24.01.2025

Tamedia

«Das gewählte Vorgehen sollte nicht Schule machen»

Der Basler Rechtsanwalt Manuel Bertschi hat für die Berner Regierung die Berichterstattung der Tamedia-Zeitung Der Bund zu einer umstrittenen Polizeiaktion untersucht. Im Gespräch mit persoenlich.com nimmt er zum heiklen Rahmen des Auftrags Stellung und erklärt seine Kritik an der Arbeit der Journalistinnen und Journalisten im vorliegenden Fall.
Tamedia: «Das gewählte Vorgehen sollte nicht Schule machen»
«Ich habe das noch nie erlebt»: Rechtsanwalt Manuel Bertschi zu seinem ungewöhnlichen Auftrag. (Bild: Keystone/Alessandro della Valle)

Manuel Bertschi, die Übungsanlage dieser Untersuchung ist staatspolitisch heikel: Die Regierung überprüft auf Geheiss des Parlaments die Berichterstattung unabhängiger Medien (persoenlich.com berichtete). Warum haben Sie sich trotzdem als Experte zur Verfügung gestellt?
Ich habe mir selbstverständlich die Frage gestellt, ob das gewählte Vorgehen angemessen sei. Es war und ist mir klar, dass die politische Bühne die Falsche ist, um mediale Berichterstattung zu beurteilen. Den Ausschlag dafür, dass ich schliesslich zugesagt habe, gab die sehr ausführliche Stellungnahme von Tamedia zur eigenen Berichterstattung. Die Redaktion begründete detailliert, wie sie vorgegangen ist. Dadurch konnte Tamedia gegenüber der Politik und letztlich auch gegenüber der Öffentlichkeit – zumindest in den meisten Punkten – ihr Handwerk plausibilisieren. Ohne diese Grundlage hätte ich meine Expertise nicht verfassen können. Aufgrund der wichtigen Funktion der Medien scheint es mir zentral, dass ein grundlegendes Verständnis für deren Abläufe besteht. Genauso braucht es auch ein Verständnis für die Seite und Rechte der Medienbetroffenen. Meine Motivation zur Erarbeitung der Expertise war es, einen Beitrag dazu zu leisten, dieses gegenseitige Verständnis zu stärken.

«Mir sind keine vergleichbaren Beispiele bekannt»

Handelt es sich um einen «besonderen» Fall, wie ihn Regierungsrat Philippe Müller bezeichnet und damit das gewählte Vorgehen gerechtfertigt hat?
Es ist insofern ein besonderer Fall, als dass er eine politische Dimension angenommen hat. Ich habe das noch nie erlebt. Mir sind auch keine vergleichbaren Beispiele bekannt, in denen das Parlament die Regierung beauftragt hat, Medienberichterstattung untersuchen zu lassen.

Und im Vergleich mit anderen Ihnen bekannten Fällen umstrittener Medienberichterstattung?
Der Fall ist nicht alltäglich. Bei aller Legitimität, einen Polizeieinsatz kritisch zu hinterfragen, kam es zwar in wenigen, aber dafür in wesentlichen Punkten der Berichterstattung nach meiner Einschätzung zu handwerklichen Fehlern.

Konkret geht es um einen Artikel der Tamedia-Zeitung Der Bund vom 12. Juni 2021 über eine polizeiliche Festhaltung unter Anwendung von physischem Zwang. Sie haben den Artikel aus rechtlicher und medienethischer Sicht beurteilt. Was muss sich die Redaktion vorwerfen lassen?
Das gröbste Fehlverhalten liegt aus meiner Sicht in der Verwendung eines uneingeordneten Archivzitats eines Rechtsmediziners im Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt an George Floyd. Die Redaktion grenzte die Aussage des Fachmanns nicht von der Polizeiaktion in Bern ab, über die sie berichtete. Zu bemängeln ist weiter, dass die Redaktion das betreffende Archivzitat nicht löschte, als der zitierte Rechtsmediziner intervenierte und auf die problematische Analogie zum Fall Floyd hinwies. Er gab klar zum Ausdruck, dass sein Zitat in falschem Zusammenhang wiederverwendet worden war. Nicht nur die Berichtigungspflicht, sondern auch die Fairness gegenüber dem Zitierten hätten eine unverzügliche Löschung seines Zitates erfordert. In weiten Teilen aber war die Berichterstattung weder aus rechtlicher noch aus medienethischer Sicht zu beanstanden.

«Eine Berichtigung hat unverzüglich zu erfolgen»

Eine Woche nach dem ersten Artikel relativierte die Redaktion den Vergleich mit dem Fall George Floyd. Kam das zu spät?
Eine Berichtigung hat unverzüglich zu erfolgen. Und das heisst eben nicht eine Woche später. Aber es geht nicht einmal um die Zeitdauer. Der Artikel eine Woche später war nicht als Korrektur deklariert oder als Berichtigung im medienethischen Sinn, sondern es war einfach ein weiterer Artikel zum Thema. Ich finde übrigens diese Analyse sehr treffend, nur macht sie die verpasste Berichtigung nicht wett.

Was ist Ihnen sonst noch aufgefallen?
Die Anzahl der zum Thema veröffentlichten Artikel. Es ging um eine Polizeikontrolle, und danach folgte fast täglich ein weiterer Artikel dazu. Die Berichterstattung hatte eine erstaunlich hohe Kadenz entwickelt. In der Regel ist das ein Anzeichen dafür, dass etwas sehr Schwerwiegendes vorgefallen ist. Das ist letztendlich der Streitpunkt in diesem Fall: Die Journalistinnen und Journalisten sind der Ansicht, dass etwas sehr Schlimmes vorgefallen sei, und die Polizei spricht von einem Routinevorgang.

Der erste Artikel zur Verhaftungsaktion steht bis heute unverändert und ohne Korrektur oder Anmerkung online. Hätte die Redaktion den Beitrag mit einem Hinweis versehen oder das umstrittene Zitat des Rechtsmediziners löschen sollen?
Die medienethische Berichtigungspflicht setzt voraus, dass unverzüglich und von sich aus berichtigt werden muss. Wenn Tamedia in ihrer diesbezüglichen Stellungnahme die Nichtanpassung des Archivzitats mitunter damit begründet, dass der Zitierte nicht explizit um Löschung ersuchte, ist Tamedia mit Blick auf die erwähnte Berichtigungspflicht zu widersprechen.

«Betroffene haben den Eindruck, sie seien ungerechtfertigt angegriffen worden»

Der Polizist, der den Mann am Boden fixierte und dessentwegen die Politik die ganze Übung erst losgetreten hatte, verzichtet auf eine Klage gegen die Redaktion. Er erwarte eine erneute unkorrekte Darstellung in den Medien. Ist das eine glaubwürdige Begründung für den Klageverzicht?
Es ist eine Befürchtung, die ich häufig höre als Medienanwalt. Betroffene haben den Eindruck, sie seien ungerechtfertigt angegriffen worden und verlieren dann ein Stück weit das Vertrauen, dass es in einem anderen Fall besser läuft. Als Medienanwalt muss man diese subjektive Befürchtung ernst nehmen, auch wenn objektiv nicht davon auszugehen ist, dass es erneut zu einer unkorrekten Darstellung kommen wird.

Wie bewerten Sie die Untersuchung im Nachhinein? Hätte es einen anderen Weg gegeben, damit nicht der Eindruck entsteht, dass die Regierung die Medien kontrollieren will?
Das gewählte Vorgehen sollte sicher nicht Schule machen, weil es auf der falschen Stufe stattgefunden hat. Die politische Ebene ist nicht die Richtige, das habe ich auch in meiner Analyse festgehalten. Die Beurteilung medialer Inhalte obliegt den Gerichten und dem Presserat.

Wenn man zurück auf Feld eins gehen könnte: Welches Vorgehen wäre für diesen Fall angemessen gewesen?
Eigentlich hätte frühzeitig ein Austausch zwischen der betreffenden Redaktion und den thematisierten Polizisten stattfinden sollen. Das wäre auch jetzt noch möglich, zumindest bietet Tamedia hierzu Hand, wie aus deren Stellungnahme zu entnehmen ist. Inzwischen hat die Auseinandersetzung um die betreffende Berichterstattung eine politische und somit verstärkt öffentliche Dimension angenommen. Dies erschwert eine einvernehmliche Lösungsfindung, weil die Gefahr eines Gesichtsverlusts höher ist.


Newsletter wird abonniert...

Newsletter abonnieren

Wollen Sie Artikel wie diesen in Ihrer Mailbox? Erhalten Sie frühmorgens die relevantesten Branchennews in kompakter Form.

Kommentar wird gesendet...

KOMMENTARE

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Die Branchennews täglich erhalten!

Jetzt Newsletter abonnieren.