01.02.2019

Friederike Tilemann

«Das Konzept Datenschutz ist für kleine Kinder zu abstrakt»

Die Medienpädagogin will beim Datenschutz und der Privatsphäre bei den ganz Kleinen ansetzen und hat mit einem Team der PH Zürich und dem Datenschutzbeauftragten ein Lehrmittel kreiert. Sie spricht über Geheimnisse und erklärt, warum sie Eltern zu Datensparsamkeit rät.
Friederike Tilemann: «Das Konzept Datenschutz ist für kleine Kinder zu abstrakt»
«Viele Kinder wissen, dass es soziale Regeln gibt, wie man mit Geheimnissen über sich selbst und von anderen umgeht», sagt Erziehungswissenschaftlerin Friederike Tilemann. (Bild: zVg.)
von Anna Sterchi

Frau Tilemann, am Montag haben Sie «Geheimnisse sind erlaubt», ein Lehrmittel für Vier- bis Neunjährige, vor den Medien präsentiert. Was sollen die Kinder lernen?
Medienkompetenz bedeutet, dass Menschen kritisch, kreativ, selbstbestimmt und sozial verantwortlich mit Medien umgehen können. Der Umgang mit Privatsphäre und persönlichen Daten in der digitalen Welt ist dabei ein wichtiger Aspekt. Kinder sollen ein grundlegendes Verständnis entwickeln, was privat, was halböffentlich und was öffentlich ist. Auf diesen Punkten kann bei den über Neunjährigen aufgebaut werden. Mit zunehmendem Alter lernen die Kinder und Jugendlichen, welche Bedeutung der Privatsphäre in einer demokratischen Gesellschaft zukommt und wie sie als mündige Bürger daran teilnehmen können.

Tilemann

Wie ist die Projektidee zustande gekommen?
Bruno Baeriswyl, der Datenschutzbeauftragte des Kantons Zürich, kam mit dem Wunsch auf uns zu, das Thema Datenschutz durch didaktisch aufbereitetes Unterrichtsmaterial in den Schulunterricht zu integrieren. Da der gelungene Umgang mit persönlichen Daten und Privatsphäre ein zentraler Aspekt der Medienkompetenz ist, war es uns als PH Zürich ebenfalls ein Anliegen, geeignetes Lehrmaterial zu erstellen. Die juristische und ethische Expertise des Teams um Bruno Baeriswyl sowie die pädagogische und fachdidaktische Kompetenz unseres Teams fanden so zusammen.

«Es geht darum, wie man respektvoll mit der Privatsphäre der anderen umgeht»

Es ist herausfordernd, abstrakte Themen wie Privatsphäre und Datenschutz für die Lebenswelt von Vier- bis Neunjährigen erfahrbar zu machen. Wie sind sie dabei vorgegangen?
Zunächst haben wir geklärt, welche Aspekte bereits für junge Kinder verständlich sind. Im Folgenden haben wir geplant, mit welchen Themen, Fragen und Geschichten man diese Inhalte kindgerecht umsetzen kann. Dabei war uns wichtig, dass die Themen Formen erhalten, die in die Lebenswelt der Kinder eingebunden sind. In einem dritten Schritt haben wir die Inhalte in methodisch vielfältige didaktische Ideen gegossen und uns an die Umsetzung gemacht.

Insbesondere im Trickfilm wird ein alltagsnahes Geheimnis gezeigt. Wie schaffen die Kleinsten den Transfer vom Thema Geheimnis zum Datenschutz?
Die Dimensionen von Konzepten wie Datenschutz oder Privatsphäre sind für kleinere Kinder zunächst zu abstrakt. Was Geheimnisse sind, ist ihnen hingegen aus ihrer Lebenswelt vertraut. Viele wissen auch, dass es soziale Regeln gibt, wie man mit Geheimnissen über sich selbst und von anderen umgeht, und haben ein Verhalten entwickelt, wem sie was über sich erzählen. Hier knüpft das Lehrmittel an.



Und die älteren Kinder?
Das Lehrmittel begleitet die etwas älteren Kinder schrittweise beim Aufwachsen mit digitalen Medien. Es geht darum, aufzuzeigen, wie man in der digitalen Welt dem eigenen Bedürfnis nach Privatheit zur Geltung verhilft und wie man dort respektvoll mit der Privatsphäre der anderen umgeht. Zudem wird deutlich, welche Bedeutung der Datenschutz in einer demokratischen Gesellschaft hat. Diesen Transfer von der eigenen Lebenswelt in die digitale Umgebung stellt «Selbstbestimmt digital unterwegs» durch einen altersgerechten, schrittweisen Aufbau der Lernmaterialien sicher.

Das Lehrmittel kann auf freiwilliger Basis von den Lehrpersonen eingesetzt werden. Wie stellen Sie sicher, dass das Werk flächendeckend eingesetzt wird?
Wir werden das Lehrmittel in der Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule Zürich einsetzen, sodass es die angehenden Lehrpersonen bereits kennen, wenn sie in die Schulpraxis gehen. Im Weiteren wird es in verschiedene Weiterbildungsangebote der Hochschule integriert. Dass ein freiwilliges Lehrmittel Akzeptanz und Anwendung im Schulfeld findet, hängt aber immer auch von seiner Verfügbarkeit und seiner pädagogisch-didaktischen Qualität ab. Sehr wesentlich ist weiter, dass das Lehrmittel von allen Lehrpersonen ohne grossen Zusatzaufwand im Unterricht eingesetzt werden kann.

«Ein einst harmlos wirkendes Bild kann einem Kind später sehr unangenehm sein»

Wie weit ist das gelungen?
In all diesen Bereichen haben wir sehr viel investiert: Es ist als kostenloses E-Book leicht zugänglich, qualitativ hochwertig und unabhängig vom Vorwissen der Lehrpersonen sofort einsatzfähig. Das macht uns zuversichtlich, dass das Lehrmittel im Schulfeld breite Anwendung findet.

Ein grosser Teil der Verantwortung beim Vermitteln von Medienkompetenz liegt bei den Eltern. Müsste man nicht bei den Eltern ansetzen?
Die Eltern sind für die Medienerziehung der Kinder sehr wichtig. Idealerweise geht die Medienerziehung der Eltern und die Unterstützung der Kinder und Jugendlichen beim Erwerb von Medienkompetenz in der Schule Hand in Hand. Das Lehrmittel ist in erster Linie für den Einsatz in der Schule gedacht. Dennoch bekommt die Lehrperson in «Selbstbestimmt digital unterwegs» auch Hinweise für die Zusammenarbeit mit den Eltern.

Oftmals posten Eltern unbedarft Fotos von ihren Kindern auf Social Media. Wie stehen Sie dazu?
Das ist in vielerlei Hinsicht äusserst problematisch und sollte von Eltern unterlassen werden. Sind die Bilder einmal im Internet, sind sie kaum mehr zu löschen. Ein einst harmlos wirkendes Bild kann einem Kind wenige Jahre später sehr unangenehm sein oder gar dazu missbraucht werden, es auszulachen oder zu mobben. Datensparsamkeit ist hier der beste Weg. Ich ermuntere Eltern, kreative Medienprojekte mit ihren Kindern zu veranstalten und sie als biografisch bedeutsamen Schatz im Rahmen der Familie zu geniessen und zu wahren, statt sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.


Das Interview wurde schriftlich geführt.



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