09.02.2021

Moritz Leuenberger

«Es ist ein Eiertanz um Worte»

Das NZZaS-Interview mit Altbundesrat Moritz Leuenberger über Lügen und Lösegeldzahlungen schlug hohe Wellen. Eine Antwort würde er heute anders formulieren.
Moritz Leuenberger: «Es ist ein Eiertanz um Worte»
Moritz Leuenberger erklärte gegenüber der NZZaS, dass bei Lösegeldforderungen die Landesregierung nicht immer die Wahrheit gesagt habe, zumal auch Geld für die Freilassung der Geiseln bezahlt worden sei. (Bild: Keystone/Gaetan Bally)
von Matthias Ackeret

Herr Leuenberger, Sie haben ein vielbeachtetes Interview in der NZZ am Sonntag über «Lügen» gegeben. Haben Sie die Reaktionen überrascht?
Als ich den Anriss auf dem Titelblatt sah, musste ich mit allem rechnen. Eingebettet in das ganze Interview hätte das Thema um Lösegelder aber kaum zu Reaktionen geführt, denn ich habe das alles schon in Reden gesagt und in meinem Buch über Lügen geschrieben, das während meiner Amtszeit erschien. Nie gab es Reaktionen, weil jedermann die Logik verstand.

Würden Sie jetzt etwas anders sagen als in der NZZaS?
Ja! Ich würde jetzt sagen: «Der Bundesrat hat nie die Bezahlung eines Lösegeldes beschlossen!» Das ist übrigens die Wahrheit. Jedoch ist immer damit zu rechnen, dass andere Gruppierungen zahlen. Doch auch dies verneint man auf Anfragen, um Nachahmungen zu verhindern. Und das ist legitim. Das leuchtet jedermann ein und deswegen nehme ich es immer als Beispiel.

Sind die Reaktionen im digitalen Zeitalter anders als früher?
Sie werden vor allem breiter und sehr schnell gestreut. Inhaltlich sind sie undifferenzierter, weil oft nicht der ursprüngliche Text gelesen wird, über den man sich ereifert, sondern man stützt sich auf Zuspitzungen und Verdrehungen in anderen, meist sozialen Medien. Das bringt eine Spirale der Empörung in Gang.

«So verstand ich meine eigene Aussage eben nicht»

Ihre Aussage, dass bei Entführungen auch Lösegeld bezahlt wurde, gab - wie gesagt - zu reden. Warum muss man dies verschleiern?
So verstand ich meine eigene Aussage eben nicht. Der Bundesrat hat jedenfalls nie bezahlt. Vielleicht andere. Darüber schweigt man aber. Es ist ein Eiertanz um Worte. Alle vermuten ja eigentlich was los ist. Einer sagt es. Und schon ist der Teufel los.

Ihre Aussagen im NZZaS-Interview sind sehr ehrlich, trotzdem gab es kritische Reaktionen. Was bedeutet, dass man sich vom Staat und seinen Akteuren eigentlich gar nicht so viel Transparenz erwünscht … Transparenz kann auch schaden. Zum Beispiel Vertragsverhandlungen mit der EU: Wenn der Verhandlungspartner weiss, dass es in der Schweiz Widerstand gegen die Haltung der Regierung gibt, kann er sich mit der Opposition kurzschliessen. Das ist nicht im Interesse der Schweiz. Also kann man auch nicht immer alle Verhandlungen öffentlich führen.

Wird in der Politik eigentlich mehr gelogen als in anderen Bereichen?
Ich glaube sogar eher weniger. Denn die Politiker stehen unter ständigem Lügenverdacht. Sie werden zumindest in einer Demokratie ständig beobachtet und das hat seine Wirkung.

«Die Lüge ist fester Bestandteil unseres Lebens»

Gibt es gerechtfertigte Lügen, sogenannte Notlügen?
Wir verdrängen aus einem verkrampften Bemühen um politische Korrektheit, dass die Lüge fester Bestandteil unseres Lebens ist. Die Notlüge ist nur eine Kategorie. Es gibt Lügen, um jemanden nicht zu vergraulen («Wir hatten konstruktive Gespräche»), um jemandem das Gesicht zu wahren («Wir haben uns in gegenseitigem Einvernehmen getrennt.») oder wir schreiben im Internet falsche Angaben über unsere Person, um unsere Daten nicht preiszugeben. Das ist legitime Notwehr.

Wie hätten Sie – wenn Sie noch Bundesrat gewesen wären – auf das Maskendebakel reagiert?
Die ehrliche Kommunikation wäre gewesen: «Masken schützen, aber wir haben keine.» Jetzt gab es aber auch Wissenschaftler, welche die Wirksamkeit von Masken verneinten. Deswegen hätte man auch sagen können: «Selbst wenn die Effizienz noch umstritten ist: Schaden tun sie nie.» Und jetzt gibt es noch das Prinzip der Kollegialität. Aber was da abgelaufen ist, weiss ich natürlich nicht.

Sie bemängeln, dass die Strichmännchen des Sprayers von Zürich während des grossen Schneefalls entfernt wurden, kurz nachdem er von der gleichen Stadt Zürich mit 50'000 Franken für sein Schaffen ausgezeichnet wurde. Wie fest muss staatliches Handeln kongruent sein?
Ich habe das als verlogen empfunden: Einerseits den Kunstpreis verleihen, um sich kulturell aufgeschlossen zu zeigen. Aber dann heimlich die Kunstwerke wieder vernichten, um eine propere City zu präsentieren. Wahrscheinlich hat die eine Abteilung nicht gewusst, was die andere tut. Aber diese Koordination wäre nötig, um glaubwürdig zu sein.

Von Ihnen stammt der schöne Satz «Es ändern die Lügen, und wir uns mit ihnen». Was bedeutet dies konkret?
Gerade in der Politik steigern sich viele in ihre Überzeugung und werden blind gegen Fakten und andere Ansichten. Das ist ein Element des Populismus. Wir glauben mit der Zeit an unsere eigenen Lügen.



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Kommentare

  • Claude Bürki, 09.02.2021 07:18 Uhr
    Selbstdarsteller, hat Kontrolle über seine eigene Regie verloren.
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