Nicola Bomio, dieser Tage feiert die SRG 100 Jahre Radio in der Deutschschweiz. Warum feiern die Privatradios nicht mit?
Auch wenn die ersten Radioversuche in der Schweiz privater Natur waren und die SRG erst 1931 gegründet wurde, feiern die heutigen Privatsender ihre eigenen Jubiläen. Mit Radio 24 feierten wir 2019 den 40. Geburtstag. Viele andere Sender feierten im letzten November den 40., weil 1983 die ersten Privatradios konzessioniert wurden. Aber natürlich ist es für das Medium grossartig, dass es nun schon 100 Jahre alt ist.
Grund zum Feiern gab es für einen Teil der Privatradios Anfang Jahr, als sie für weitere zehn Jahre eine Konzession und Millionensubventionen zugesprochen erhielten. Gehen Sie davon aus, dass dieses Modell in zehn Jahren noch einmal erneuert wird?
Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass das Radio in den nächsten 10, 15 Jahren garantiert weiterhin eine wichtige Rolle spielen wird. Die Konzessionen und die finanzielle Unterstützung gibt es für Radios in Regionen, wo es wirtschaftlich anspruchsvoll ist, um private Medien zu finanzieren. Etwa in Berggebieten oder in zweisprachigen Regionen. Und es ist ja nicht so, dass man das Geld einfach so bekommt. Damit verbunden sind Programmaufträge für einen regionalen Service public, die auch überprüft werden. Auch in zehn Jahren wird es immer noch wichtig sein, dass wir in unserem Land dafür sorgen, dass es auch dort Radios gibt, wo es allein wirtschaftlich nicht ganz reicht.
«Das könnte einzelne Sender vor ein Problem stellen»
Sie sagen also, dass das Konzessionsmodell eine Zukunft hat. Ein Auslaufmodell ist hingegen UKW. Ende Jahr schaltet die SRG ihre Sender ab. Sie halten das für «einen mutigen und wichtigen Schritt». Warum?
Wichtig finde ich den Entscheid der SRG deshalb, weil damit die Transformation massgeblich beschleunigt wird. Das wird die Leute dazu bewegen, die Geräte zu erneuern. Als mutig erachte ich den Schritt deswegen, weil immer noch 30 Prozent der Radiohörerinnen und -hörer neben dem digitalen Empfang weiterhin auch UKW nutzen, sei es im Auto oder irgendwo im Haushalt, wo noch ein altes Gerät steht. Für die Privatradios, die sich voll über Reichweite kommerzialisieren müssen, besteht das Risiko, dass die Reichweite vorübergehend einbricht. Und das könnte einzelne Unternehmen vor ein Problem stellen. Aber grundsätzlich schafft der Entscheid der SRG für uns eine gute Ausgangslage. Wir können nun beobachten, was die Folgen eines kompletten UKW-Ausstiegs sind.
Wann schalten die Privatradios UKW ab?
Das ist ein Entscheid, den jedes Unternehmen und jedes Mitglied unseres Verbands für sich treffen kann. Etwa die Hälfte der Mitglieder wird auf Ende Jahr die UKW-Kapazitäten reduzieren. Und dann gibt es andere, die bis Ende 2026 auf UKW weitersenden, wie der Bundesrat das erlaubt hat.
Als Nachfolgetechnologie gilt DAB+. Hat die eine Zukunft?
Wenn man hinschaut, wie sich die Nutzung entwickelt, dann ist DAB+ eine Übergangstechnologie. Die Nutzung via Internet-Streaming wächst stark, liegt heute schon bei über 40 Prozent. Ich kann mir gut vorstellen, dass in zehn Jahren 80 Prozent des Radiokonsums über Streaming stattfindet und die Leute vor allem mit dem Handy Radio hören. DAB+ ist eine Ergänzung dazu. Aber es gibt schon noch ein paar kritische Punkte, die man berücksichtigen müsste, bevor man auch DAB+ abschalten würde. Etwa die steigenden Kosten beim Streaming, je mehr Leute zuhören. Das kann ins Geld gehen. Bei DAB+ bleiben die Kosten gleich, unabhängig von der Anzahl Zuhörer.
Seit April sind Sie Präsident des Verbands Schweizer Privatradios (persoenlich.com berichtete). Wie kamen Sie eigentlich zu dem Amt?
Ich war vorher schon drei Jahre Mitglied im Vorstand. Wir fanden, wenn Jürg Bachmann sein Amt abgibt, möchten wir den Verband weiterentwickeln und professionalisieren für die wichtigen Themen, die anstehen. Jürg Bachmann war geschäftsführender Präsident. Nun haben wir ein Modell mit einem Geschäftsführer und einem Präsidenten eingeführt. Peter Scheurer, langjähriger Programmleiter von Radio Bern1, ist Geschäftsführer. Auch beim Präsidium wollten wir jemanden, der selber lange Radio gemacht hat. Weil ich nach wie vor ein grosses Radioherz habe und das Medium so toll finde, war in der Diskussion im Vorstand klar, dass ich das machen könnte. Wir haben aber in den Statuten auch festgelegt, dass das Präsidium häufiger rotieren kann. Für Konstanz sorgt der Geschäftsführer. Gut möglich also, dass ich nicht 15 Jahre VSP-Präsident bleibe wie mein Vorgänger (schmunzelt).
«Mit aktivem Gattungsmarketing können wir mehr herausholen»
Reden wir über die drei Themenschwerpunkte, die Sie sich für Ihre Arbeit als VSP-Präsident gesetzt haben. Sie finden, die ungebrochene Stärke von Radio verdiene mehr Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit. Was wollen Sie dafür unternehmen?
Wir erleben weltweit einen Audio-Boom. In manchen Ländern, etwa in Grossbritannien, ist sogar das lineare Radio wieder auf dem Vormarsch. Auch in der Schweiz wird Radio immer noch sehr intensiv genutzt. 95 Prozent der Bevölkerung hört mindestens einmal pro Woche Radio. Allerdings ist der Radioanteil am Werbekuchen leider sehr tief, auch im Vergleich zu anderen Ländern. Mit aktivem Gattungsmarketing können wir da noch mehr herausholen. Wir stellen leider auch fest, dass Radio in den Marketingausbildungen an Präsenz verliert. Wir versuchen, dort wieder mehr Präsenz zu markieren, und sei es nur mit einem Gastvortrag bei der Ausbildung zum Marketingplaner oder zum Marketingleiter.
Präsenz markieren wollen Sie auch in der medienpolitischen Debatte. Als VSP-Präsident vertreten Sie Sender mit ganz unterschiedlichen Interessen. Wie finden Sie eine Verbandsposition?
Nicht alle medienpolitische Themen betreffen unsere Mitglieder gleichermassen. Um die unterschiedlichen Bedürfnisse gut abzudecken, haben wir dafür gesorgt, dass die verschiedenen Sender-Kategorien im Vorstand vertreten sind. Das war auch der Grund, warum neben mir als Präsident, der ein grosses Verlagsunternehmen vertritt, Martin Mürner als Vizepräsident mit Radio BeO einen Gebührensender vertritt. Aber es gibt natürlich auch Themen, die alle betreffen, wie etwa Fördermassnahmen, die allen Sendern zugutekommen. Zu diesen Themen finden wir in der Regel schnell eine gemeinsame Haltung.
«Wir haben uns die Zauberformel zum Vorbild genommen»
Sie selbst vertreten als Leiter Radio von CH Media gleich zwölf Verbandsmitglieder. Ist das eine ideale Konstellation?
Die Grösse des Unternehmens, das ich repräsentiere, kann ich zugunsten aller Mitglieder einbringen. Beim Gattungsmarketing beispielsweise können wir mit unseren CH-Media-Sendern voran gehen. Der Vorstand ist aber bewusst sehr ausgewogen zusammengesetzt. Wir haben uns die Zauberformel des Bundesrats zum Vorbild genommen (lacht). So haben ich und meine CH-Media-Kollegin Giulia Cresta nicht zu viel Macht im Gremium.
Dritter Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist die Radiowerbung. Hier wollen Sie mit dem Verband die Weiterentwicklung «aktiv begleiten». Wo sehen Sie das grösste Potenzial?
Das eine sind Sonderwerbeformen. Die lassen sich ausbauen, etwa zusammen mit Bewegtbild, das ja auch für Radiounternehmen immer wichtiger wird, Stichwort Social Media. Radio hatte aufgrund seiner Funktion als Begleitmedium schon immer ganz andere Möglichkeiten als beispielsweise das Fernsehen. Neue Werbeformen ergeben sich auch durch die erwähnte intensive digitale Radionutzung, etwa auf dem Handy. Dort gibt es Formate, die man vom Video-Streaming her kennt, wie etwa Pre-Rolls, wenn man einen Sender startet. Das gibt es inzwischen bei praktisch allen Radiostreams und ermöglicht, etwa Werbung mittels Targeting zielgenauer auszuspielen.
Reden wir noch über die SRG. Radio SRF 3 klingt über weite Strecken wie ein Privatradio. Stört Sie das?
Mich stört zum Beispiel der Umgang mit der Schweizer Musik. SRF 3 verkündet immer schöne Zahlen, wie hoch der Anteil an Schweizer Musik am Programm sei. Und wenn man dann genau hinhört, dann wird Schweizer Musik vor allem auf dem Sendeplatz abends zwischen sieben und acht und in der Nacht gesendet, aber viel weniger in der Primetime. Das bringt dem Aufbau von Schweizer Künstlern nicht so viel, wie wenn sie öfters tagsüber im Programm präsent wären. Davon könnten auch die Privaten profitieren. Sie könnten dann aufspringen, wenn SRF 3 in seinem Programm einen Nachwuchskünstler gross gemacht hat. Ich sage nicht, dass SRF 3 hier nichts macht. Aber das Subsidiaritätsprinzip und damit das duale System könnte klar stärker gelebt werden.
«Der VSP findet die Ausbreitung der SRG nicht richtig»
Ist die SRG die übermächtige Konkurrentin oder eine potente Mitbewerberin, die auch hilft, die Gattung voranzubringen?
Dass der Radiokonsum nach wie vor so hoch ist in der Schweiz, liegt auch an den grossen Programmen der SRG. Das hilft dem Medium Radio in seiner Rezeption. Der VSP findet aber die Ausbreitung der SRG im regionalen Informationsbereich, etwa mit dem Ausbau der Regionalberichterstattung, nicht richtig. Auch reine Musikprogramme, wie etwa Swiss Pop, halten wir nicht für die Aufgabe der SRG. Auf dieser Grundlage wird der VSP auch diskutieren, wie er sich zur künftigen SRG-Konzession und zur Halbierungsinitiative positionieren will.
Von der Halbierungsinitiative wären die Privatradios nicht betroffen, wie das bei «No Billag» der Fall war. Wird das einen Einfluss haben auf die Positionierung des VSP?
Bei aller Kritik an der SRG ist für uns auch klar, dass sich eine Schwächung der SRG auch negativ auf die Privaten auswirken könnte. Wir haben viele gemeinsame Projekte, etwa die gemeinsame Hörerforschung. Es trifft die Privaten, wenn die SRG beispielsweise dort die Mittel kürzt oder gar aussteigen würde. Und zwar nicht nur im Fall einer Annahme der Halbierungsinitiative, sondern auch schon bei der Mittelreduktion, wie sie der Bundesrat plant.
Sie sind langjähriger Radiomacher. Wann haben Sie zum letzten Mal hinter einem Mikrofon gestanden?
Gerade heute Morgen. Ich habe eine Sendung vorproduziert für unseren DAB-Sender Flashback FM. Das gönne ich mir ab und zu noch, weil es mir immer noch grosse Freude macht.
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30.08.2024 12:43 Uhr
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