21.11.2024

Journalist:innen-Studie

Besser ausgebildet und psychisch unter Druck

Wer sind die Journalistinnen und Journalisten in der Schweiz? Eine ZHAW-Studie, die im Rahmen vom Journalismustag am Donnerstag präsentiert wurde, gibt Antworten. Sie zeigen: Prekarisierung und psychische Belastung haben weiter zugenommen. Und Medienschaffende sind älter, besser ausgebildet und positionieren sich politisch stärker links. Auf einem Podium gab vor allem Letzteres zu reden.
Journalist:innen-Studie: Besser ausgebildet und psychisch unter Druck
Medienschaffende sind mehrheitlich männlich, in der Schweiz geboren und sind durchschnittlich 43 Jahre alt: Am Journalismustag diskutierten darüber Camille Lothe (Nebelspalter), Eva Hirschi (freie Journalistin) und Vinzenz Wyss (ZHAW). (Bild: Raphael Hünerfauth)

Der typische Schweizer Journalist ist männlich, 43 Jahre alt, konfessionslos, besitzt einen akademischen Abschluss und ordnet sich politisch links der Mitte ein. Dieses aktuelle Profil von Medienschaffenden in der Schweiz zeichnet eine am Donnerstag publizierte Studie vom Institut für Angewandte Wissenschaften (IAM) der ZHAW.

Die Studie bietet einen umfassenden Einblick in die soziodemografischen Merkmale, Arbeitsbedingungen und Herausforderungen der Journalistinnen und Journalisten. Die Autoren machen auf eine drohende Prekarisierung und eine zunehmende psychische Belastung im Journalismus aufmerksam. Für die Studie wurden zwischen November 2022 und Juni 2023 insgesamt 1179 Medienschaffende aus drei Sprachregionen befragt. 

Ein Vergleich mit früheren Studien zeigt, dass sich die Geschlechterverteilung in der Branche über die Jahre verändert hat: Während 1998 nur 32 Prozent der Medienschaffenden Frauen waren, stieg der Anteil bis 2015 auf 39 Prozent und erreicht 2023 nun 44 Prozent. Dennoch sind Frauen weiterhin in Führungspositionen unterrepräsentiert und haben durchschnittlich dreieinhalb Jahre weniger Berufserfahrung als ihre männlichen Kollegen. Die Zahlen zeigen, dass Frauen in der Gruppe der 20- bis 29-Jährigen über- und in den oberen Altersgruppen zunehmend unterrepräsentiert sind.

Fehlende Frauen in der Führung

Auf einem Podium im Rahmen des Journalismustags am Donnerstag, wo die frisch publizierten Studienergebnisse diskutiert wurden, kam die Frage auf, warum viele Frauen den Beruf zwischen 30 und 40 Jahren verlassen. Die Autoren nannten fehlende Aufstiegschancen für Frauen sowie die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf als mögliche Gründe. «Es ist an den Verlagen, Arbeitsbedingungen im Sinne einer funktionierenden Work-Life-Balance zu schaffen», sagte der Medienwissenschaftler Vinzenz Wyss, der die vorliegende ZHAW-Studie geleitet hat. Mit Wyss diskutierten Eva Hirschi, freie Journalistin, und die SVP-Politikerin und Nebelspalter-Redaktorin Camille Lothe.

Für Diskussionsstoff sorgte vor allem die politische Orientierung der Journalistinnen und Journalisten. Während Medienschaffende 2015 auf einer Skala von 0 (links) bis 10 (rechts) einen Wert von 4,02 angaben, liegt der Durchschnittswert 2023 bei 3,04, was eine stärkere Linksorientierung zeigt.

Im Sinne der Vielfalt in den Redaktionen müsse man darüber diskutieren, ob dieses Bild zum Problem werden könnte, sagte Wyss. Camille Lothe fügte an: «Wenn man es hinkriegt, dass auch Leute ohne Hochschulabschluss in die Redaktionen kommen, gäbe es wohl auch mehr politische Diversität in der Berichterstattung.» Eva Hirschi, die als Geschäftsführerin von investigativ.ch amtet, wies darauf hin, dass es sich bei dieser Befragung um eine Selbsteinschätzung handelt. Journalistinnen und Journalisten sehen sich zu 79 Prozent – dies besagt dieselbe Studie – als unparteiische Beobachterinnen und Beobachter und würden in der Folge unabhängig von ihrer persönlichen Orientierung berichten.

Ein bemerkenswerter Trend ist zudem die fortschreitende Akademisierung: 2008 hatten 59 Prozent der Journalistinnen und Journalisten einen Hochschulabschluss, 2015 waren es 70 Prozent, und 2023 liegt der Anteil bei 80 Prozent. Besonders auffällig ist die Zunahme in der Romandie und der italienischsprachigen Schweiz, wo der Anteil akademisch ausgebildeter Medienschaffender auf 84 beziehungsweise 86 Prozent gestiegen ist.

Journalistinnen und Journalisten in der Schweiz werden laut der Studie immer älter. Lag das Durchschnittsalter 2015 noch bei 41,6 Jahren, beträgt es 2023 nun 42,9 Jahre. Bemerkenswert ist der Altersunterschied zwischen den Geschlechtern: Journalistinnen sind durchschnittlich vier Jahre jünger als ihre männlichen Kollegen.

87 Prozent sind in der Schweiz geboren

Die Studie zeigt, dass 87 Prozent der Journalistinnen und Journalisten in der Schweiz geboren sind. Von den 13 Prozent, die im Ausland geboren wurden, stammen die meisten aus Deutschland (32 Prozent), Frankreich (22 Prozent) oder Italien (15 Prozent). Die Mehrheit der Medienschaffenden (67 Prozent) gibt an, dass beide Elternteile ebenfalls in der Schweiz geboren wurden, während 19 Prozent berichten, dass ein Elternteil und 15 Prozent, dass beide Elternteile aus dem Ausland stammen.

Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung, in der rund 32 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund der ersten Generation haben, ist die Diversität in den Redaktionen geringer ausgeprägt.

Drohende Prekarisierung

Die Medienbranche ist durch die wirtschaftliche Entwicklung und den technologischen Wandel stark unter Druck geraten. Dies spiegelt sich in den Arbeitsbedingungen wider: 2015 waren nur 6 Prozent der Medienschaffenden befristet angestellt, 2023 liegt dieser Anteil bei 23 Prozent. Frauen sind hiervon überproportional betroffen. Auch der Anteil der Vollzeitbeschäftigten ist von 57 Prozent im Jahr 2015 auf 50 Prozent gesunken.

40 Prozent verdienen laut der Studie weniger als 5601 Franken pro Monat. Der Lohnmedian der Bevölkerung liegt bei 6788 Franken. Die Autoren stellen einen «Trend zur Prekarisierung» fest. «Ich kenne Journalistinnen und Journalisten, die nebenbei auch noch in einer Bar arbeiten – und häufig ist das nicht freiwillig», sagte Hirschi dazu in der Diskussion.

Grossteil beliefert mehrere Kanäle

Ein Blick auf die Ressortspezialisierung zeigt: Männer arbeiten weiterhin häufiger in «Hard News»-Ressorts wie Politik und Wirtschaft, während Frauen in «Soft News»-Bereichen wie Kultur und Gesellschaft überrepräsentiert sind.

Die zunehmende Konvergenz der Medien spiegelt sich in der Arbeit der Journalistinnen und Journalistinnen wider: Nur noch 3 Prozent produzieren ausschliesslich für ein Format, während der Grossteil Inhalte für mehrere Kanäle wie Print, Online und soziale Medien erstellt. Dies erhöht den Druck auf die Medienschaffenden laut den Autoren erheblich. 

Die Nebelspalter-Redaktorin Camille Lothe sieht genau in dieser Vielfalt der Formate auch etwas Positives. «Genau das macht den Alltag als Journalistin spannend», sagte sie auf dem Podium am Journalismustag. Eva Hirschi fügt an, dass es wichtig sei, dass Journalistinnen und Journalisten die Wahl hätten.

40 Prozent sorgen sich um psychisches Wohl

Im Vergleich zu früheren Studien hat die Zahl der Medienschaffenden, die Bedrohungen und Angriffe erleben, zugenommen. 73 Prozent berichten von erniedrigenden oder hasserfüllten Äusserungen, ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu 2015. Ähnlich gestiegen ist die Wahrnehmung öffentlicher Diskreditierungen, die 67 Prozent der Befragten angeben.

Persönliche Bedrohungen wie Mobbing, Stalking oder sexuelle Belästigung betreffen weiterhin viele Medienschaffende, wobei Frauen häufiger betroffen sind. Besonders beunruhigend ist der Anstieg der psychischen Belastungen: Fast 40 Prozent sorgen sich um ihr psychisches Wohl, ein deutliches Zeichen für die zunehmende Belastung im Beruf.

Einordnung von Ereignissen weniger wichtig

Ein Blick auf das Rollenverständnis der Journalistinnen und Journalisten ist spannend. 79 Prozent sehen sich laut der Studie als unparteiische Beobachterinnen und Beobachter. 78 Prozent möchten aktuelles Geschehen analysieren.

Ein interessanter Trend ist die gestiegene Bedeutung von Aufgaben, wie Desinformation entgegenzuwirken, die heute 78 Prozent der Journalistinnen und Journalisten als wichtig empfinden. Rollen, die eine emotionale Ansprache des Publikums oder die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts betonen, bleiben auf mittlerem Niveau wichtig, während die Unterstützung der Regierung oder politischer Interessen nahezu keine Bedeutung hat.

Die Studienautoren unterstreichen die Notwendigkeit, Diversität in den Redaktionen zu fördern und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Gleichzeitig rücken sie die Sicherheit von Medienschaffenden in den Fokus. Ein nationaler Aktionsplan, entwickelt vom Bundesamt für Kommunikation, setzt hier an und zielt darauf ab, Medienschaffende besser zu schützen (persoenlich.com berichtete).

In einer Zeit, in der der Journalismus essenziell für die demokratische Gesellschaft ist, zeigt die Studie eindringlich, dass sowohl die Branche als auch die Politik Massnahmen ergreifen müssen, um die Arbeit der Journalistinnen und Journalisten zu sichern und ihre Unabhängigkeit zu gewährleisten.


Newsletter wird abonniert...

Newsletter abonnieren

Wollen Sie Artikel wie diesen in Ihrer Mailbox? Erhalten Sie frühmorgens die relevantesten Branchennews in kompakter Form.

Kommentar wird gesendet...

KOMMENTARE

Claude Bürki
22.11.2024 15:01 Uhr
Befindlichkeit der Schweizer Medienschaffenden vor allem beim Staatsfernsehen: Vielleicht auch etwas zu viel Prokastrination, gepaart mit Prekarisierung und Linksdrall.
Markus Wyser
22.11.2024 11:36 Uhr
Wenn die Innenwahrnehmung so weit von der Aussenwahrnehmung entfernt liegt, darf man nicht rätseln, warum sich die Kundschaft immer öfter bei der Konkurrenz umsieht. Insbesondere auch deshalb nicht, weil sie ja die gesamte Konkurrenz weltweit und jederzeit nach ihrem Gusto pfannenfertig aufbereitet und für "2 x nichts" in der Hand hält. Die schweizer Journalisterenden irritieren mich ebenso wie aktuell gerade die Werbeagentur von JAGUAR die schon ewig Jaguarfahrenden...
Erich Heini
22.11.2024 09:39 Uhr
Folgende Differenzierungen sind wichtig, Nicht 'nur' bei Journalistinnen und Journalisten; Bildung ist umfassender als Ausbildung. Und daraus kann man folgern, dass zwischen Wissen und Können ebenfalls ein nicht zu unterschätzender Unterschied besteht. Können, das mit viel Wissen unterlegt ist, ist die Zielvorgabe. Sie wird leider zu oft verfehlt.
Vinzenz Wyss
21.11.2024 20:32 Uhr
Das ist ein sehr ausführlicher und gut lesbarer Bericht zu unserer Studie. Danke vielmals, Michèle Widmer. Jetzt bin ich mal gespannt, was welche Medien daraus für Schlüsse ziehen und wie sie darüber berichten.
Victor Brunner
21.11.2024 18:26 Uhr
Trotz Akademisierung ist der Journalismus nicht besser geworden. Im Gegenteil, profilierte JournalistenInnen sind rar. In Zürich vielleicht noch Guyer dann nichts mehr. Bei TA, Ringier, CH Media Ebbe, dafür alle aus dem gleichen Guss, Mitte/Links orientiert, Obrigkeits- und Staatstreu, kritisch nur auf dem rechten Auge, auf dem linken blind. Die 4. Gewalt ist nur noch ein intellektueller Trümmerhaufen. Primarschule, Gymi, ein paar Semester Uni, noch etwas Mikrowelle MAZ, dann klimatisierte Redaktion, fertig. Kein Wunder sind diese Leute nicht mehr so belastbar und sind schnell überfordert. Willkommen in der Welt der Arbeit!

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Die Branchennews täglich erhalten!

Jetzt Newsletter abonnieren.