Trend 1: Endgame – bisherige Geschäftsmodelle haben ausgedient
2023 war ein hartes Jahr für die Medienbranche, insbesondere für die Zeitungsverlage. Obwohl sich die Papier- und Energiepreise zwischenzeitlich wieder etwas erholten, mussten zahlreiche Verlage einen Stellenabbau kommunizieren und Investitionen verschieben. 2024 wird sich der Sturm weiter zuspitzen und die Branche zu radikalen Massnahmen zwingen. Der Rückgang der Printauflagen wird sich noch stärker beschleunigen – hauptsächlich bedingt durch die überalterte Leserschaft und das rasante Wegbrechen des Werbegeschäfts. Diese Verluste mit Preiserhöhungen auszugleichen, wird in Zeiten allgemeiner Preissteigerungen zu noch mehr Ablehnung führen. Gleichzeitig lösen Sparmassnahmen wie die Reduzierung des Seitenumfangs oder die Anzahl der Ausgaben zu einem gefühlten Qualitätsverlust bei der Leserschaft, was wiederum zu weiteren Kündigungen führt. Und auch die Strategie, Printabos in E-Paper-Abos umzuwandeln, wird nur bedingt fruchten. Mehr als je zuvor steht die Branche deshalb vor komplexen Herausforderungen, die nicht nur publizistische, vertriebliche oder betriebswirtschaftliche Lösungen erfordern, sondern ein ganzheitliches Umdenken. Im Jahr 2024 werden Medienhäuser gezwungen sein, sich mit grundlegenden Fragen nach der verbleibenden Handlungszeit, dem eigenen Veränderungswillen und individuellen Strategien auseinanderzusetzen. Kommt hinzu, dass sich aufgrund der Entwicklungen rund um die angekündigte Search Generative Experience von Google und Microsoft der Handlungsdruck auf die Branche noch weiter akzentuieren wird.
Trend 2: KI-Inhalte – zunehmende Flut von Falschinformationen
2023 war das Jahr der KI-Texterstellung. Im neuen Jahr wird sich der Fokus auf die Erzeugung von künstlich erstellten Audios, Bildern oder Videos verlagern. Diese multimodale Anwendung von generativer KI wird zum neuen Standard. Die Menge an verfügbaren Inhalten wird dadurch nochmals exponentiell ansteigen. Die Fragen nach Authentizität, Quellensicherheit und Relevanz der Inhalte werden längst nicht mehr nur einzelne Medienhäuser, sondern uns alle als Gesellschaft betreffen. Vor allem mit Blick auf die politische Agenda für 2024 – dieses Jahr werden in 40 Ländern weltweit circa 3,2 Mrd. Menschen neue Regierungen wählen – wird sich diese Herausforderung umso mehr akzentuieren. Die Unterscheidung zwischen Fakt und Fake wird deshalb für die öffentliche Meinungsbildung in diesem Jahr besonders entscheidend sein. Gemäss einer Studie des Pew Research Center ruft die KI-Entwicklung sowohl Faszination als auch Besorgnis hervor: Während ein bedeutender Anteil der Bevölkerung von den Möglichkeiten der KI begeistert ist, überwiegt bei vielen die Sorge um die Implikationen für die Verbreitung von Falschinformationen. In diesem Spannungsfeld zwischen Innovation und Vertrauensverlust muss die Medienbranche einen Weg finden, die Vorteile der KI zu nutzen, ohne die Glaubwürdigkeit und Authentizität ihrer Inhalte aufs Spiel zu setzen.
Trend 3: KI-Produktentwicklung – mehr als nur ein Effizienztreiber
Im Jahr 2024 werden KI-Anwendungen in der Produkt- und Prozessentwicklung nicht mehr wegzudenken sein. Darüber sind sich zahlreiche Trendreports einig. 2023 standen vor allem Effizienzsteigerungen im Fokus. Mittels Prompt Engineering wurde versucht, die möglichst besten Resultate mit noch weniger Aufwand zu erzielen. Doch die Zukunft der Produktentwicklung wird ohne Prompts auskommen. Das Stichwort dazu: Promptless AI. Die Idee ist einfach: Warum Zeit mit der manuellen Eingabe von KI-Befehlen verschwenden, wenn die KI-Anwendungen bereits erkennen können, welche Aufgaben sie umsetzen sollen. Dies erfordert ein tiefes Verständnis des Nutzungsverhaltens, des Kontextes und die Fähigkeit, Daten in Echtzeit zu analysieren. So verwandelt sich die Produktentwicklung in eine komplexe Verschmelzung von Kreativität und Technologie, die durch die Integration von KI noch weiter verfeinert wird. Dadurch können hochgradig personalisierte Produkte und echt innovative Kundenerlebnisse geschaffen werden – und das geht weit über eine einfache Effizienzsteigerung hinaus. Bis 2028 werden voraussichtlich 75 Prozent der Softwareentwicklerinnen und -entwickler in Unternehmen KI-Codierassistenten nutzen, was einen signifikanten Anstieg gegenüber den weniger als 10 Prozent im Jahr 2023 darstellt. Insgesamt befindet sich die Medienbranche mitten in einer Revolution, in der KI nicht nur ein Werkzeug, sondern ein integraler Bestandteil jeder Anwendung und jedes Designs wird, was die Landschaft der Produktentwicklung grundlegend verändert.
Trend 4: Mitgliedschaften – nächste Stufe des Abo-Modells
Spätestens 2023 wurde mit aller Deutlichkeit klar: Reichweiten-Geschäftsmodelle basierend auf Displayanzeigen haben seit dem Einbruch der Werbebudgets und dem Aus von Cookiebasierten Werbeformen kaum mehr eine Zukunft. Abo-Modelle werden stattdessen – auch ausserhalb der Medien- und Kommunikationsbranche – hoffnungsvoll als Erlösmodell der Zukunft angepriesen. Weg von der reinen Bereitstellung von Inhalten hin zu einer intensiveren Beziehung zur eigenen Kundschaft: Einige Trendreports sehen darin eine mögliche Antwort für 2024. Die Registrierung und persönliche Ansprache sind ein erster Schritt dazu, um Nutzerinnen und Nutzer besser kennenzulernen und ihre Bedürfnisse zu verstehen. Dadurch soll die Bindung verstärkt und eine höhere Loyalität der Leserschaft erzielt werden. Im Unterschied zum reinen Abo-Modell setzen Mitgliedschaften verstärkt auf nachhaltige Beziehungen. Dahinter liegt der Gedanke, dass Menschen eine Mitgliedschaft aus Überzeugung abschliessen, um eine Marke, einen Club oder ein Individuum am Laufen zu halten und die Arbeit insgesamt zu unterstützen. Erste Medienmarken haben dieses Verständnis bereits in die DNA ihrer Geschäftsmodelle implementiert. Plattformen wie The Information, Puck oder The Generalist «verkaufen» unterdessen statt dem Zugang zu einzelnen Informationen die Möglichkeit, Teil einer auserwählten Community zu werden. Modelle, die wir hierzulande 2024 ebenfalls häufiger beobachten können.
Trend 5: Games <> Film – wenn Formatgrenzen verschwimmen
Wo ist eigentlich das Metaverse geblieben? Bereits 2022 als Hype in der Trendzusammenfassung festgehalten, spielt die Entwicklung auch 2024 nur eine Nebenrolle. Allerdings findet eine damit verwandte Entwicklung in zahlreichen Trendreports Erwähnung: Denn für das Jahr 2024 und darüber hinaus sind weit mehr Serien und Filme geplant, die auf Videospielen basieren, als jemals zuvor. Deloitte prognostiziert, dass sich der Anteil der Einnahmen aus Videospielen an den Kinokassen bis 2025 verdoppeln wird. Bereits heute tummelt sich jeder zweite Jugendliche in den USA im Metaverse – allerdings in einer anderen Form als von Meta & Co. prognostiziert. Die immense Popularität und das Engagement in virtuellen Welten wie Fortnite, Minecraft oder Roblox zeigen, wie fesselnd und eindrucksvoll digitale Erlebnisse sein können. Der Markteintritt der 3D-Brille von Apple wird diese Entwicklung zusätzlich verstärken. Parallel dazu wird die Creator Economy durch den Einsatz von KI-Tools globalisiert. Tools wie «HeyGen» ermöglichen plötzlich, Inhalte von Creators ohne grossen Aufwand in verschiedenen Sprachen mit lippensynchroner und synthetisierter «Originalstimme» zu veröffentlichen. YouTube arbeitet bereits an einer Integration solcher Übersetzungstools. Diese Entwicklung ermöglicht es Content Creators, ein globales Publikum zu erreichen, und führt gleichzeitig zu einem verschärften Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Diese Spiele und Anwendungen werden automatisch auch zu einer zunehmend immersiven und interaktiven Medienlandschaft führen, in der die Grenzen zwischen Filmen, Serien, Videospielen und dem Metaverse weiter verschwimmen werden.
Trend 6: Ende des Smartphones – persönliche KI als Alltagsbegleiter
Es ist nicht das erste Mal, dass das Ende des Smartphones vorhergesagt wird. Im Unterschied zu den Entwicklungen der letzten Jahre könnten wir aber 2024 tatsächlich einen entscheidenden Schritt näher an diesem Epochenwandel stehen. Mehrere Trendreports erwarten, dass 2024 dank der fortgeschrittenen Sprachmodelle neue KI-Assistenten entstehen. Diese werden in der Lage sein, eine Vielzahl von Sensordaten zu verarbeiten und personalisierte, informative Ergebnisse zu liefern. Die Fähigkeit dieser Assistenten, Text, Sprache, Bilder und sogar Videos sowohl zu verarbeiten wie auch zu generieren, wird ausschliesslich auf dem Gerät erfolgen. Dies hebt die Nutzungserfahrung auf ein neues Niveau und senkt gleichzeitig die Kosten für cloudbasierte KI. Unzählige Unternehmen arbeiten aktuell an der Entwicklung einer «Personal AI». Bereits im Herbst 2023 sorgte die Präsentation von Humane für Furore, während sich aktuell Gerüchte mehren, dass auch OpenAI zusammen mit einem Team rund um den früheren Chef-Designer von Apple, Jony Ive, an einem «KI-iPhone» arbeite. Vertrauen wir also künftig sämtliche Lebensinhalte einer KI an? Laut den Prognosen von Forrester werden 60 Prozent der KI-Skeptikerinnen und -Skeptiker die aufkommende Technologie im Jahr 2024 trotzdem nutzen und schätzen – ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht. Wie auch schon andere technologische Entwicklungen zeigten, überwiegt am Ende die Bequemlichkeit und der Wunsch nach Produktivitätssteigerungen.
Trend 7: KI-Jobs – neue Berufsbilder prägen den Wandel
Oft wurde im vergangenen Jahr die Befürchtung geäussert, KI würde von heute auf morgen zahlreiche Arbeitsplätze ersetzen. Erste Stellen wurden tatsächlich aufgrund von KI-Entwicklungen eingespart, doch die letzten Monate bestätigten vor allem eines: Nicht KI wird uns ersetzen, sondern die Menschen, die KI zu nutzen wissen. Gemäss einer neusten Umfrage des Reuters Institute bei 135 Medien-Führungskräften in 40 Ländern glauben 74 Prozent daran, dass generative KI zwar helfen wird, einige Dinge effizienter zu erledigen, aber sich der wesentliche Teil der Arbeit nicht ändern wird. Andererseits kommen mehrere Trendreports zu dem Schluss, dass KI unsere Jobs nachhaltig auf den Kopf stellen wird. 2024 wird deutlich, dass es nicht mehr ausreicht, nur die Bedienung von Software zu beherrschen. Das Verständnis dafür, wie KI Entscheidungen trifft, welche Daten wie genutzt werden und welche Grenzen und Potenziale solche Anwendungen haben, wird in sämtlichen Medien- und Kommunikationsberufen entscheidend. Dies erfordert von den Mitarbeitenden neue technologische Kompetenzen und ein tieferes Verständnis für die Arbeitsweise der KI. Gleichzeitig müssen sie Vertrauen in die KI entwickeln und Verantwortung für die Ergebnisse übernehmen. Vielerorts werden neue Brückenfunktionen geschaffen, um zwischen den Disziplinen zu vermitteln – alles Anzeichen, dass sich sowohl Einzelpersonen als auch Organisationen noch in einer Entwicklungsphase befinden.
Trend 8: Unternehmenskultur – mögliche Antwort auf Fachkräftemangel
Die vorhergehenden Trends zeigen deutlich, welch zahlreiche Herausforderungen Organisationen im Jahr 2024 aufweisen. Nach wie vor prägt der Fachkräftemangel den Arbeitsmarkt, eine Vielzahl von Arbeitskräften wird in den nächsten Jahren in Rente gehen, neue Kompetenzen müssen in Weiterbildungen vermittelt werden, Mitarbeitende leiden unter Change-Müdigkeit und die Nachwehen aus der Pandemiezeit wurden vielerorts noch immer nicht behoben. 2024 wird das Jahr, in welchem Organisationen erkennen, dass eine positive Unternehmenskultur ein Wettbewerbsvorteil darstellen kann. Vor allem in der Medien- und Kommunikationsbranche sind die Mitarbeitenden das Lebenselixier des Unternehmens, treiben Innovation voran, agieren als Aushängeschilder des Unternehmens und sorgen dafür, dass Nutzenversprechen für die angebotenen Produkte eingehalten werden können. Verschiedene Trendreports stellen deshalb die Förderung einer positiven Unternehmenskultur in den Mittelpunkt des Bestrebens für 2024. Nicht zuletzt geht es dabei auch um die Erneuerung der Anreizsysteme, um Mitarbeitende anlocken und langfristig binden zu können.
Hier ist die Sammlung der analysierten Trendreports zu finden.
Konrad Weber ist Strategieberater und Coach im Bereich der digitalen Transformation. Er berät Geschäftsleitungen von Grossunternehmen bis hin zu Start-ups bei der Entwicklung neuer Strategien und begleitet Teams und Organisationen bei tiefgreifenden Veränderungen. Seit über 15 Jahren ist er als Brückenbauer zwischen Inhalt und Technologie tätig – vor der Zeit als selbstständiger Berater als Digitalstratege bei Schweizer Radio und Fernsehen SRF mit mehrjähriger Erfahrung in Projektleitung und Strategieentwicklung. (pd/wid)