20.11.2018

Kindermarketing

«Werbung darf nicht beschönigen oder lügen»

In einem neuen Kinderbuch entlarvt Karin Burger Werbekniffs, die sich an Kinder richten. Die PR-Spezialistin kritisiert die Werbebranche scharf. Werber und Marketingspezialisten würden sich von Firmen unkritisch «vor den Karren spannen lassen».
Kindermarketing: «Werbung darf nicht beschönigen oder lügen»
«Es stört mich, wenn Werbefachleute sich unkritisch vor jeden Karren spannen lassen»: Karin Burger posiert mit ihrem Kinderbuch. (Bild: May Aurin)

Frau Burger, hat Ihnen das Buch Anfeindungen von Berufskollegen gebracht?
(Lacht) Ich liebe gute Werbung und ich finde Werbung, die sauber aufklärt und erklärt – und das noch möglichst kreativ und fantasievoll – grossartig. Hingegen ist es nicht in Ordnung, wenn Werbung verzerrt, beschönigt, lügt oder täuscht. Ich verabscheue jede Form von «Greenwashing». Anfeindungen habe ich keine bekommen. Im Gegenteil: Lob und Begeisterung, vor allem auch von Kollegen mit Kindern.

Was stört Sie denn an den Werbern?
Es stört mich, wenn Werbefachleute sich unkritisch vor jeden Karren spannen lassen und nach dem Motto «Der Kunde wollte das so» jede Verantwortung von sich weisen. Der Umwelt-Ökonom Pavan Sukdhev klagt diesen Missstand seit vielen Jahren an. Es kann nicht sein, dass eine Milliarden-Branche in vielen Fällen keine Verantwortung übernimmt für die Folgen ihrer Arbeit. Gerade wenn es darum geht, Kinder zu manipulieren und zu verführen, hört für mich der Spass auf. Denn Kinder im Vor -und Grundschulalter sind nicht in der Lage, Werbung und Realität zu unterscheiden. Das wird gezielt ausgenutzt. Es gibt einen spezialisierten Sektor in der Werbebranche mit Agenturen, Messen und Kongressen, der darauf abzielt, schon ganz kleine Kinder an Marken zu binden. 

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Welches ist denn die perfideste Art von Kinderwerbung?
Besonders gemein finde ich, wenn Sachen beworben werden, die schnell kaputt gehen oder ungesund sind. Wenn Werbung mit psychologischen Tricks schon klar auf kleine Kinder abzielt, also wenn im Supermarkt bunte Süssigkeiten-Aufsteller auf Kinderaugen- und in Greifhöhe stehen. Perfide finde ich, wenn die Idole der Kinder für Ungesundes oder Nutzloses oder Überteuertes werben oder auch Merchandising von Kinofilmen bis in die Lebensmittelabteilungen. Eine Untersuchung des FRC (die Fédération Romande des Consommateurs in Lausanne) hat gezeigt, dass Produkte mit Maskottchen im Durchschnitt 64 Prozent mehr Zucker enthalten als Vergleichsprodukte. Das ist ein Skandal. Jeder Erwachsene, der da mitmacht, vergeht sich an den Kindern.

«Millionen Mütter und Väter kämpfen diesen Kampf tagtäglich und weltweit, gestresst und schweissgebadet»

Und wahrscheinlich ärgern Sie auch die Zigaretten aus Kaugummi, die im Buch vorkommen.
Ja, die sind nach wie vor nicht verboten. Ebenso pervers sind die flächendeckenden, irreführenden Preise, die auf 90 oder 99 enden. Im Buch nennt Hanna das die «verhexte 99».

Gibt es weitere Beispiele?
Gehen Sie mal mit einem kleineren Kind in einen ganz normalen Super- oder Drogeriemarkt. Können Sie bis zur Kasse kommen ohne zehnmal «Nein! Leg das zurück! Nein! Nein, das kriegst du nicht...» zu sagen? Die Läden sind so angelegt, dass wir Erwachsenen die Kinder unablässig davon abhalten müssen, nach irgendetwas zu greifen. An der Kasse kommt dann das grosse Finale: meterweise Quengelware, bunte Kinderzeitschriften mit billigem Plastikschrott, zusätzlich in Plastik verpackt, Meter um Meter Süssigkeiten. Je nach Saison kommen am Ende dann tonnenweise Schokoladen-Kalender, Weihnachtsmänner oder Osterhasen. Wenn das gerade nicht in die Jahreszeit passt: Pyramiden aus Schoko-Eichhörnchen und Überraschungs-Eiern – genau da, wo wir alle in der Schlange stehen und warten und nicht ausweichen können, eingeklemmt mit quengelnden Kindern, oft unter den Blicken und Bemerkungen kinderloser Besserwisser. Das ist perfide.

Konsum und Überfluss gehört zu unserer modernen Welt. Eltern müssten hier halt nicht einfach nachgeben.
«Einfach» ist leicht gesagt. Millionen Mütter und Väter kämpfen diesen Kampf tagtäglich und weltweit, gestresst und schweissgebadet. Das ist für alle furchtbar! Entweder bleiben sie hart und halten den Konflikt aus oder sie geben nach, aus Verzweiflung oder Bequemlichkeit. Stressig ist es meistens. Und wenn das überstanden ist, «belohnen» uns die Kassierer mit kostenlosen Sammelbildchen. Das führt dann zu noch mehr Gequengel daheim. Dann wollen die Kinder bestimmen, wo es beim nächsten Einkauf hingeht.

«Merchandising-Fun-Parks dürften aus meiner Sicht keinen Eintritt verlangen»

Wo sonst noch erachten Sie Marketingmassnahmen mit Zielgruppe Kinder problematisch?
Im Schulumfeld, in Kindertagesstätten, auf Spielplätzen, im TV tagsüber zwischen Kindersendungen. Es ist durch Studien belegt, dass schon ein Werbekontakt mit Süssigkeiten im TV den Zuckerkonsum der Kinder anheizt. Gemäss der Weltgesundheitsorganisation WHO existiert – ich zitiere – «ein direkter Zusammenhang zwischen der aggressiven Werbung für unausgewogene Produkte und dem Übergewicht von Kindern und Jugendlichen». Maskottchen und Trickfilmfiguren sind eine sehr effiziente Werbetechnik, um die Kinder für ein Produkt zu interessieren – das schreibt die Schweizer Stiftung für Konsumentenschutz

Und sonst?
Ich ärgere mich massiv über Apps für Kinder, die kostenlos daherkommen und dann im zweiten und dritten Schritt Geld kosten. Unakzeptabel sind auch Computerspiele, die Kindern im Spiel für virtuelle «Dinge» über «In-App-Purchases» Geld aus der Tasche ziehen. Merchandising-Fun-Parks dürften aus meiner Sicht keinen Eintritt verlangen, denn das sind überdimensionierte Werbeflächen. Auch wenn Lego und Playmobil und so weiter vielleicht was Tolles sind, aber unter 150 bis 300 Franken kommt eine Familie an so einem Tag nicht davon. Das ist doch Wahnsinn. 

Was motivierte Sie, dieses Buch zu schreiben?
Als mein älterer Sohn, der heute 14 ist, fünf Jahre alt war und wir im Drogeriemarkt Kinder-Zahnpasta kaufen wollten, ist uns zusammen aufgefallen, dass die kleinen, bunten Tuben und Glitzer-Zahnbürsten teurer sind als die normalen, grösseren Tuben ohne Aufkleber und Schnick-Schnack. Als er mich nach dem Warum fragte, kam mir die Idee, ihn vor den «Werbehexen» zu warnen, die die Kinder verführen wollen. Er verstand sofort, dass er verführt werden soll – und fand das total gemein. Seit wir die Werbehexen kennen, gehen wir viel entspannter einkaufen. Das funktioniert auch bei seinem kleinen Bruder. Als auch die Mütter und Väter in meinem Freundeskreis berichtet hatten, dass die Werbehexen im Supermarkt hilfreich sind und ihre Kinder viel weniger quengeln, wenn sie mal verstanden haben, was Werbung will, wurde über die Jahre der Ruf immer lauter, dass ich daraus ein Buch mache. Dann habe ich die wunderbare Illustratorin May Aurin und den Schweizer Midas-Verlag gewonnen und den Schritt gewagt. 

«Ohne Hilfe können Kinder Werbung nicht erkennen»

Wie haben Sie die Werbehexen bei der Promotion Ihres eigenen Buches zur Hilfe geholt?
Ich arbeite natürlich ausschliesslich mit Werbefeen (lacht). Im Ernst: Zum Buchstart habe ich ein Interview im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in der «Abendschau» gegeben. Danach waren wir auf Amazon Nummer Eins bei den Bestsellern. Auch wenn ich es persönlich viel besser finde, wenn Menschen in echte Buchläden gehen, war das natürlich toll. Wir haben selbst eine Webseite für die Leser gebaut mit weiterführenden Informationen. Am Ende des Buches erklärt der Papa den Kindern, dass Werbefeen auch Spuren hinterlassen – nämlich die Gütesiegel. Auch die Institutionen, die hinter den Gütesiegeln stehen, werden das Buch bewerben.

Ich habe über eine PR-E-Mail davon erfahren. Was war da für eine Hexe am Werk?
Das war mein Verleger, der Inhaber des Midas-Kinderbuch-Verlages. Sie sind sicher meiner Meinung, dass jemand, der heute noch für das Lesen von Kinderbüchern Werbung macht, keine Werbehexe ist, sondern zu den Werbefeen gehört (lacht).

Sie haben vorher die Gütesiegel hinten im Buch erwähnt: Haben die Firmen dafür bezahlt?
Nein, ich habe die Umwelt-Journalistin Tina Teucher mit der Recherche und den Texten beauftragt. Die Liste ist nicht vollständig. Sie bildet 16 valide Gütesiegel ab, die in der Welt von Kindern eine Rolle spielen und damit für Kinder nachvollziehbar sind.

Sollte es rechtliche Beschränkungen geben bei Kinderwerbung/-Marketing?
Ja. Das muss dringend definiert werden. Ich möchte diese Diskussion zwischen Herstellern, Handel, Eltern, Pädagogen, Werbetreibenden, Jugendlichen, Kindern und der Schweizer Stiftung für Konsumentenschutz anregen. Der Erziehungswissenschaftler und Medienpädagoge Stefan Aufenanger hat schon in den 1990er-Jahren im «Stufenmodell zur Werbekompetenzentwicklung» klar gezeigt, dass Kinder Werbung ohne Hilfe nicht erkennen können. Er zeigte am Beispiel der TV-Werbung, dass von «Werbekompetenz» erst dann gesprochen kann, wenn die Zuschauer Werbung vom Programm unterscheiden können, wenn sie wissen, wer Werbung in Auftrag gibt, wer sie bezahlt und wenn sie begreifen, was Werbung vom Zuschauer will. Das ist bei Kindern erst mit elf bis zwölf Jahren der Fall.

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«Leo, Hanna und die Werbehexen», Karin Burger, May Aurin, Midas Kinderbuch, Herbst 2018, ISBN: 978-3-03876-135-8, 20 Franken. 

Karin Burger ist Chefin der agentur-fuer-redner.com in München.


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KOMMENTARE

Gerhard Rath
21.11.2018 20:18 Uhr
Offenbar hast du da einen Nerv getroffen. Die armen Kleinen werden verführt und die armen Eltern müssen es ausbaden. Das ist aber nicht das Ende dieses Themas - es beginnt damit erst richtig: Denn im Ergebnis sind, in entwickelten Ländern, weit über 50 % der Bevölkerung (ja, auch schon die Kinder) übergewichtig bis fettleibig. Und an die kommst du gar nicht mehr heran, weil die "Werbehexen" sie natürlich bis ins Grab "betreuen". Und da wirds dann erst richtig perfide: Ähnlich erfolgreich wie dein Buch war auch eines von mehreren Büchern das die Fettleibigkeit verkaufte. Eines hieß "Moppel Ich" und bewies, zurecht, dass Dicke keine schlechten Menschen sind. Das war aber nur der naive Teil. Generalstabsmäßig wurde es mit der Gesetzgebung für Lebensmittelverpackung und deren Beschriftung: Im Vordergrund steht da der völlig unverbindliche politische Komparativ: MEHR Gesundheit, weniger Dickmacher, mehr Vitamine, weniger Kalorien, "Du Darfst", "Nimm Zwei", "grüne und rote Punkte" für mehr oder weniger von irgendwas. "Iss dich schlank", "... trägt bei zu gesunder Lebensweise", Was niemand dabei bemerkt ist die Tatsache dass sie jede absolute Wertskala ins Kleinstgedruckte verschoben oder gleich ganz beseitigt haben - die Kalorie nämlich und eine Faustregel: Einen leicht erkennbaren, ausreichend genauen Maßstab für ein erstrebenswertes Körpergewicht: "cm über 100 = erlaubtes Gewicht in Kg". Und, noch wichtiger: Alles was nach "Abhilfe" klingt ist tabu. Warum blieben Du und ich, und die Renate, und meine Eltern schlank? Unser Selbstwertgefühl hat uns dazu motiviert: Hosenbund geplatzt? - jetzt reichts! Wer will schon aussehen wie eine hier nicht genannte Bundeskanzlerin. Abhilfe ist unterwünscht. Also weg damit und her mit dem BMI: Dessen Formel enthält ein Quadrat unter dem Bruchstrich und ist somit für die meisten Menschen jenseits ihrer mathematischen Möglichkeiten. Aber selbst wenn - man braucht auch noch eine Tabelle weil das Ergebnis ohne diese völlig nichtssagend ist. Denn erst ab "BMI 25" beginnt Übergewicht. Was heißt "25"? Fazit: Vergisses. Das einzig wirksame Rezept - Faustregel und Kalorienzählen - war gestern. Und wie man hört "erlaubt" der BMI vielen Menschen dass sie noch ein bisschen mehr essen dürfen. Also los gehts. Her mit dem zusätzlichen "gesunden" Fruchtsaft" ((500 kcal/Ltr). Allerdings - die so hart errechnete "Esserlaubnis" erlischt damit nach ca 3 Monaten. Denn 100 Tage mal 0,5 Liter ist 100 x 250 Kcal = 25 000 Kcal oder umgerechnet 3 Kg Körperfett. Der BMI verrät das nicht. Die "Faustregel" schon. Grüße aus Starnberg Gerhard Rath ...von -zig Milliarden zusätzlicher "Gesundheitskosten" (pa!, alleine durch obesity) gar nicht zu reden.
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