18.12.2019

Republik

«Die Gespräche gingen allen unter die Haut»

Schlechte Arbeitsbedingungen mit Folgen für die Kinder: Die Republik hat einen Artikel über die Kita-Kette Globegarden veröffentlicht. Autor Philipp Albrecht sagt im Interview, wie die ausführliche Recherche ablief und warum sie weder aktuelle Mitarbeiter noch Eltern befragt haben.
Republik: «Die Gespräche gingen allen unter die Haut»
«Zum Glück ging keine superprovisorische Verfügung ein»: Der Republik-Journalist Philipp Albrecht hat die Geschichte zusammen mit zwei Kolleginnen recherchiert. (Bild: zVg.)
von Michèle Widmer

Herr Albrecht, Sie haben für den Artikel über die Kita-Kette Globegarden gemeinsam mit Andrea Arežina und Ronja Beck recherchiert. Wie sind Sie konkret vorgegangen? Wie haben Sie sich die Arbeit aufgeteilt?
Der Name tauchte bei uns auf der Redaktion immer wieder auf. Und in Zürich kennt fast jeder das Signet, das irgendwie an eine Kaffeekette erinnert. Also taten wir uns zusammen und begannen damit, Informationen zu sammeln.

Wie lange hatten Sie Zeit für die Recherche?
Wir hatten keine Deadline. Bei Recherchen solcher Art ist das schwierig zu prognostizieren. Ich will grundsätzlich gerne vorwärts machen, aber in diesem Fall war es wichtig, so viele Informatinnen und Informanten wie möglich zu finden. Wir brauchten letztlich zwei Monate, arbeiteten jedoch alle drei daneben noch an anderen Geschichten.

Sie wollten eigentlich einen Artikel über das Erfolgskonzept Globegarden machen. Wieso kam es anders?
Weil sich im Gespräch mit Ex-Angestellten sehr schnell gezeigt hat: In dieser Firma läuft einiges falsch. Relativ früh war uns klar, dass wir den Fokus voll auf die Arbeitsbedingungen und das Kindeswohl legen müssen.

«Etwa die Hälfte haben wir getroffen, mit der anderen Hälfte haben wir telefoniert»

Warum haben Sie mit dem ursprünglichen Fokus das Gespräch mit einer ehemaligen Mitarbeiterin gesucht?
Wer Unternehmen porträtieren will, sollte zuerst mit früheren Angestellten sprechen, bevor er sich den Chefs zuwendet. Wichtig ist aber, dass die Informanten die Firma von sich aus verlassen haben.

Wie liefen die Gespräche mit den ehemaligen Angestellen ab? Haben Sie alle persönlich getroffen?
Etwa die Hälfte haben wir getroffen, mit der anderen Hälfte haben wir telefoniert. Es waren lange Gespräche, die uns allen unter die Haut gingen. Auch den Informantinnen selber, die teilweise sehr bewegt waren, als sie sich an die Zeit bei Globegarden zurückerinnerten. 

Haben Sie auch mit aktuellen Mitarbeitenden den Kontakt gesucht?
Aus zwei Gründen haben wir das nicht getan: Erstens wollten wir nicht riskieren, dass Angestellte den Job verlieren, weil sie mit der Presse gesprochen haben. Bei Globegarden haben alle Mitarbeitenden eine Schweigepflichtsklausel im Arbeitsvertrag. Zweitens sollten die Gründerinnen so lange wie möglich nichts von unserer Recherche erfahren, damit wir in Ruhe arbeiten können. Viele der sehr jungen Leute in der Betreuungsbranche haben keinerlei Erfahrung im Umgang mit Medien. Darum gingen wir auf Nummer sicher und suchten nur den Kontakt zu Ex-Angestellten.

«Die Gründerinnen sollten so lange wie möglich nichts von unserer Recherche erfahren»

Die Globegarden-Gründerinnen kommen im Artikel nicht zu Wort. Wie haben Sie die drei kontaktiert? Und wie lange war die Reaktionsfrist?
Unser Artikel erschien am Mittwochmorgen. Die Gründerinnen erhielten am Montagmorgen um 8 Uhr unsere Fragen und Vorwürfe. Wir haben das Mail an zwei verschiedene Adressen geschickt: Sowohl an Globegarden als auch an die Mutterfirma KCC Group. Wir gaben ihnen bis Dienstag um 16 Uhr Zeit für eine Stellungnahme. Es kam nichts zurück: Keine Antworten der Gründerinnen, keine Fehlermeldung vom Mailserver und zum Glück auch keine superprovisorische Verfügung vom Richter.

Sie haben mit rechtlichen Folgen gerechnet. Haben Sie bisher eine Reaktion der Gründerinnen erhalten?
Bei solchen Geschichten muss man immer davon ausgehen, dass die Porträtierten versuchen, die Publikation zu verhindern. Wir warten im Übrigen immer noch auf eine Stellungnahme der Gründerinnen. Dass der Text aber bei Globegarden für rote Köpfe gesorgt hat, wurde uns von Quellen bestätigt.

Beim Lesen fragt man sich: Was sagen Eltern dazu, die Ihre Kindern in dieser Kita betreuen lassen? Warum haben Sie nicht mit betroffenen Eltern gesprochen? Oder gab es solche Gespräche?
Die gab es und sie waren fast ausschliesslich negativ. Aber wir haben bewusst keine Eltern zitiert. Viele Branchenexperten warnten uns davor. Bei Eltern besteht die Gefahr, die Relationen etwas aus den Augen zu verlieren, wenn es um den eigenen Nachwuchs geht. Ausserdem waren die Aussagen und schriftlichen Belege der Betreuerinnen so stark und zahlreich, dass wir auf die Aussagen der Eltern verzichteten.

«Ich war sehr erstaunt über Raphael Goltas Reaktion auf die Vorwürfe»

Der Artikel hat zahlreiche Reaktionen in der Kommentarspalte ausgelöst. Was wird dort hauptsächlich diskutiert?
Die Leute sind schockiert, alarmiert und fordern Konsequenzen. Schliesslich geht es hier auch um Steuergelder. Über die Frage, was man als Behörde unternehmen kann, haben wir übrigens mit dem Zürcher Sozialvorsteher Raphael Golta gesprochen. Das Interview wird am Donnerstagmorgen publiziert. Ich war sehr erstaunt über seine Reaktion auf die Vorwürfe.

Welche seiner Äusserungen hat Sie konkret überrascht?
Ich sage es mal so: Dass ein Sozialdemokrat so stark auf Selbstverantwortung setzt, hört man nicht alle Tage.

Was denken oder was erhoffen Sie sich: Welche Auswirkungen wird Ihre Recherche haben?
Es ging darum, Öffentlichkeit herzustellen. Über die Firma wurde bislang kaum geschrieben. Wir hoffen, dass die Städte ihre Aufsicht verstärken und in absehbarer Zeit nur noch unangekündigte Kontrollen machen. Globegarden ist mit 54 Einrichtungen in sieben Städten aktiv. Mehr als die Hälfte davon sind in Zürich. Wichtig ist, dass der Gesetzgeber dank unserer Arbeit weiss, was in den Kitas passiert.

Philipp Albrecht hat die Fragen schriftlich beantwortet.



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Kommentare

  • Angelika Mauel, 23.12.2019 18:41 Uhr
    In Deutschland gibt es auch erhebliche Missstände in Krippen und Kindergärten. Das lesenswerte Buch "Seelenprügel" von Anke Ballmann wird im nächsten Jahr für mehr Offenheit und fundierte Kritik sorgen. Fehlentwicklungen zeigen, wie wichtig es ist, dass sich FACHKRÄFTE nicht zum Schweigen verpflichten lassen. Es müssten mehr Gefährdungsanzeigen gestellt und unangemeldet kontrolliert werden. - Regelmäßig! Danke für das Engagement der Journalisten!
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