ist bei dieser Thematik noch etwas jungfräulicher.

Aber es dürfte trotzdem in die Millionen gehen.
Mit Sicherheit.

Dabei liesse sich mittlerweile Fake Traffic erkennen und von Werbekampagnen herausfiltern.
Ja, zu einem grossen Teil. Aber ähnlich wie bei einem Anti-Virus-Programm gibt niemand eine hundertprozentige Garantie ab. Es gibt immer ein Wettrüsten zwischen den Bösen und den Guten.

Was können nun aber die Guten tun?
Es gibt verschiedene Methodologien. Grundsätzlich gibt es drei Ansatzpunkte, Ad Fraud zu bekämpfen. Erstens: Prüfung des Standorts des Geräts über Zeit. Zweitens: Welche Daten sind bekannt und werden übermittelt. Zum Beispiel: Ist es möglich, dass ein Gerät in kurzer Zeit an so vielen Orten gewesen sein kann? Oder dass der Anteil eines bestimmten Smartphones so hoch sein kann?

Figure7

Und drittens?
Die dritte Stufe, welche die wenigsten Firmen berücksichtigen, beziehen sich auf das Verhalten auf dem Gerät. Bei allen Ansätzen muss stets innerhalb von Millisekunden geprüft werden, ob die Daten überhaupt plausibel und sauber sind. Das in sich ist schon eine enorme Herausforderung. Diese drei Arten werden heute meist getrennt voneinander in unterschiedlichen Firmen analysiert. Wir sind aber überzeugt: Nur wenn alle diese Daten in Echtzeit analysiert werden, ist man in der Lage, dem Problem Herr zu werden.

Und Sie können das?
Ja, wir verfolgen diesen Ansatz seit längerem. Unsere eigenen programmatischen Kampagnen prüfen und säubern das Inventar bereits vor dem Einkauf hinsichtlich Fraud und Viewability. Neu geben wir unsere technischen Analysefähigkeiten auch Dritten zur Optimierung ihrer Mobile Kampagnen weiter.

Sie sagten aber selber: Nicht alle haben Interesse daran, Ad Fraud zu unterbinden, weil Umsatz- oder Margenverlust droht.
In einem langfristigen, nachhaltigen Interesse der Industrie muss man Ad Fraud ernst nehmen. Heute hat jeder PC ein Anti-Virus-Programm. Es ist nur die Frage, wie lange es noch geht, ein Ad-Fraud-Programm massentauglich zu machen. Dazu braucht es den Druck der Werbeauftraggeber. Dort orten wir derzeit auch die höchste Nachfrage.

Adello bringt nun aber im Februar ein neues Produkt auf den Markt, den «AdCTRLDefender». Was ist das?
Das ist tatsächlich wie ein Anti-Virus-Programm, welches Ad Fraud bekämpft. Wir kombinieren die oben genannten Ansätze in diesem Produkt. Wichtig: Es basiert auf unserer Technologie, wie wir sie seit 2013 anbieten und laufend weiterentwickelt haben. Statt aber vorherzusagen, welcher Nutzer sich für welche Werbung interessieren wird, sagt es, welche Impressionen nicht gekauft werden sollten. Also welche Impressionen sind nicht sichtbar, weisen invalide Daten auf oder stammen von Bots. Das Ganze muss automatisiert laufen, man kann die In- und Outputs nicht in einer Excel-Tabelle miteinander vergleichen.

Klingt ja alles toll. Aber die Bösen werden auch weiter aufrüsten.
Natürlich. Es ist wie bei jedem Wettrüsten: Wenn die Guten so gut sind, werden sich die Bösen auf etwas Einfacheres fokussieren. Die Hürde muss so hoch sein, dass Fraud nicht lohnt. Sprich: Sie verdienen dann nur noch an denen, die sich nicht schützen.

Und wie konnte Adello die Hürde so hoch setzen?
Wir setzen Machine Learning für die Erkennung der Muster ein, viele würden Artificial intelligence sagen. Um das zu machen, muss man viele Disziplinen beherrschen: Unter anderem muss man mit gigantischen Datenmengen umgehen können. Wir haben bei uns in der Firma rund zehn Petabyte an Daten – das sind zehn Millionen Gigabyte. Oder anders gesagt: Ausgedruckt auf A4 – 0.097mm dick – und aufeinander gestapelt, kämen wir mit den Daten bis zum Mond. Die Kombination der Daten mit den Vorhersagealgorithmen führt zu dieser Lösung. Es ist also keine Black Box, sondern harte Arbeit in der Entwicklung und Kombination von verschiedenen bewährten Ansätzen.

Und weshalb investierten Sie Millionen?
Unsere Mission ist es und war es immer, Werbung relevant zu machen – weniger, aber bessere Werbung. Und dazu gehört eben auch, dass die Werbung sicher ist. Also sichtbar und frei von Fraud. Wir bieten nur Mobile-Werbung an und können uns nicht querfinanzieren. Wir sind darauf angewiesen, dass Mobile Werbung nachhaltig funktioniert.

Zum Schluss noch etwas Privates: Wie häufig werden Sie eigentlich mit dem Schweizer Regisseur Marc Forster verwechselt?
(lacht) Es ist sicher nicht das erste Mal, dass ich darauf angesprochen werde. Viel spannender fände ich aber die Frage, wie häufig er auf mich angesprochen wird (lacht lauter). Weit entfernt dürften wir übrigens miteinander verwandt sein.


«Bot or not?» – Am 2. Februar findet zu diesen Themen ein Branchenanlass statt mit Schweizer Experten wie Lennart Hintz (CEO Mediacom), Remo Baumeler (Managing Director Audienzz), Candid Wüest (Symantec) Marc Sele (Wemf) und andere. Anmelden zur kostenlosen Teilnahme kann man sich hier.

 



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Kommentare

  • Ivano Celia, 23.02.2017 15:39 Uhr
    Lieber Marc Forster. Wie kommst du darauf, dass es lediglich ein dutzend Unternehmen auf der Welt gibt, die Ad Fraud effektiv bekämpfen können? Sagt wer? Die kleine - auf Programmatic Marketing spezialisierte Agentur - media BROS. zum Beispiele, bietet seit 7 Jahren 98 % Fraud Free GARANTIE für jede Kampagne an. Dass dieses Thema von vielen neu entdeckt wird, hat doch vielmehr damit zu tun, dass nun jeder - auch Mobile-Anbieter - im Programmatic Markt mitmischen wollen, gleichzeitig aber über noch sehr wenig Erfahrung mit Open RTB und Programmatic zu haben scheinen. Denn sonst lässt sich die neue Entdeckung des uralten Themas Fraud fast schon nicht mehr erklären. Fraud ist ein Thema, das uns schon seit über 20 Jahren beschäftigt und mit der Lancierung der Online-Werbung begonnen hat. Die Raffiniertheit von Fraud hat sicherlich in den letzten Jahren zugenommen. Aber das Know-How, Tools und Filter-Systeme ja auch. Ich frage mich, was man sich von der momentanen Angstmacherei erhofft und wer tatsächlich profitiert. Mehr zum Thema in diesem alten Artikel: https://blog.mediabros.ch/effektiver-schutz-vor-fraud-traffic-non-human-bei-online-werbung Wer keine Filter-Systeme in seiner Programmatic-Plattform hat sollte grundsätzlich die Finger von RTB und Programmatic lassen oder mit entsprechenden Partner arbeiten: https://areyouahuman.com/ Mehr zur 98 % Fraud Free GARANTIE: https://www.mediabros.ch/programmatic-marketing-advertising-media-buying
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