«Bis sich langfristig etwas ändert, gibt es noch einiges zu tun»

Frauen in den Medien - Das Resultat einer Studie der Universität Zürich ist ernüchternd: Nur in einem Viertel aller untersuchten Medienbeiträge kommen Frauen vor. Studienleiterin Lisa Schwaiger sagt, woran dies liegen könnte und weshalb die Bemühungen der letzten Jahre trotzdem nicht umsonst waren.

von Marion Loher

Frau Schwaiger, gemäss Ihrer Studie sind Frauen in Schweizer Medien nach wie vor weniger präsent als Männer (persoenlich.com berichtete). Das Ergebnis überrascht nicht wirklich.
Überraschend ist das Ergebnis auch aus meiner Sicht nicht, da Geschlechterungleichheiten in der Gesellschaft nach wie vor präsent sind. Ich hätte aber nicht damit gerechnet, dass der Gender Gap über alle Medientypen hinweg auf einem vergleichbaren Level existiert.

Bei welchen Medien hätten Sie einen geringeren Gender Gap erwartet?
Ich hätte erwartet, dass Medien, die in unserer jährlichen Qualitätsmessung hohe Werte erzielen, auch in diesem Zusammenhang besser abschneiden. Allerdings lässt sich dieses ernüchternde Ergebnis auch dadurch erklären, dass gerade Hard-News-Themen wie Wirtschaft und Politik männerdominiert sind.

Der Gender Gap ist seit 2015 praktisch unverändert. Heisst das, die Bemühungen in den letzten Jahren um mehr Sichtbarkeit von Frauen waren umsonst?
Solche Bemühungen sind nie umsonst. Initiativen wie EqualVoice von Ringier und Chance 50:50 von SRF sind beispielsweise positiv hervorzuheben. Diese wurden aber erst 2019 lanciert, im gleichen Jahr fand in der Schweiz auch der Frauenstreiktag statt. Unsere Daten zeigen gleichzeitig nur im Jahr 2019 eine leicht positive Veränderung hinsichtlich des Gender Gaps in den Medien. Engagement zahlt sich also aus. Es wird aber noch einiges zu tun geben, bis sich langfristig etwas ändert.

Worauf ist die starke Unterrepräsentation der Frauen zurückzuführen?
Ein Stück weit spiegeln die Medien gesellschaftliche Ungleichheiten wider, die eine ausgewogene Berichterstattung erschweren. Die Bereiche Sport und Wirtschaft sind mehrheitlich von Männern dominiert, entsprechend gross ist der Gender Gap in der Medienberichterstattung zu diesen Themen. Aber auch journalistische Routinen spielen eine Rolle: In vielen Bereichen gäbe es weitaus mehr weibliche Akteurinnen, beispielsweise Expertinnen, als für die Berichterstattung herangezogen werden. Zudem zeigen unsere Befunde, dass in ressourcenintensiven Formaten der Gender Gap weniger ausgeprägt ist, da mehr Zeit für vertiefende Recherchen zur Verfügung steht. Schwindende Ressourcen im Journalismus sind demnach eine zusätzliche Herausforderung für eine gleichberechtigte Berichterstattung.

«Durch eine ausgewogene Berichterstattung könnten Medien einen wesentlichen Beitrag für die Gleichberechtigung leisten»

Welche Folgen hat eine solche Ungleichheit?
Geschlechterungleichheit in den Medien zieht gesamtgesellschaftliche Folgen nach sich. Wenn zum Beispiel weniger weibliche Expertinnen in den Medien erscheinen, kann der Eindruck entstehen, dass Männer einen höheren Expertenstatus haben. Es gibt auch Befunde, dass Politikerinnen seltener für politische Ämter gewählt werden, wenn sie weniger in den Medien erscheinen als ihre männlichen Kollegen. Medien könnten durch eine ausgewogene Berichterstattung auch einen wesentlichen Beitrag für Gleichberechtigung in der Gesellschaft leisten.

Das Fög hat über 106 000 journalistische Beiträge im Zeitraum von 2015 bis 2020 untersucht. Wie wurden die Medien, die diese Beiträge veröffentlichten, ausgewählt?
Für den Vergleich zwischen 2015 und 2020 haben wir bestehende Daten unserer jährlichen Medienqualitätsmessung genutzt und diese durch automatisierte Analysen ergänzt, um die Häufigkeit von Männern und Frauen in der Berichterstattung zu identifizieren. Es handelt sich dabei um 44 Schweizer Print- und Onlinemedien unterschiedlicher Medientypen mit den höchsten Reichweiten in der jeweiligen Sprachregion. Zusätzlich haben wir in einer vertiefenden Analyse die Darstellung von Frauen in der Berichterstattung im Jahr 2020 untersucht.

Wurde auch untersucht, ob Frau oder Mann diese Beiträge produziert hat?
Nein, das Geschlecht der Journalistinnen und Journalisten wurde nicht mitanalysiert. Hier gibt es mit Sicherheit zukünftigen Forschungsbedarf.

«Es ist davon auszugehen, dass redaktionelle Strukturen journalistische Routinen mitprägen»

Sind die Ergebnisse der Studie nicht auch eine Folge von dem, dass in den Redaktionen auch immer noch weniger Frauen als Männer arbeiten?
Wir haben die redaktionellen Strukturen nicht mituntersucht, allerdings ist davon auszugehen, dass auch diese Strukturen journalistische Routinen mitprägen. Ein höherer Frauenanteil in Chefetagen oder mehr Journalistinnen im Hard-News-Bereich könnten die Sensibilität hinsichtlich gleichberechtigter Berichterstattung womöglich erhöhen.

Ihr Studie zeigt auch, dass die eher mit Männern assoziierten Themen wie Sport und Wirtschaft besonders tiefe Frauenanteile aufweisen. Gleichzeitig weiss man, dass in diesen Ressorts mehr Männer arbeiten als Frauen.
Hier bräuchte es weitere Untersuchungen, um herauszufinden, ob ein höherer Frauenanteil unter Journalistinnen und Journalisten in Sport- und Wirtschaftsthemen zu einer gleichberechtigteren Berichterstattung führen würde. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass dies der Fall wäre.

Interessant ist auch, dass Frauen in redaktionellen Berichten eher vorkommen als in Beiträgen, die auf Agenturmeldungen basieren. Weshalb ist das so?
In der redaktionellen Berichterstattung können die Journalistinnen und Journalisten selbst entscheiden, welche Akteure sie in die Berichterstattung miteinbeziehen, was bei Agenturmeldungen nicht der Fall ist. Wenn Ressourcen investiert werden und mehr Zeit für Recherchen zur Verfügung steht, können auch weniger bekannte Expertinnen recherchiert werden.

Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern, damit bei der nächsten Studie die Frauenpräsenz in den Medien höher ausfällt?
Ich sehe in Medien ein grosses Potenzial, Gleichberechtigung auch auf Gesellschaftsebene positiv mitzuprägen. Dies beispielsweise, indem gezielt Akteurinnen generell sowie als Expertinnen, Sprecherinnen von Organisationen und als Führungspersonen in die Berichterstattung miteinbezogen werden, um diese gesamtgesellschaftlich sichtbarer zu machen. Hierfür braucht es aber auch journalistische Ressourcen für vertiefte Recherchen. Regelmässige Gender-Monitorings in den Medienhäusern würden zudem die Auseinandersetzung mit eigenen journalistischen Routinen stärken.